Kapitel 11 ✔️

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"Namida, wir holen jetzt nicht noch ein neues Spielzeug, wir wollten aufräumen!", wies ich sie zurecht. Sie ignorierte mich aber weiter und fing an mit dem Plastikfrosch zu spielen, den sie sich aus dem untersten Fach des Regals genommen hatte.

Schön, sie will es nicht anders. Ich nahm ihr erst den Frosch weg und legte ihn in ein anders Fach des Regals, dann nahm ich sie auf den Schoß und fuhr mit ihr zum Fahrstuhl. Auf der Fahrt dorthin musste ich gut aufpassen, dass sie nicht flüchtete, denn sie wehrte sich sehr dagegen.

Als sich die Fahrstuhltüren wieder öffneten, konnte ich sie nicht länger festhalten und sie wäre schon fast auf den Boden gefallen, wenn Jimin mir nicht zur Hilfe gekommen wäre, denn er fing sie auf. Damit rettete er uns vor einem Krankenhausbesuch. Wahrscheinlich hatte er die Situation schon mitbekommen und hatte sich vor den Fahrstuhl platziert, um schnell eingreifen zu können.

Er nahm sie hoch und ging mit ihr zur Garderobe. Das verwunderliche daran war, dass sie sich nun nicht mehr wehrte. Ich nahm das jetzt mal nicht persönlich.

Mein früherer Bandkollege zog sie an und setzte sie dann genau so wie Lennox, der schon sehr ungeduldig wartete, in die Kutsche. Mir war es ein Rätsel warum er die Kinder erst in die Kutsche setzte, um sie dann fünf Minuten später wieder rauszuholen und ins Auto zu setzen.

"Ich bringe sie schon mal zum Auto!", informierte er mich. Ich nickte und fing auch an mich anzuziehen. Dann machte ich noch das Licht aus, fuhr raus und schloss die Tür ab. Danach fuhr ich zu Jimins Auto und setzte mich nach hinten. Vorne hatte er den Sitz von Namida platziert und hinten neben mir den von Lennox. Nun musste ich noch warten bis Jimin alles verstaut hatte.

Heute war mal wieder ein Arzttermin und eigentlich fuhr Sayuri mich immer hin und holte mich anschließend auch wieder ab. Nur musste sie heute arbeiten. Deswegen hatten wir mit Jimin ausgemacht, dass er mich hin fährt und dann den Rest des Tages die Kinder hatte. Ich würde wahrscheinlich mit einem Taxi zurückfahren.

Wenig später setzte Jimin mich bei der Arztpraxis von Dr. Choi ab, er betreute mich seit meinem Unfall. Ich verabschiede mich noch von Jimin und den Kindern und wünschte ihnen einen schönen Tag. Dann rollte ich rein und meldete mich bei der Empfangsdame, danach begab ich mich ins Wartezimmer.

Ich musste nicht lange warten, denn ich wurde, als ich mir gerade eine Zeitschrift von dem Tischchen nehmen wollte, aufgerufen.

Dr. Choi begrüßte mich und fragte kurz, wie es mir denn so in letzter Zeit ergangen war. Ich berichtete ihm von meinen Fortschritten was das Laufen betraf. Dann führte er die üblichen Untersuchungen durch.

Danach ließ er sich hinter seinen Schreibtisch nieder und setzte so ein typischen Ich-habe-schlechte-Neuigkeiten-Gesicht auf, was Ärzte besonders gut konnten. Scheiße, bitte nicht das was ich denke.

"Herr Min, Sie hatten mir bei Ihren letzten Besuch eine Frage gestellt, bezüglich möglicher Folgeschäden.", fing er mit dem Gespräch an. Das ging jetzt schon in die völlig falsche Richtung.

"Ich habe mir Ihre Befunde nochmal genau angesehen und auch mehrmals geprüft, aber ich muss Ihnen leider mit teilen, dass der Splitter der bei dem Unfall in Ihren Rücken eingedrungen ist auch Schäden an den Organen verursacht hat. Sie können keine Kinder mehr bekommen, Sie sind durch den Unfall unfruchtbar geworden."

Das saß. Ich konnte nicht mehr richtig denken und bekam meine Umwelt nur noch leicht mit. Mein einziger Gedanke war, ich könnte niemals mit der Liebe meines Lebens Kinder bekommen. Mit meiner ersten und einzigen Liebe. Sayuri.

Mein Arzt sagte noch irgendwas, aber ich verstand es nicht. Ich starrte ihn einfach nur an und hoffte das ich gleich aufwachen würde und diese Situation sich als Albtraum herausstellte. Dies passierte aber nicht. Selbst als ich meine Augen wieder öffnete, nachdem ich sie geschlossen hatte, saß ich immer noch in dem Behandlungsraum von Dr. Choi.

Dieser drückte mir noch Papiere in die Hand, wo sich wahrscheinlich die Diagnose befand. Ich hätte sie am liebsten zerrissen und damit auch die Tatsache zerstört, dass ich nie eigene Kinder haben könnte. Nun war das leider Wunschdenken.

Ich wusste nicht mehr wie, aber irgendwie bin ich auf die Straße gekommen und saß wenig später in einem Taxi. Ich hatte keine Ahnung wo das plötzlich herkam. Aber ich vermutete die nette Dame am Empfang hat es mir bestellt gehabt. Denn der Fahrer hatte mich auch nicht nach meiner Adresse gefragt.

Ich schaute aus dem Fenster. Ich dachte nichts, ich fühlte nichts. Nichts, dieses Wort beschrieb mich jetzt am besten. Langsam lief mir eine Träne über die rechte Wange. Mein größter Traum war mit einem Mal geblasen, wie eine wunderschöne Seifenblase. Einfach weg.

Ich schniefte kurz und wischte sie mir mit dem Handrücken weg, ich wollte vor dem seltsamen Taxifahrer nicht weinen. Als wir hielten wartete ich, bis er meinen Rollstuhl aus dem Kofferraum geholt hatte und bezahlte ihm die Fahrt. Ich setzte mich in meinen treuen vierrädrigen Freund und wollte schon losfahren, als der Taxifahrer fragte: "Ist bei Ihnen alles okay?"

Ich hatte keine Kraft mehr, mich mit ihm zu beschäftigen. Also zeigte ich ihm den Stinkefinger und fuhr schnell zur Haustür, schloss auf und knallte sie hinter mir zu.

Dann brachen die Dämme und ich fing unaufhaltsam an zu weinen. Ich versuchte mich wieder zu beruhigen und fuhr in die Küche um mir etwas zu trinken zu holen. Aber dies machte es nicht besser, denn an unserem Kühlschrank hangen gemalte Bilder von Sayuris Kindern. Nicht meinen. Ich fuhr auf ihn zu und riss sie gewaltsam herunter.

Dann nahm ich mir ein Glas. Meine Hand zitterte aber so stark, weil ich angefangen hatte zu schluchzen, dass mir das Glas aus der Hand glitt und auf dem Boden zerschellte. Ich konnte nicht mal mehr ein Glas halten. Wozu war ich den noch gut?

Aus Frust schmiss ich die Wasserfasche, die auf dem Tisch stand, auch noch mit runter. Ich musste mich unbedingt abreagieren.
Der Flügel.

Ich fuhr mit dem Fahrstuhl hoch und rollte schnell ins Wohnzimmer. Klavier spielen hatte mir schon immer geholfen, wenn ich aufgewühlt war, hoffentlich jetzt auch.

Ich setzte mich auf den Flügelhocker und fing einfach an zu spielen was mir in den Sinn kam. Als ich realisierte was ich spielte, schlug ich auf die Tasten und fing wieder an zu weinen. Ich hatte begonnen Springday zu spielen. Dieses Lied brachte keine Besserung in die gesamte Situation und das Spielen auch nicht. Also versuchte ich schnell aufzustehen. Vergaß dabei aber das Problem mit meinen Beinen.

Ich flog auf den Boden und riss dabei den Rollstuhl mit. Ich krümmte mich auf dem Boden liegend zusammen, denn ich fand keine Kraft mehr aufzustehen. Nun fing ich wieder an zu schluchzen. Ich holte den zerknüllten Diagnosezettel aus meiner Hosentasche, ich hatte ihm beim Arzt noch schnell eingesteckt, und fing an ihn zu zerreißen.

Leider riss ich damit nicht wie erhofft die Tatsache auseinander, dass ich nie Kinder bekommen würde.

Ich musste akzeptieren, dass das die Realität war.

Aber ich wollte nicht. Ich kauerte mich noch mehr zusammen, umfasste dabei meine Beine und lag jetzt in Embryonalstellung auf dem Boden. Vor mir die Schnipsel.

Ich wollte es nicht.

First LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt