44. Habt ihr Stress?

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°○ Maria ○°

Bereits wenige Minuten später erkannte ich mich überhaupt nicht mehr wieder.
"Wow!" Leon nickte zufrieden, während er mein Spiegelbild betrachtete.
"Ja, ich glaub, so können wir das lassen", meinte er und grinste breit. "Wie auf so nem Poster! Richtig scharf!"
Ich verdrehte die Augen. Sollte ich mich dafür jetzt bedanken?
Leon küsste mich. "Da muss ich jetzt wohl noch umso besser auf dich aufpassen. Nicht, dass da noch jemand auf versaute Ideen kommt!"
Auf versaute Ideen?
Wie meinte er das?
Sah ich jetzt wirklich so billig aus? Unanständig?
Wie eine Schlampe, mit diesem roten Top, das Leon mir angequatscht hatte?
Den Rest meines Outfits hatte er ebenfalls verändert. Oder aufgepeppt, so hatte er es ausgedrückt.
Der Rock, den ich nun anhatte, war kürzer, die Haare nicht mehr glatt, sondern lockig. Auch die Schuhe hatte ich wechseln müssen. Das war mir allerdings mehr als recht. Statt der Stilettos trug ich nun schlichte Chucks in schwarzweiß.
"Sonst tun dir nur die Füße weh", hatte Leon gemeint. "Aber die Hochhackigen machen schon echt was her."
Die müsste ich dann wohl spätestens wieder bei unserem nächsten Besuch im Zoney tragen, überlegte ich, sobald die Blasen an meinen Füßen wieder abgeheilt wären.
"Komm, lass mal schnell ein Foto machen!" Leon hatte sein Handy gezückt.
Ich stieß ein genervtes Seufzen aus. "Muss das sein?"
Ein lautes Klopfen an der Tür.
"Seid ihr jetzt gleich soweit?" Manuel.
"Ja, wir brauchen noch kurz", rief Leon ihm zu.
"Seht mal zu! Wir wollen los!"
"Alter, jetzt versau den beiden nicht die Nummer!", meldete Ali sich zu Wort. "Die sind doch bestimmt gerade erst heiß gelaufen."
"Ja, garantiert nicht in meinem Bett!", sagte Mehmet.
"Los, jetzt! Lächeln!" Leon hielt uns das Handy hin.
Ich verzog das Gesicht.
"Vielleicht treiben sie es ja auch aufm Tisch"
"Halt doch die Schnauze!", fuhr Mehmet Ali an
"Lächeln, Süße!"
"Bitte Leon... ich will das nicht!"
"Ach komm schon!" Erneut küsste Leon mich. "Ich hab mir solche Mühe mit dir gegeben! Da will ich jetzt auch was von haben!"
Ja, schön, dachte ich.
"Nun mach mal ein hübsches Gesicht!"
Leon fotografierte uns, gleich mehrmals hintereinander, dann schaute er sich die Fotos an.
"Richtig gut!" Er grinste. "Hier, willst du mal gucken?" , fragte er und hielt mir sein Handy hin.
Ich schüttelte den Kopf. "Nee, lass mal!"
Ein neues Klopfen an der Tür, härter diesmal.
"Jetzt beeilt euch mal!", rief Manuel. "Sonst fahren wir gleich ohne euch los!"
"Ist ja gut!", sagte Leon. "Chill mal, Junge!" Er lief zur Tür und öffnete.
"Habt ihr schon die Zettel ausgedruckt?"
"Ist längst alles ausgefüllt", meinte Manuel. "Fehlen nur noch die Unterschriften. Aber das ist ja eher deine Sache."
"Komm mal, Süße!" Leon streckte mir die Hand entgegen.
Ich ergriff sie, daraufhin führte er mich ins Wohnzimmer, darin war jetzt nur noch Minchen, saß auf dem Sofa und aß die restlichen Chips aus der Schüssel.
"Leon, darf ich Film gucken?"
"Jetzt nicht, Minchen."
"Wir gehen schon mal raus", rief Manuel aus dem Flur.
"Wir kommen gleich nach", rief Leon zurück. "Wo ist denn Melanie?"
"Ich bin in der Küche!"
"Achso... Okay!"
"Leon, bitte! Ich will Film gucken!"
"Ich geh jetzt gleich feiern. Wir können ja Morgen noch was gucken", versprach Leon, setzte sich neben seine Schwester aufs Sofa und küsste sie. "Jetzt gehst du gleich erst mal ins Bett."
"Will feiern gehen."
"Das geht nicht", meinte Leon. "Dafür bist du noch zu klein."
"Bin nicht klein!", protestierte Minchen und kletterte zu Leon auf den Schoß. "Da sitzt das Baby." Sie wies zu mir.
Leon nahm ihre Hand in seine, hob sie hoch und gab ihr einen sanften Kuss darauf.
"Maria nehm ich gleich mit."
"Nicht die Doofe! Ich geh mit!"
"Du gehst schlafen."
"Ich geh mit!"
"Wir machen Morgen was schönes zusammen, okay?" Leon küsste seine Schwester erneut, dann hob er sie wieder von seinem Schoß herunter und stellte sie auf die Füße. "Komm, jetzt geh dir mal Zähne putzen! Dann sag ich dir gleich noch Tschüss."
Minchen knurrte.
Leon tat es ihr gleich, da verzog Minchen genervt das Gesicht. Lief dann auf mich zu und-
"Au! Scheiße!" Ein greller Schmerz durchzuckte meinen Arm, dann weiter meinen Rücken hinunter. "Lass mich los, du Zicke!"
"Minchen!", rief Leon aus. "Was tust du denn?"
Hastig schoss er vom Sofa hoch, rannte durch den Raum und riss seine Schwester von mir los.
"Warum beißt du sie?"
"Leon, lass mich!", schrie Minchen und versuchte sich aus Leons Griff freizukämpfen. Trat nach mir. Spuckte. Und lag im nächsten Moment auf dem Rücken.
"Jetzt komm mal klar!" Leon hielt sie fest.
Minchen heulte."Will Babyscheuche beißen!" Sie spuckte wieder.
"Du spinnst doch!"
"Doofe Scheuche! Babyfot-!"
"Sei still!", fuhr Leon ihr dazwischen, dann wandte er sich an mich. "Nimm dir mal ein Kühlpack, Süße! Liegt im Gefrierfach."
"Was ist denn da los bei euch?", ertönte Melanies Stimme aus der Küche.
"Nichts", rief Leon als Antwort zurück. "Meine Schwester flippt nur gerade wieder aus."
"Soll ich kommen?"
"Nee, passt schon."
Nach wenigen Minuten war bereits wieder alles geklärt.
Minchen war auf Leons Arm und weinte. Das Toben hatte sie aufgegeben.
"Was war denn jetzt genau?", wollte Melanie wissen.
"Minchen hat Maria gebissen", erklärte Leon, rieb seiner Schwester über den Rücken und küsste sie.
"Ja, das hat Maria mir schon erzählt", meinte Melanie. "Aber warum hat sie das gemacht?"
"War wohl wieder eifersüchtig."
"Auf Maria?"
"Ja." Ein Lachen in Leons Stimme.
Ich senkte den Blick, nahm das Kühlpack von der Stelle an meinem Arm, wo Minchen zugebissen hatte und rieb die tauben Spitzen meiner Finger an dem Stoff meines Rocks, so lange, bis wieder Gefühl darin war.
"Kannst du mal eben mit ihr ins Bad gehen?", fragte Leon. "Dann kann sie sich schon mal bettfertig machen."
"Klar, kein Problem!", antwortete Melanie.
"Will nicht Bett!"
"Komm mit, Minchen!"
"Will nicht Bett!", quäkte Minchen, nun noch lauter.
"Es geht doch erst mal nur darum, dass du dir die Zähne putzt-"
"Ohne putzen!"
"Und den Schlafanzug anziehst."
"Will nicht-"
"Du hörst jetzt drauf, was man dir sagt!", mischte Leon sich ein. "Ansonsten gibt es Morgen gar nichts für dich! Kein Fernsehen! Keine Süßigkeiten! Und kein Handyspielen!" Er sah seine Schwester an. "Haben wir uns verstanden?"
Stille.
Dann wieder lautes Geheule.
"Jetzt geh!", forderte Leon seine Schwester auf. "Und hör auf hier rumzujammern! Das hält man ja nicht aus!"
"Nun komm mal mit, Minchen!", versuchte Melanie es wieder, diesmal mit Erfolg.
Die Tür knallte aber natürlich trotzdem.
"Wie geht's deinem Arm?" Leons Stimme nah an meinem Ohr.
Ich zuckte die Achseln. "Geht so."
"Geht so?" Leon legte seinen Arm um mich, begann mich zu streicheln.
"Es tut noch ein bisschen weh", gab ich zu.
"Kann ich mal gucken?"
Ich zeigte ihm die Stelle an meinem Arm, nur wenige Zentimeter von meinem Handgelenk entfernt. Sie hatte sich bereits blau eingefärbt.
"Alter, Scheiße! ", meinte Leon und fuhr mit der Spitze seines Zeigefingers sanft über die Verletzung, schob den Ärmel meines Pullovers dann wieder herunter und küsste mich. "Davon hast du noch lange was."
"Ja... ich weiß", sagte ich.
"Ist aber ja nicht schlimm, Süße. Das erkennt man unter dem Ärmel so gar nicht."
Wie schön, dachte ich, das ist ja mal die Hauptsache!
"Soll ich dir da vielleicht noch ein bisschen Gel drauf machen?", fragte Leon. "Gegen die Schmerzen?"
Ich antwortete nicht.
"Sowas zieht ja schnell ein. Dann kann man das auch mal ohne Verband nehmen."
Ich schwieg.
"Was meinst du, Süße?", fragte Leon weiter, tupfte mir dabei jetzt mit einem Taschentuch das Gesicht ab, da wurde mir erst bewusst, dass ich weinte. "Wollen wir dir das mal drauf machen?"
"Nein."
"Das kann ja auch nur ne ganz dünne Schicht sein", beharrte Leon. "Hauptsache es hilft ein bisschen."
"Ich brauch kein Gel."
"Aber dir tut das doch weh."
"Ist doch egal!"
"Ist es nicht!"
"Lass mich einfach!", schluchzte ich. "Ich komm schon klar."
"Okay..." Leon wischte mir wieder das Gesicht ab, nur ganz vorsichtig; wäre ja auch schlimm, wenn mein Make-Up jetzt verwischt! "Dann ist's ja gut."
Er rieb mir über den Rücken. "Dann bist du jetzt einfach so traurig, oder warum weinst du gerade?"
Ich schniefte. "Dafür gibt es keinen Grund."
"Okay", sagte Leon wieder. "Also willst du nicht darüber reden."
"Nein", antwortete ich. "Das bringt doch eh nichts."
"Hat es wieder was damit zu tun, was Minchen gesagt hat?"
Ich schüttelte den Kopf.
"Sicher?", fragte Leon weiter.
"Ja!", sagte ich. "Interessiert mich einen Scheiß, was die sagt!"
"Ich red trotzdem noch mal mit ihr." Wieder das Tuch in meinem Gesicht. "Dann entschuldigt sie sich bei dir."
"Ich brauch von der keine Entschuldigung."
"Ihr müsst aber mal lernen, besser miteinander klar zu kommen", sagte Leon. "Dann gehört das dazu."
"Wieso muss ich lernen, besser mit deiner Schwester klar zu kommen?", fragte ich, wobei statt deiner Schwester auch noch besser Dreckskind gepasst hätte. Oder verkommene Ausgeburt eines Dämons.
"Du hast es gesagt", meinte Leon und tupfte dann wieder, als ob das die Sache wirklich besser machen würde! "Sie ist meine Schwester."
"Ja, super!", zischte ich. "Und deswegen muss ich mich von der auch dauernd anpampen lassen!"
"Musst du nicht."
"Scheinbar ja schon!"
"Du kannst dich auch genauso gut mal wehren, Süße! Komm schon, schnaub!" Er hielt mir das Taschentuch vor. Ich schnäuzte hinein, mehrmals und fest, schämte mich, verspürte aber auch Erleichterung dabei.
"Wie soll ich mich wehren? Ich kann ihr ja schlecht eine reinhauen."
"Ja, vielleicht solltest du einfach mal was sagen", meinte Leon. "Und auch überhaupt mal mit ihr reden. Damit sie dich kennenlernen kann."
"Vielleicht will ich das ja gar nicht."
"Aber vielleicht will ich ja gerne, dass ihr beiden euch vertragt!", entgegnete Leon. "Da kannst du auch ruhig mal was für tun!"
Ja, toll, dachte ich. Jetzt bin ich wieder die Blöde, war ja klar!
Leons Handy klingelte.
"Ja?... Was heißt hier ich? Wo sind denn die anderen?... Aha... Ja, schön!", meinte er. "Wir kommen gleich runter. Gab noch ein Problem... Ja, die ist schon wieder ohne Karten, heute... Machen wir... Ja, Maria muss sich nur noch ein bisschen nachschminken... Ja, darum!" Leon lachte. "So verquollen wie die gerade aussieht, kommt die ja wohl kaum am Türsteher vorbei."
Verquollen, überlegte ich. Das war wohl noch so ein anderes Wort für hässlich.
"Ja, hat sie... Keine Ahnung, will sie nicht sagen... Ja, da geh ich von aus... Okay, alles klar!", sagte Leon und schnippte mir gleichzeitig gegen den Mund, dabei hatte ich gar nicht gemerkt, dass ich mir auf die Lippe gebissen hatte.
"Bis gleich!" Leon legte auf. "Das war Mehmet", erklärte er dann. "Er wartet unten auf uns. Die anderen sind schon mal vorgegangen."
"Okay", sagte ich.
"Dann würd ich mal sagen, du besserst deine Schminke auf, ich schmier dir noch etwas Gel auf den Arm und dann gehen wir", bestimmte Leon.
"Okay", sagte ich wieder.
"Und ab jetzt versuchst du auch mal ein bisschen Spaß zu haben. Versprichst du mir das, Süße?"
Ich nickte.
"Sag es!", forderte Leon und drückte dabei meinen Kopf zu ihm hoch, so dass ich ihn ansehen musste.
Ich zwang mich zu einem Lächeln. "Ich verspreche es."
"Gut." Leon küsste mich. "Dann halt dich auch dran!"

Vogelscheuche und Gürtelschnalle - Teil 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt