Endlich war der letzte Tag vor meinem Urlaub angebrochen. Inzwischen freute ich mich ein wenig mehr. Ich sperrte meine Bürotür auf und wurde von einem süßen Duft überwältigt.
Auf meinem Schreibtisch stand ein großer Rosenstrauch.
Neugierig trat ich näher und erblickte einen kleinen Zettel zwischen den Rosen.
Guten Morgen, Julie!
Da ich seit gestern weiß, dass wir um ungefähr die gleiche Zeit Mittagspause machen, möchte ich dich heute zu einem Restaurant ausführen. Ein "nein" wird nicht akzeptiert, außer es gibt einen driftigen Grund.
Herzallerliebst, Andrew
Aha, ein Mittagessen hatte er sich also einfallen lassen, um mich zu betören. Ein kleiner Teil von mir fand es ein wenig albern, so miteinander zu spielen, doch dem anderen, größeren Teil von mir gefiel es, mit Andrew zu scherzen, ihm nahe zu kommen und einfach umeinander zu kreisen.
Ich nahm den großen Rosenstrauß und stellte ihn mitsamt seiner Vase auf den Glastisch am Fenster.
Jetzt würde jeder, der nur gut genug hinaufblickte einen roten Punkt erkennen können. Meine Rosen, die ich von Andrew geschenkt bekommen hatte.
Bevor ich anfing, zu arbeiten, wollte ich ihm aber natürlich noch eine Antwort wegen unserem Rendez-vous zukommen lassen.
Ich zupfte ein Blatt von einer Rose ab und klebte einen Post-it Zettel darauf.
Vorher schreib ich noch darauf:
Ich werde um Punkt halb eins bereit im Gang zwischen unseren Büros sein.
Ich überlegte noch, ob ich einen Smiley hinzufügen sollte, doch so nett wollte ich dann doch nicht sein und ließ es bleiben.
Dann widmete ich mich voll und ganz meiner Arbeit, denn an einem letzten Arbeitstag vor dem Urlaub gab es immer erstaunlich viel zu tun.
Jedenfalls war ich nicht mehr so sehr in Urlaubsstimmung als ich einige Fehler bei der Bearbeitung eines Dokuments, dass auf unserer internen Datenbank hochgeladen war, entdeckte. Einige Ausgaben stimmten nicht überein und so etwas konnte fatale Folgen haben.
Herr Sommermann und Frau Darnell waren dafür verantwortlich, doch anders als ich es in der Vergangenheit getan hatte, rief ich sie nicht in mein Büro, sondern setzte eine Besprechung für vier Uhr Nachmittag an, um die Unstimmigkeiten zu klären und eine Lösung zu finden. Gemeinsam.
Nach ein paar Stunden, die ich ziemlich vertieft in meine Arbeit verbracht hatte, schreckte ich durch die Ankündigung von zwei neuen E-Mails hoch. Eine von Lucy und die andere von Andrew.
Da bei Andrew die Priorität auf wichtig gestellt war, klickte ich zuerst auf seine, was ich sonst nicht getan hätte, denn ich war mir eigentlich sicher gewesen, dass er mich entweder nerven oder mit irgendetwas anderem anmachen wollte. Oder mir eine Antwort auf meinen Post-it Zettel gab.
Doch da es eben wichtig war, öffnete ich sie zuerst.
Sehr geehrte Frau Foss,
ich bitte Sie darum, mir die Finanzunterlagen von September bis November zuzusenden. In einem Meeting, das ich um 17.00 Uhr angesetzt habe, können wir dann einen neuen Plan für das kommende Jahr ausarbeiten. Außerdem benötige ich eine Liste aller Neuzugänge von Herrn Ackermann, wenn Sie das in die Wege leiten könnten, wäre ich sehr dankbar.
Das Gespräch gestern Mittag war sehr hilfreich, ich hoffe, Sie bleiben weiterhin meiner Meinung für die Lösung des Problems.
Viele Grüße
Andrew Carter
Cartemnix Verlag
Vulkanplatz 7–10
8048 Zürich
044-351-577 Telefon
andrewcarter@cartemnix-verlag.ch
Na das war ja mal eine professionelle E-Mail, wobei sie im zweiten Hinschauen gar nicht mehr so professionell wirkte, denn der letzte Satz sollte ja wohl eindeutig eine Anspielung sein.
Ich wusste auch, warum er mich siezte. Es waren ein paar Leute in CC gesetzt.
Ich beschloss, ihm privat zu antworten. Meine Antwort würde die anderen nur nerven und weil ich mich schon immer so aufregte, wenn ich Mails bekam, die rein gar nichts mit mir zu tun hatten, schreib ich ihm eben privat.
Lieber Andrew,
das Meeting passt von der Uhrzeit. Anbei findest du die Unterlagen, um die du gebeten hast.
Und ja, ich bleibe deiner Meinung. Bin schon gespannt, welches Restaurant du wählst.
LG Julie
Dann klickte ich auf senden und seufzte, weil allein schon "Lieber Andrew" total doof klang.
Danach öffnete ich die E-Mail von Lucy und seufzte noch einmal, diesmal aber lauter, denn sie hatte ein Meeting für 19.00 Uhr angesetzt, wo ich heute eigentlich schon zuhause gewollt sein hatte.
Na toll. Das war ein stressiger Arbeitstag. Wenigstens konnte ich mich noch auf ein leckeres Mittagessen freuen.
Um kurz vor halb eins fuhr ich dann meinen Computer herunter und holte noch meinen Lippenstift aus meiner Handtasche. Zum Glück hatte ich heute Morgen einen eingepackt. Ich drehte mich zu einem kleinen Spiegel um, der als Schranktür diente.
Dann zog ich meine Lippen nach und fühlte mich ein wenig schöner.
Als ich meine Tür öffnete, war Andrew noch nicht da, also lugte ich durch seine Tür und sah ihn wie er telefonierte. Ziemlich aufgeregt.
Das merkte ich daran, dass er hektisch umher tigerte und nicht einen Moment stehen blieb.
Hoffentlich war er nicht zu sehr gestresst, denn so etwas konnte ein Essen schon ruinieren.
Ich ging zurück in mein Büro, denn aus irgendeinem mir unergründlichen Grund wollte ich nicht schon im Gang auf ihn warten. Früher wäre ich einfach in sein Büro geplatzt, doch jetzt kam mir das extrem unhöflich vor. Also schloss ich meine Tür wieder hinter mir und lugte durch das Schlüsselloch, um zu sehen, wenn er sein Büro verlassen würde.
Fünf Minuten später verließ er sein Büro und ich trat ebenfalls auf den Gang hinaus.
"So ein Zufall, dass wir uns hier treffen.", grinste ich.
"Ja Foss, Sie hätte ich gar nicht hier erwartet." Er lächelte ebenfalls, jedoch etwas angestrengt.
Was das wohl für ein Telefonat gewesen war?
Ich wollte gerade in den Aufzug steigen, da meinte Andrew, dass er lieber die Treppe nehme.
Ich nickte nur und stieg trotzdem in den Aufzug.
"Du kommst nicht mit mir mit?"
"Nein, nur weil du sagst, dass du die Treppe nimmst, heißt das doch nicht gleich, dass ich auch die Treppe nehme.", erwiderte ich mit einem Funkeln in den Augen.
Er ließ ein leises Knurren hören und rümpfte die Nase.
"Dann sehen wir uns unten."
"Genau.", lächelte ich ihn freundlich an.

DU LIEST GERADE
Chefetage
Storie d'amoreJuliette ist die Chefin der Personalabteilung. Andrew ist der Big Boss der Verlagsfirma. Beide sind sehr verhasst bei den Kollegen. Herrisch, egozentrisch und feuern ihre Kollegen nur zu gerne wegen belanglosen Dingen. Sie kennen sich kaum, bis es e...