34. Ist irgendwas?

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°○ Maria ○°

Daniel weigerte sich immer noch zur Schule zu gehen.
Keine Ahnung, wie er sich das vorstellte. Solange er morgens im Bett blieb, würde er seinen Fernseher auf jeden Fall nicht wieder bekommen, genauso wenig wie den Laptop und das Handy.
Auch meine Konsequenz dauerte noch an. Aber glücklicherweise nur noch bis Morgen. Da würde ich mein Handy endlich wieder bekommen und Eddie hätte keinen Grund mehr, sich darüber aufzuregen, dass er mich nicht erreichen kann. Natürlich hätte ich ihm stattdessen einfach die Festnetznummer der Wohngruppe aufschreiben können.
Leon hatte da bei seinem ersten Besuch schon nach gefragt, dachte ich und rührte in meinem Kakao. Aber der nahm sich ja immer direkt das, was er wollte, da schreckten ihn auch keine Betreuer ab.
"Wie wäre es heute mal mit Frühstück?", fragte Stella, kurz darauf versetzte mir Eileen einen Stoß in die Seite, woraufhin der Kakao natürlich direkt überschwappte.
"Ey, was soll das denn?"
"Bist doch selber schuld, wenn du mit offenen Augen schläfst!"
"Das ist nicht deine Angelegenheit, Eileen", mischte sich Stella ein. "Und selbst wenn, hättest du Maria ja nicht gleich so doll in die Seite stoßen müssen."
"Ja, wieso? Anders hö-"
"Jetzt hol dir mal einen Lappen und wisch den Kakao auf!"
"Einen Scheiß werde ich!"
"Jetzt komm!", beharrte Stella. "Da brichst du dir schon keinen Zacken für aus der Krone!"
"Bin ich hier die Scheißputze, oder was?"
"Eileen..."
"Alles gut. Ich mach das schon", sagte ich und wollte gerade aufstehen, da hielt Luca mich zurück.
"Nee, bleib du mal sitzen!", meinte er, erhob sich von seinem Platz mir gegenüber und lief zur Küche.
"Was ist denn mit dir jetzt falsch?", fragte Eileen ihn, als Luca kurz darauf mit einem Lappen in der einen und einem Blatt Küchenpapier in der anderen Hand zurück an den Tisch kam.
Luca ignorierte sie.
"Hier!" Er reichte mir das Küchenpapier. "Damit kannst du dir mal eben die Nase putzen."
"Danke." Ich nahm das Papier und schnäuzte mich, während ich gleichzeitig Luca dabei beobachtete, wie er den Kakao zuerst vom Tisch und dann nach erneutem Auspülen des Lappens ebenfalls von der Unterseite meiner Tasse wischte.
Anschließend brachte er mir noch eine Banane.
Ich bedankte mich erneut, zog die Schale ab und nahm dann einen ersten Bissen, den Blick unverwandt auf Luca gerichtet.
Was war los mit ihm? Warum war er auf einmal so nett zu mir?
"Ist irgendwas?"
"Nein", sagte ich und senkte schnell den Blick. "Ich... frag mich nur, warum du... auf einmal so nett zu mir bist."
"Ja... keine Ahnung. Vielleicht hab ich heute ja mal einen guten Tag."
"Okay..." Ich schenkte ihm ein Lächeln.
Er erwiderte es.

°○°

Leon seufzte. "Ich hab echt keinen Bock auf diese Scheiße."
"Was meinst du?", fragte ich ihn.
"Mathe in der ersten", erklärte Leon und verdrehte die Augen. "Das ist doch kacke!"
Ich zuckte die Achseln. "Immer noch besser als Sport."
Leon lachte. "War ja klar, dass du das sagst."
"Ja und? Ist doch auch so", meinte ich, zog meinen neuen Zeichenblock aus der Schultasche - den hatte Susanne mir letztens geschenkt - und dazu noch meinen Faulenzer.
"Wenn wir erst mal ein bisschen was zusammen trainiert haben, denkst du da anders rüber, das verspreche ich dir."
"Das glaub ich nicht, dass-" Ein Jucken in meiner Nase. Schnell kniff ich sie mit den Fingern zu, dann nieste ich.
"Sag mal, spinnst du?"
Ich schniefte verlegen. "Tut mir leid, ich-"
"Du kannst dir doch nicht die Nase zuhalten, wenn du niest!", schimpfte Leon. "Da kann dir ne Gehirnader von platzen!"
"Das ist doch Quatsch!", entgegnete ich.
"Ist es nicht!" Leon reichte mir ein Taschentuch. "Was meinst du denn, wie viel Druck beim Niesen entsteht?"
"Ja, keine Ahnung", sagte ich, hielt mir das Tuch vors Gesicht, nieste noch einmal und schnäuzte mich dann.
"Das kann teilweise so stark sein wie ein Orkan", klärte Leon mich auf. "Da kannst du besser so wie jetzt gerade in ein Taschentuch niesen, oder in die Ellbogenbeuge, wenn du keins dabei hast."
"Oder ich bleib einfach mal gesund.", meinte ich.
"Dazu musst du vernünftig essen", sagte Leon. "Und Sport treiben." Er zwinkerte mir zu, daraufhin verdrehte ich nur genervt die Augen.
"Was meinst du, Süße? Wir könnten doch heute schon mal anfangen mit dem Training."
"Aber ich bin doch noch krank", meinte ich
"Ja und? Wir brauchen doch keinen Marathon laufen." Leon nahm mehrere Schlucke aus seiner Energy-Dose, dann rülpste er leise. "Und das Schlimmste hast du jetzt doch auch hinter dir mit deiner Erkältung."
"Schön wär's!" Ich verzog das Gesicht. "Ich fühl mich immer noch schlecht."
"Och hör!" Leon küsste mich, als nächstes legte er mir die Hand an die Stirn. "Fieber hast du aber keins."
"Das hatte ich auch nicht", sagte ich.
"Guck, dann ist das auch nur ein harmloser Schnupfen. Damit kannst du ruhig ein bisschen Joggen gehen."
Darauf sagte ich nichts.
"Jetzt guck nicht so!" Leon lachte. "Ich hab dir gesagt, dass ich dir helfe, besser in Sport zu werden."
"Ja", murmelte ich. "Nicht nur einmal."
"Eben." Leon küsste mich. "Dann mach ich das auch."
Herr Banowski betrat den Klassenraum.
Leon seufzte. "Dann kann der Spaß jetzt ja losgehen."
"Das schaffst du schon", ermutigte ich ihn. "Hattest das doch alles schon im letzten Jahr."
"Ja, genau." Erneutes Lachen, diesmal klang es bitter. "Darum sitz ich jetzt ja auch hier... unter anderem."
Ich rieb Leon über den Arm. "Ich kann dir ja helfen, wenn du willst."
"Das wäre lieb von dir."
"Ja... in Mathe bin ich eigentlich ganz gut." Da ging es ja auch nicht darum, Referate zu halten, oder in irgendwelchen Gruppen zu arbeiten, dachte ich. Das gefiel mir an dem Fach noch am meisten.
"Was hattest du denn aufm letzten Zeugnis?", wollte Leon wissen.
"Eine Drei", antwortete ich. "Ich könnt auch ne Zwei schaffen. Aber dazu müsste ich mich halt noch mehr melden."
"Dann mach das doch!"
"Wie stehst du denn in Mathe?"
Leon zögerte. "Auf sechs", meinte er dann.
"Oh..." Erstaunt zog ich die Augenbrauen hoch. "Okay..."
"Ja... Mathe liegt mir halt nicht." Leon zuckte mit den Achseln. "Das war schon immer so."
"So wie bei mir in Sport", meinte ich.
"Das kann man nicht miteinander vergleichen."
"Wieso nicht?"
"Ja, weil... Sport kann man ja trainieren", erklärte Leon. "Da muss man nichts zu wissen. Und Mathe muss man verstehen."
"Das kann man aber auch-"
"Maria!", unterbrach Banowski mich. "Kannst du deine Aufmerksamkeit jetzt auch mal bitte dem Unterricht widmen?"
"Ja... tut mir leid", sagte ich schnell.
"Das gilt auch für dich Leon!", fügte der Lehrer hinzu und bedachte Leon mit einem strengen Blick, der quittierte das ganze mit einem frechen Grinsen.
"So... heute beschäftigen wir uns mit dem Thema Geometrie. Dazu lest ihr bitte im Buch die Seiten Zweiundsechzig bis Siebenundsechzig."
Leon stieß ein frustriertes Stöhnen aus.
"Ich kann dir das alles erklären, wie gesagt", raunte ich ihm zu.
"Das wird auch nichts bringen!"
"Sonst kannst du nachher ja auch Eddie fragen."
"Ja, genau!", meinte Leon und lachte.
"Und danach gehen wir zusammen was trinken."
"Wieso nicht?", fragte ich. "Früher wart ihr doch AAAAAH!" Panisch schoss ich vom Stuhl hoch, machte einen Satz nach hinten. Und blieb dann stehen. Wie eingefroren, den Blick immer noch auf meine Federtasche gerichtet, in der hatte ich etwas gesehen, kaum dass ich sie geöffnet hatte. Etwas großes. Schwarzes. Und haariges. Mit langen Beinen.
Eine Spinne.
Sie hatte mich angesehen!
Ich hatte ihr in die Augen gesehen!
Wie war sie da reingekommen?
"Was ist schon wieder los dahinten?", fragte Banowski, der klang jetzt deutlich ungehalten. "Wenn das so weiter geht, dann setz ich euch gleich auseinander!"
"Maria hat sich nur erschreckt", sagte Leon, kam auf mich zu, fasste mich an den Schultern und suchte meinen Blick.
"Was ist denn los, Süße? Du zitterst ja richtig." Er nahm mich in den Arm und begann mir über den Rücken zu streicheln. "Komm, beruhig dich mal! Was ist passiert?"
"Da war eine Spinne", erzählte ich und verbarg mein Gesicht an seiner Brust. "Eine richtig große."
"Wo?"
"In meiner Federtasche."
"Okay... dann warte mal kurz!" Leon küsste mich. "Ich kümmere mich darum."
"Aber du darfst sie nicht töten."
"Das werde ich nicht." Ein neuer Kuss. "Ich bring sie nur raus. Oh guck! Ist sie das?"
"Wo?", fragte ich und spürte schon gleich wieder, wie mir die Angst ins Blut schoss.
"Da!" Leon wies zum Boden, in dem Augenblick lief die Spinne gerade von meinem Tisch fort in Richtung des Materialschranks.
"Ganz ruhig!" Abermals strichen Leons Hände über meine Arme. Danach löste er seine Umarmung.
Ich sah ihm nach, wie er hinter der Spinne herlief, sich dann bückte und das Viech in die Hände nahm.
"Mach mal eben das Fenster auf!", wandte er sich als nächstes an Sabrina.
"Mach doch selber!", kam es von der zurück. "Gerne. Dann nimm mal eben kurz!"
Leon zeigte Sabrina, was er in den Händen hielt, daraufhin entfuhr der blöden Kuh gleich ein spitzes Kreischen.
"Ist mal gleich Ruhe dahinten?", schimpfte Banowski.
"Hier ist eine Spinne!", rief Sabrina zurück.
"Dann bringt sie doch nach draußen, Himmel noch mal!"
"Bin schon dabei", sagte Leon. "Hilfst du mir jetzt, oder was? Sonst kannst du die auch als Haustier behalten." Er zeigte Sabrina wieder die Spinne, kam ihr damit nun noch näher ans Gesicht, da sprang Sabrina gleich auf und öffnete das Fenster.

Vogelscheuche und Gürtelschnalle - Teil 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt