13. Maria braucht dich jetzt

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°○ Manuel ○°

"Das musst du gerade sagen!", höhnte Leon während er damit fortfuhr Maria die Nase zu putzen, als ob sie noch son Kleinkind wäre. Aber im Grunde war sie das ja auch, dachte ich, auf jeden Fall im Kopf.
"Wer hat denn gerade noch gemeint, dass sie sich einen Klumpen Schnee ins Gesicht klatschen soll?"
Ich verdrehte die Augen, sagte jedoch nichts mehr dazu.
Sollte Maria doch gucken, was sie davon hatte, wenn sie immer einen auf Heulsuse machte!
Klar war das hier gerade was anderes und da hatte sie wohl auch einen Grund zum Heulen.
Aber ganz davon abgesehen, so konnte sie das nicht mehr machen. Sich immer so gehen zu lassen! Und gleich loszuheulen, sobald ihr mal was querlief. Wie so ein kaputter Wasserhahn!
So war das doch kein Wunder, wenn sie keiner für voll nahm! Ich ja sowieso nicht und für diese kleinen Scheißer aus der Wohngruppe war sie doch jetzt schon der letzte Witz!
"Na, wo haben wir uns denn wieder rumgetrieben?", fragte Vater, der stand am Auto gelehnt und rauchte, als wir kurze Zeit später wieder in die Auffahrt zur Wohngruppe einbogen.
"Wir waren nur mal eben spazieren", antwortete Leon, der lief mir einige Schritte voraus, wobei er Maria an der Hand neben sich herführte, als könnte die nicht genauso gut alleine laufen.
Vater zog die Augenbrauen hoch. "Spazieren, ja?"
Er machte einige Schritte auf Maria zu und legte ihr dann seine Hand auf die Schulter. "Wie geht's dir, Mäuschen?"
"Geht so", meinte Maria.
Vater musterte sie einen Moment, dann sah er rüber zu mir. "Hast du ihr schon erzählt, warum die Polizei da ist?"
"Ja, sie weiß Bescheid", meinte ich.
Vaters Hand begann übers Marias Arm zu streicheln. "Mein Beileid!"
"Danke", antwortete Maria, wieder so leise, dass es kaum zu hören war.
Vater seufzte. "Schlimme Sache, das alles."
Darauf sagte Maria nichts.
"Wenn du irgendwas brauchst, dann meldest du dich, ja? Oder komm vorbei."
Maria nickte.
Vater strich ihr sanft mit den Fingern über die Wange, dann wandte er sich an Leon.
"Du bleibst heute bei ihr." Es war keine Aufforderung, vielmehr eine Feststelllung.
"Okay", antwortete Leon.
"Kümmer dich gut um sie!", sagte Vater.
"Das tu ich immer." Wie zum Beweis legte Leon den Arm um Maria und zog sie näher an seine Seite.
"Gut." Vater schnippte die Asche von der Spitze seiner Zigarette und steckte sie sich dann wieder in den Mund. "Dann bring sie jetzt mal rein!"
Er legte Maria noch einmal die Hand auf den Arm und drückte kurz zu. "Mach's gut, Mäuschen! Und denk dran, was ich dir gesagt habe!"
Maria nickte.
Vater lief zu seinem Auto.
"Tschüss!", sagte ich, folgte ihm dann, lief zur Beifahrerseite des Autos und wollte einsteigen, doch Vater entriegelte die Tür nicht, ließ stattdessen lediglich das Fenster herunter.
"Verabschiede dich mal anständig von deiner Schwester!"
Ich wandte mich um, sah zu Leon und Maria, die liefen gerade schon zur Tür - Maria wieder an Leons Hand -, dann sah ich zurück zu Vater.
"Jetzt mach schon!", knurrte dieser.
Ich hielt seinem Blick noch einen Moment lang stand, unterdrückte dann einen Seufzer und lief schließlich los in Richtung Haustür.
"Maria?", sagte ich, kaum, dass ich sie und Leon eingeholt hatte.
Beide wandten sich zu mir um.
Schweigen.
Was sollte ich sagen?
Ich schaute kurz rüber zu Leon, der erwiderte meinen Blick, zog dabei fragend die Augenbrauen hoch. Dann sah ich wieder Maria an. Diese wandte die Augen schnell zu Boden, als mir gleichzeitig einfiel, was ich ihr noch sagen könnte; nicht nur könnte, sondern auch musste. Das gehörte sich schließlich so.
"Also...", begann ich und räusperte mich. "Mein Beileid."
Maria nickte. "Danke."
Ein weiterer Moment des Schweigens, diesmal aber kürzer als der letzte.
"Ich ruf dich die Tage mal an, okay?"
"Okay", meinte Maria.
"Du kannst sie ja auch besuchen kommen", schlug Leon vor.
"Ja... muss ich mal gucken wie das passt... mit Arbeit und so", sagte ich und wandte mich daraufhin wieder an Maria. "Mach's gut, ja? Pass auf dich auf!" Ich machte noch einen Schritt auf meine Schwester zu, zögerte etwas und umarmte sie kurz.
Dann lief ich zurück zum Auto.

°○°

"Diese Susanne meinte vorhin, das wäre ganz gut, wenn Leon heute bei Maria bleibt."
Mehr sagte Vater nicht, doch an seinem Tonfall war deutlich herauszuhören, dass er ganz und gar nicht der Meinung gewesen war, dass das ganz gut wäre. Und dass es, selbst wenn es eine gute Idee gewesen wäre, schon allein deswegen nicht für ihn zur Diskussion gestanden hätte, weil sie von dieser Susanne gekommen war. Von einer Frau. Einer von denen, die eine großen Klappe hatten.
"So ein armes Mäuschen! Was die alles durchmachen muss!", sagte Vater, setzte den Blinker und bog an der Kreuzung rechts ab auf der West-Hügel-Straße. "Erst stecken diese Dussels vom Jugendamt sie in ein Heim und dann sehen die auch noch zu, wie sich ihr Vater die Arme aufschlitzt!"
"Was hätten sie denn tun sollen?"
Vater ignorierte meine Frage. "Maria braucht dich jetzt."
"Die kommt schon klar", meinte ich. Und wenn nicht, wird sie einfach rumheulen, fügte ich noch in Gedanken hinzu.
Das tat sie ja immer.

Vogelscheuche und Gürtelschnalle - Teil 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt