Kapitel 39

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Mit Schwung parkte ich in meine Parklücke ein.
Und wie, wenn die Parklücke gewusst hätte, dass heute wieder mein erster Tag war, rückte sie sich so zurecht, dass mein Auto perfekt stand.
Ich fühlte mich nach meinem morgendlichen Joggen aufgeweckt und frisch. Ich war wirklich motiviert heute Morgen.

Mit schwarzen Stöckelschuhen und einem schwarzen knielangen Businesskleid fühlte ich mich sicher und wollte sofort mit der Arbeit starten.

Als ich den Eingangsbereich betrat, wurde ich von der Empfangsdame gegrüßt. Doch gerade als ich ihre Begrüßung erwidern wollte, schaute sie schon wieder auf ihren Computer.
Deshalb ging ich bis zu ihrem Tresen hin und beugte mich zu ihr hinunter.
"Guten Morgen."
Sie schreckte hoch.
"G-Guten M-Morgen."
Ich war etwas genervt, weil sie mich ja gerade schon gegrüßt hatte und ging deswegen einfach wieder meines Weges weiter zu den Aufzügen.
Was war so seltsam daran, zu grüßen?
Oder besser gesagt, nicht zu grüßen. Da fiel es mir ein. Ich hatte nie auch nur ein Wort gegenüber der Empfangsdame verloren. Sie war es einfach nicht gewohnt, dass ich sie grüßte.

Ich stellte ein bisschen erschreckt fest wie sehr ich mich in Paris geändert haben musste.
War ich vorher wirklich so ein Biest gewesen?
Nein, das konnte doch nicht sein, immerhin hatte ich Rob und Lucy wieder eingestellt.
Gerade als ich an die beiden dachte, stiegen sie im zweiten Stock zu mir ein.
Lucy hatte gerade ihren Arm um Rob gelegt. Sie waren also immer noch ein Paar.
"Sie sind zurück.", stellte Rob fest.
Lucy stieß ihn in die Seite, was wohl so viel bedeuten sollte wie: Du bist gleich tot, wenn du sie an ihrem ersten Tag mit so einem Ton ansprichst.
Denn er hatte nicht erfreut geklungen. Aber auch nicht böse. Einfach nur sachlich. Wenn etwas einfach sein konnte.

"Ja ich bin wieder da.", antwortete ich und noch während meiner Antwort formte sich eine bizarre Idee in meinem Kopf. Bizarr für meine Verhältnisse, versteht sich.
"Ich habe ein Angebot für Sie beide.", fing ich an, ihnen meinen Vorschlag zu unterbreiten.
Beide sahen mich aus großen Augen an.
"Möchten Sie meine Assistenten werden? Da ich ja jetzt auch noch die Finanzabteilung leite, könnte ich zwei Leute an meiner Seite ganz gut gebrauchen. Lucy im Personalbereich und Rob bei den Finanzen."
Sie sahen sich an und schienen sich ohne Worte zu verständigen.
"Können wir Ihnen unsere Antwort bis heute Mittag mitteilen?", fragte Lucy.
"Ja. Kommen Sie später in mein Büro."
Mit diesen Worten verließ ich den Aufzug.

Als ich in mein Büro kam, schlug es mich fast um.
Auf meinem Tisch stapelten sich Papiere, Postits und allerlei andere nicht definierbare Blätter.
Ich setzte mich an meinen Schreibtisch und fing an, den ganzen Verhau zu sortieren.
Als erstes stellte ich fest, dass mal wieder ewig viele Bewerbungen eingegangen waren.
Und da kam mir schon die zweite Idee heute.
Ich verließ mein Büro, um eine Ansage bei meinen Arbeitern, das Wort Kollegen vermied ich immer noch, zu machen.
"Bitte hören Sie alle her. Ich möchte Ihre Meinung wegen etwas hören, deswegen kommen Sie alle nach dem Alphabet geordnet in mein Büro und sagen mir Ihre Antwort. Die Zeit läuft."
Ich wusste, dass es etwas komisch geklungen hatte, doch es war mir wirklich wichtig.

Als erstes betrat ein Mann Mitte fünfzig mein Büro.
Ich kannte ihn nur flüchtig, doch ich wusste, dass er Herr Ackermann hieß.
"Guten Morgen Herr Ackermann."
"Guten Morgen."
"Wie finden Sie mich als Ihre Chefin?"
Anders als erwartet überlegte er nicht lange und fing an, zu sprechen.
"Auf sachlicher Ebene perfekt. Sie sind wirklich gut und machen ihre Sache als Chefin der Personalabteilung seit dem Moment an, als Sie dieses Büro betreten haben mit bewundernswerter Ausdauer. Doch als Mensch, ich entschuldige mich, komme ich nicht sehr gut mit Ihnen zurecht."

Ich hatte eine Liste vor mir und setzte einen Haken bei "Ackermann".
Die nächsten schickte ich gleich wieder aus meinem Büro hinaus, denn Menschen, die den Boden küssten hatte ich noch nie sonderlich gemocht.
Bei Frau Sinders wurde es dann schon wieder interessanter.
Sie erklärte mir, was ich tun könnte, um beliebter zu werden.
Ich erwiderte, dass ich das gar nicht sein wolle, doch sie zwinkerte mir nur zu.
Erst zu diesem Zeitpunkt, zehn Jahre oder etwas mehr, seit ich in diesem Büro stand, merkte ich, welche Menschen überhaupt hier arbeiteten.
Bewundernswerte Menschen, wie es Herr Ackermann ausgedrückt hatte.
Bei Frau Sinders setzte ich ebenfalls einen Haken.
Und so ging es immer weiter und weiter.
Bis ganz zuletzt noch Rob und Lucy in mein Büro eintraten.
Sie hatten beide einen Nachnamen mit "Z". Zwersche und Zinsky.
"Wie finden Sie mich als Ihre Chefin?"
Rob antwortete als erster.
"Gut. Sehr gut sogar. Aber das trifft nur zu, wenn ich die sachliche Ebene anspreche. Sie sind sehr professionell. Aber ich kann mir vorstellen, dass Sie sich jetzt besser verhalten. Allein schon diese Unterhaltung zeigt mir, dass Sie auf dieser Geschäftsreise persönlich gewachsen sind. Ich hoffe auf eine zukünftige gute Zusammenarbeit, denn Lucy und ich stimmen dem Job als Ihr Sekretär und ihre Sekretärin zu."
Er nickte einmal kurz, nachdem er mir geantwortet hatte und Lucy lächelte mich zaghaft an.
Ein warmes Gefühl durchströmte meinen Bauch. Es fing unten an und zog dann immer höher. Dann wandelte es sich zu einem Prickeln und irgendwann war dieses Gefühl bei meinem Gesicht angekommen. Meine Mundwinkel hoben sich.
Ich lächelte!
"Ich freue mich auch auf die Zusammenarbeit mit Ihnen.", meinte Lucy.
Und es klang so aufrichtig, dass mein Lächeln auch dann noch in meinem Gesicht blieb, als die beiden mein Büro schon verlassen hatten.

Ich fühlte mich so viel besser. Das Arbeiten machte Spaß und ich ertappte mich dabei, mit einem zufriedenen Nicken meine Kollegen zu beobachten, als ich auf die Toilette ging.
Ich war fast schon ein bisschen sauer oder eher traurig, ich fand nicht das richtige Wort, dass ich mich die letzten zehn Jahre von meiner Trauer und Wut hatte leiten lassen.
Die Welt war schwarz und weiß gewesen und jetzt erstrahlte sie in allen möglichen Farben, wenn ich es poetisch ausdrücken sollte.
Und auch, wenn ich immer noch nicht über Andrew hinweg war, fühlte ich mich in diesem Moment nicht ganz so allein.

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