35. Guten Freunden helf ich immer gern

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°○ Leon ○°

"Ja, bestimmt nicht so, dass du die Hände in den Schoß legst und gar nichts tust!", sagte ich.
Maria senkte den Blick. "Ich hab Luca ja gesagt, dass er mich in Ruhe lassen soll."
"Da war er dir doch schon fast unters Hemd gekrochen mit seinen Pä-" Ich stockte. Pädohänden, hatte ich sagen wollen, aber das sollte ich bei Maria mal besser sein lassen, dachte ich und räusperte mich.
"Du darfst dir nicht immer alles gefallen lassen, Süße!"
"Das will ich ja auch gar nicht", sagte Maria. Sie zuckte die Achseln. "Aber hier sagt und tut sowieso jeder was er will, vor allem Luca. Da kann ich gar nichts gegen machen."
"Könntest du schon", sagte ich. "Du traust dich nur nicht."
"Ja, schön!", zischte Maria. "Ich bin eben nicht so wie du."
Diese Aussage brachte mich zum Grinsen. "Wie bin ich denn?"
"Du bist... halt stark. Wenn du was sagst, dann hören immer alle gleich auf dich.", erklärte Maria zögernd. "Dagegen bin ich doch nur ein Witz für alle."
"Blödsinn! Wie kommst-"
"Ist doch so! Mich verarschen doch alle immer nur!"
"Ja, weil du zu lieb bist. Wie gesagt."
"Schön!", zischte Maria wieder.
Ich küsste sie. "Wenn du willst, kann ich dir ja mal ein paar Sachen beibringen... wie man sich wehrt... nur so für den Notfall, wenn mal keiner von uns in der Nähe ist." So wie hier, dachte ich.
"Wen meinst du mit uns?", wollte Maria wissen.
"Die Jungs und ich", antwortete ich. "Wer sonst?"
Es klopfte.
"Ja?", fragte ich, daraufhin wurde die Tür geöffnet.
Eine Frau stand im Rahmen, so um die Zwanzig, groß und schlank mit einem unheimlich hübschen Gesicht. Auch von der ganzen Aufmachung her sah sie schon ziemlich modelmäßig aus mit ihren langen hellblonden Haaren, welche sie in einem hohen Pferdeschwanz zusammen gebunden hatte, wodurch ihre schwarz ummalten Augen noch mehr zur Geltung kamen. Als Outfit hatte sie eine schlichte schwarze Bluse gewählt, dazu dunkelblaue Skinny-Jeans und farblich darauf abgestimmte Stiefel.
So hübsch hatte Maria sich jetzt auch schon öfter zurecht gemacht, überlegte ich. Nur in den letzten Tagen hatte sie das mal wieder schleifen lassen, wahrscheinlich weil sie so krank war. Das stellte für Maria von allen ja immer noch die beste Begründung dar, um morgens einfach länger im Bett liegen zu bleiben und dann im Schmuddel-Look im letzten Moment aus dem Haus in Richtung Bushaltestelle zu rennen. Da blieb für solche Dinge wie die Zusammenstellung eines passenden Outfits, Haaremachen, Make-Up oder zumindest das Abdecken von Pickeln im Gesicht natürlich keine Zeit.
Und später heulte sie dann immer rum, dass alle sie Vogelscheuche nannten und keiner sie ernst nahm!
"Arbeitest du hier?", fragte ich.
"Ich mache hier mein Praktikum", erklärte die Blondine. "Wegen meiner Ausbildung."
"Cool", sagte ich.
"Und du bist Marias Freund?"
"Genau."
"Leon, richtig?"
"Ja, stimmt", meinte ich und lächelte. "Und wie heißt du?"
"Ich heiße Amélie", antwortete die Blondine. "Kommt ihr beiden auch zur Teezeit?"
"Nee... lieber nicht", antwortete Maria.
"Gibt es Kuchen?", fragte ich.
"Laura und ich haben Blaubeer-Muffins gebacken", antwortete Amélie.
"Klingt lecker." Ich lächelte erneut. "Dann kommen wir gleich."
"Super! Das freut mich." Amélie zwinkerte uns zu, dann schloss sie die Tür und lief weg.
Wenige Minuten später betrat ich die Küche, Maria an der Hand dicht hinter mir herführend. Sie hatte jetzt ebenfalls etwas schwarze Farbe um die Augen gemalt, Lippenstift aufgegetragen und ihre Schlabber-Klamotten bestehend aus einem Kapuzenpullover von mir und einer verwaschenen Jogginghose gegen eine hellblaue Jeans mit roten Flicken und einem farblich dazu passenden figurbetonten Pullover umgetauscht. Dazu hatte ich sie natürlich erst einmal überreden müssen, genauso wie dazu, überhaupt einen Fuß vor die Tür zu setzen.
"Wow! Maria!", rief Eileen, daraufhin drehten sich gleich alle zu uns herum. "Was hast du denn heute noch vor?"
"Wir wollen gleich noch raus", antwortete ich, noch bevor Maria es schaffen konnte sich in einen ihrer Komplexe hinein zu steigern. Die war ja grundsätzlich alles andere als begeistert davon, das Zentrum der Aufmerksamkeit zu sein.
"Hast du denn schon deinen Dienst gemacht?", fragte Susanne.
"Ich hab Flurdienst", meinte Maria. "Das wollte ich heute Abend machen.
"Ja, das macht Sinn", meinte der Betreuer mit den vielen Tattoos an den Armen, welcher sich mir an der Tür als Alex vorgestellt hatte."Dann vergiss das mal nicht!"
Ich drückte Marias Hand. "Komm!", sagte ich, führte sie zum freien Stuhl zwischen Eileen und Amélie, ließ sie sich erst dort hinsetzen und nahm dann ihr gegenüber Platz.
"Wie weit bist du mit den Hausaufgaben?", wollte Alex wissen.
"Noch nicht ganz fertig", meinte Maria.
"Aber wir haben schon gut was geschafft", log ich. "Deswegen wollten wir noch ein bisschen an die frische Luft, bevor wir weiter machen."
"Klingt doch vernünftig", meinte Alex. Er suchte Susannes Blick, die nickte.
"Ja... für mich spricht da auch nichts gegen", sagte sie. "Maria sollte sowieso viel öfter mal raus gehen, vor allem wenn sie so verschnupft ist."
"Darf ich vielleicht jetzt schon rausgehen?", fragte Maria sie. "Du kannst ja noch hier bleiben und deinen Muffin essen", fügte sie dann an mich gewandt zu. "Meinen darfst du auch ruhig haben."
"Bleib doch noch eben bei uns sitzen, Liebes!"
"Ich will aber lieber raus."
"Was stört dich denn gerade hier?", fragte Alex.
Maria antwortete nicht.
"Möchtest du einen Tee?", fragte Amélie sie und hielt ihr die Dose mit Teebeuteln hin.
Kopfschütteln.
"Mach ihr mal einfach einen", sagte Alex.
"Den mit Himbeer-Vanille trinkt sie im Moment am liebsten", meinte ich.
"Boah, könnt ihr mal aufhören, Maria so zu betüddeln?", regte Eileen sich auf. "Das nervt!"
"Wieso?", fragte Susanne. "Wenn sie das jetzt gerade braucht, ist es doch in Ordnung."
"Dann kann sie ja auch direkt ne Einzelbetreuung kriegen", sagte Laura.
"Aber echt!", meinte Eileen. "Die verhält sich wie son Kleinkind!"
"Das ist sie ja auch", mischte Luca sich ein, der kam gerade in die Küche, gefolgt von Daniel. "Vom Kopf her auf jeden Fall."
"Luca!", tadelte ihn Alex. "Das ist jetzt-" Die restlichen Worte gingen im wütenden Geschrei von Maria unter.
"Ich bin kein Kleinkind!" Ihre Stimme klang heiser, die war wohl genauso wenig auf solch einen Ausbruch vorbereitet gewesen, wie ich.
"Ich bin kein Kleinkind!", äffte Luca sie nach, piepste dabei schon fast.
"Das bin ich auch nicht!", sagte Maria.
Luca grinste. "Scheinbar ja wohl."
"Nein!", schrie Maria, jetzt noch lauter, daraufhin wurde aus dem Grinsen ein Lachen.
"Luca! Es reicht!", schimpfte Susanne.
Luca ignorierte sie. "Hörst du dir eigentlich selber mal zu?"
"Lass mich in Ruhe!" Maria brüllte jetzt.
"Wow! Hört ihr das?", höhnte Eileen. "Das Baby kann sprechen!"
"Eileen!", rief Alex.
"Nenn mich nicht Baby!", fuhr Maria sie an, kurz darauf fingen alle - Eileen, Luca, Laura und der kleine blonde Junge vorne neben Susanne - an zu singen:
"Baby! Baby! Baby-Baby-!"
"Leute!" Wieder Alex.
"Baby! Baby! Baby!"
"Muss das jetzt sein?"
"Baby-Baby-"
"Haltet die Fresse!", schrie Maria, packte ihren Kuchenteller, stand damit auf und schmetterte ihn zu Boden. "Ihr verdammten Dreckskinder!" Sie rannte aus der Küche, wenig später knallte eine Tür.
"Ja..." Ich lächelte verlegen. "Ich glaub, ich geh ihr mal besser hinterher."
Kurze Zeit später klopfte ich an Marias Tür. "Süße? Darf ich reinkommen?"
"Nein! Lass mich in Ruhe!"
Maria weinte.
Natürlich.
"Und nenn mich nicht Süße!"
"Okay..." Ich überlegte. "Wollen wir vielleicht mal spazieren gehen?"
"Nein!", schluchzte Maria wieder. "Geh du mal schön alleine spazieren!" Sie hustete. "Brauchst auch nicht zurück zu kommen!"
"Was hab ich dir denn jetzt getan?"
"Maria?" Susanne kam um die Ecke, blieb neben mir stehen, klopfte nun ebenfalls an die Tür und ging dann direkt ins Zimmer.
"Komm Liebes, lass uns mal darüber reden, was eben passiert ist."
"Ich will jetzt über gar nichts reden!"
"Warum hat dich das gerade so wütend gemacht, als die anderen dich ein Baby genannt haben?", fragte Susanne und setzte sich neben Maria aufs Bett, die hatte sich darauf zu einer kleinen Kugel zusammengerollt. "Hmm?", fragte Susanne weiter und wollte einen Arm auf ihren Rücken legen, doch Maria schlug ihn gleich fort.
"Lass mich!"
"Du bist doch schon ein großes Mädchen, oder nicht?"
Maria antwortete nicht.
"Komm, setz dich eben auf!"
Keine Reaktion.
"Guck mal, dein Freund möchte auch gerne mit dir reden", sprach Susanne weiter, daraufhin betrat ich ebenfalls das Zimmer, setzte dabei jedoch nur wenige Schritte hinein. "Meinst du, der hält dich auch für ein Baby?"
"Mich halten alle für ein Baby!", weinte Maria.
"Ich nicht", sagte ich.
"Doch!", entgegnete Maria. "Jetzt tu mal nicht so! Du sagst das immer zu mir!"
"Das stimmt doch überhaupt nicht!" Jetzt wurde ich allmählich wütend. "Sowas hab ich nie gesagt!"
"Komm mal her zu uns, Leon!", forderte Susanne mich auf. "Setz dich! Und Maria, du setzt dich jetzt bitte auch eben hin. Dann können wir uns besser unterhalten."
"Ich will mich nicht unterhalten!" Maria schniefte. "Lasst mich doch einfach in Ruhe jetzt!"
"Zuerst reden wir", sagte Susanne.
"Setz dich wenigstens mal hin!", meinte ich. Meine Fresse! Musste die sich immer so anstellen?
"Komm jetzt!", sagte ich, riss Maria die Decke weg und zog sie dann hoch, so schnell, dass sie noch nicht mal versuchen konnte, sich dagegen zu wehren. Stattdessen begann sie nun noch lauter zu schluchzen.
"Du bist gemein!"
"Ja... genau!" Ich lachte. "Erzähl mir mal was neues!"
"Bitte!" Maria hustete. "Ich will alleine sein!"
"Und ich will wissen, warum du immer so eine Scheiße erzählst!", meinte ich, fasste Maria an den Kopf und zwang sie dazu mich anzusehen. "Wann hab ich jemals gesagt, dass du ein Baby bist?"
Maria schwieg.
Ich hielt ihren Blick noch einen Moment lang fest, dann stieß ich ein belustigtes Schnauben aus. "Merkst du selber, oder?"
"Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass Leon dich für ein Baby hält", mischte Susanne sich wieder ins Gespräch. "Und sonst tut das auch niemand."
"Und warum sagen das dann immer alle?", fragte Maria.
"Wer ist alle?", fragte ich zurück.
"Ja, hier halt in der Gruppe und Ali und Manuel", sagte Maria. "Und aus der Klasse auch."
"Ja, ein paar von denen vielleicht", meinte ich.
"Deine Schwester hat das auch schon oft zu mir gesagt!"
"Ja wow! Meine Schwester glaubt auch noch an den Weihnachtsmann!"
"Ist ja schön, dass du das alles so witzig findest", schluchzte Maria.
"Ich find's eher lächerlich, dass du da jetzt so ne Show raus machst."
"Dann hau doch ab, wenn dir das alles zu blöd ist! Ich geh dir doch eh immer nur auf die Nerven!"
Schön, dachte ich und stand auf. Jetzt bin ich wieder der Böse! Ist ja klar!
"Bleib mal hier, Leon!", sagte Susanne; im selben Moment spürte ich ihre Hand an meinem Arm. "Sie meint das nicht so, oder Liebes? Möchtest du mal einen Schluck Wasser?"
"Nein!", fuhr Maria Susanne an, so heftig, dass sie wieder husten musste.
Ich setzte mich wieder und klopfte ihr auf dem Rücken. "Da hat sie noch was stehen", meinte ich und nickte zu dem halbvollen Wasserglas, welches auf dem Nachttisch stand.
Susanne nahm es und reichte es Maria, die drehte daraufhin nur den Kopf zur Seite.
"Komm, jetzt nimm einen Schluck!", forderte ich sie auf.
Maria weigerte sich, da nahm ich Susanne das Glas aus der Hand und hielt es Maria an den Mund.
"Trink!"
Maria trank.
"Geht doch!", sagte ich, gab Susanne das nun leere Glas zurück und begann Maria dann behutsam über den Rücken zu streicheln. "Bist du jetzt fertig mit Aufregen?"
"Nein!", antwortete Maria, klang dabei zwar immer noch deutlich gereizt, aber wenigstens schrie sie jetzt nicht mehr.
Schreien war ja immer noch besser als Heulen, überlegte ich. Aber beides gleichzeitig nervte richtig hart.
"Wollen wir jetzt gleich mal wieder in die Küche gehen?"
"Ich dachte, du wolltest spazieren gehen." Maria hob die Hand an ihr Gesicht und wischte sich die Tränen weg.
"Das können wir doch später immer noch machen", meinte ich. "Jetzt würde ich erst mal gerne meinen Muffin essen."
Maria schniefte. "Kannst du ja machen."
"Genau, und du kommst mit", sagte ich.
"Ich geh da nicht mehr hin", entgegnete Maria. "Dann lachen nur wieder alle!"
"Ja und? Sollen sie!" Ich küsste sie. "Das kann dir doch egal sein."
"Ist es aber nicht."
"Warum?", fragte Susanne.
"Darum!", gab Maria patzig zur Antwort.
"Süße..." Ich rieb ihr über die Arme. "Nun sei doch nicht so zickig!"
"Wieso?" Erneut zog Maria die Nase hoch. "Dann soll sie nicht immer so dummen Frage stellen!"
"Ich möchte nur ver-"
"Als ob das so geil ist, wenn immer alle Baby zu einem sagen!", fiel Maria Susanne ins Wort. "Oder Schlampe!"
Oder Vogelscheuche, dachte ich, nahm das Taschentuch, welches Susanne Maria reichte, schlug es auseinander und hielt es ihr dann wieder hin.
"Da, nimm mal, Süße!"
Maria reagierte nicht.
"Na komm! Eben Naseputzen!"
Kopfschütteln.
"Doch", sagte ich. "Das machst du jetzt!"
Einen Moment lang sträubte Maria sich noch, dann nahm sie schließlich das Tuch und schnäuzte sich.
"Gut so?"
Maria nickte.
"Oder musst du noch mal nachputzen?", fragte ich weiter.
"Nein."
"Sicher?" Ich musterte sie, dann wandte ich mich an Susanne. "Kannst du mir bitte noch eins geben?"
"Klar... Hier!" Susanne gab mir ein neues Tuch.
"Danke." Ich hielt es meiner Freundin vor die Nase. "So, komm! Nun schnaub noch mal, Süße!" 
Maria wollte erst wieder nicht, dann tat sie es, mehrmals kräftig und geräuschvoll.
"Super!" Ich rieb ihr über den Arm. "Geht's jetzt wieder besser?"
Maria nickte erneut, nahm dann, wie zum Beweis ihrer Antwort, einen tiefen Atemzug und stieß einen leisen Seufzer aus.
Dieses Mädchen, dachte ich und schüttelte den Kopf. Dass man die auch immer erst zu ihrem Glück zwingen muss!
"Nachher vorm Schlafengehen inhalierst du noch mal", meinte Susanne.
"Ich will nicht inhalieren.", sagte Maria, lehnte den Kopf jetzt an meine Schulter.
"Du musst aber", entgegnete Susanne.
"Das ist ekelig!", jammerte Maria.
"Solange es hilft, solltest du es ruhig machen", sagte ich und nahm dann die kleine Dose mit Lippencreme aus der Tasche. "Guck mich mal an!"
Maria hob den Blick, daraufhin verteilte ich ihr eine Fingerspitze voll Creme auf die rissigen Lippen.
"Meinst du, du schaffst das, jetzt gleich wieder mit rüber zu kommen?", fragte Susanne. "Dann können wir die ganze Sache klären."
"Ich will nichts klären", antwortete Maria.
"Na gut." Susanne seufzte. "Wir könnten das ja sonst auch später noch im Rahmen einer Ressourcen-Runde machen."
"Was ist eine Ressourcen-Runde?", wollte ich wissen.
"Dabei sitzen alle zusammen und sagen sich, was sie aneinander mögen."

Vogelscheuche und Gürtelschnalle - Teil 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt