°○ Leon ○°
LEON
Toll!😬Das kann dann ja was werden, dachte ich und holte die Packung Lucky Pins hervor, welche ich im Kleiderschrank zwischen mehreren kleiner Stapel von Tshirts und Pullovern versteckt hatte.
Nur noch zwei Stück übrig.
Verdammt!
Dann müsst ich auf jeden Fall heute noch raus und welche besorgen, keine Ahnung, wie.
Hier in Pladden gab es nichts, noch nicht mal einen Kiosk. Erst in Nordhütten, etwa sechs Kilometer entfernt, war der nächste Supermarkt und eine Tankstelle daneben.
Ich brauche also auf jeden Fall Hilfe, dachte ich, oder mal wieder etwas Glück.
Meine Schwester stöhnte, musste dann husten.
"Minchen, hey!" Ich lief zu ihr ans Bett. "Wie geht es dir, mein Engel? Hast du gut geschlafen?"
"Nein", antwortete Minchen, krächzte es viel mehr. "Will auch gaanichieder träu-" Ein neues Husten ließ sie den Satz nicht zu Ende bekommen.
"Na komm! Setz dich auf!"
"Hm-mh."
"Los, komm!", forderte ich, hielt ihr nun die Flasche mit Wasser hin. "Du musst mal eben was trinken!"
"Willach Hause! Will zu Mama, jetzt!"
Sie setzte sich auf, trank ein wenig. Und sah mich an: "Wann könnir gehen?"
"Wir können nicht gehen, Minchen. Das hab ich dir doch schon erklärt."
"Ichill aber zu Mama!"
"Ich weiß, mein Engel, das-"
"Will sie sehen! Kuscheln ganzoll!"
"Wir beide können doch kuscheln, komm!", meinte ich, ließ meine Schwester auf meinen Schoß klettern, umarmte sie und gab ihr einen Kuss.
"Was hast du jetzt geträumt, erzähl!"
Minchen antwortete nicht, fing stattdessen an zu weinen, nur ganz leise, gedämpft in meinen Pullover.
"Komm, erzähl! Ich hör dir zu", meinte ich und begann ihr den Rücken zu kraulen. "Hatte es was mit Mama zu tun?"
"Mama nicheggeeh-" Meine Schwester begann wieder zu husten, würgte dann, so unvermittelt, dass schon etwas Kotze auf Klamotten und Matratze landete, bevor ich es schaffte, ihr den Eimer unter zu halten.
"Es-s-s-s-sutir so l-l-leid!"
"Ist doch alles gut! Komm, halt den mal fest!", sagte ich, ließ Minchen den Eimer und fuhr dann damit fort, sie zu kraulen. "Die dreckigen Sachen kommen gleich alle in die Wäsche, okay? Da brauchst du dir gar keine Sorgen rum machen."
Es klopfte an der Tür.
"Jetzt nicht!"
"Leon? Minchen?" Brunos Stimme, tief wie immer. Und mit widerlich guter Laune darin. "Kommt ihr zum Frühstück?"
"Gleich!"
Der Betreuer kam herein: "Gibt es ein Problem?"
"Minchen ist gerad nur ein bisschen schlecht."
"Also geht es ihr immer noch nicht besser?"
"Doch", antwortete ich schnell. "Schon viel besser als gestern. Das ist jetzt nur noch-"
"Möchtest du einen Tee?", wandte sich Bruno nun an Minchen. "Das tut dir vielleicht ganz gut."
"Ich koch ihr gleich einen."
"Das brauchst du nicht, Leon. Ich mach das gern."
"Das ist aber gar kein Problem für mich", meinte ich, während ich Minchen den Mund abwischte. "Nur jetzt muss ich hier gleich erst mal noch die Matratze neu beziehen. Also dafür hätte ich schon gerne ein neues Laken, wenn ihr das habt, oder... sonst kann ich auch ein Handtuch nehmen."
"Wir haben noch genug saubere Laken im Schrank."
"Gut, das... tut mir auch leid, dass wir das hier schon dreckig haben."
"Ist doch kein Problem." Bruno lächelte, sah dabei tatsächlich einen Moment lang weniger wie der Türsteher irgendeiner abgeranzten Deppendisco aus, sondern mal ganz nett. "Ich werde euch ein Laken holen. Und den Tee. Braucht ihr sonst noch was?"
"N-Nein? A-Alles gut", meinte ich und zwang mich nun meinerseits zu einem Lächeln. "Danke."
Der Betreuer verschwand.
"Hier!" Ich hielt meiner Schwester noch ein sauberes Taschentuch vor die Nase: "Jetzt schnaub!"
Minchen tat es.
"Und nochmal! Komm, tüchtig!"
Ich putzte ihr die Nase.
"Du musst ordentlich aussehen... So!" Ich warf das Tuch in den Eimer, reichte ihr dann die Flasche. "Nun trink noch mal was!"
Wieder gehorchte Minchen. Was soll sie auch sonst, überlegte ich. Für das übliche Tamtam fehlte ihr ja auch gerade die Kraft.
"Was willst du heute denn gerne mal machen?" Behutsam strich ich ihr durchs Haar. "Wäre doch gut, wenn wir mal ein bisschen rauskommen."
"Will zu Mama gehen."
"Und was ist mit dem Spielplatz hier? Der hat sogar ne Seilbahn."
"Will nicht blöde Seilbahn."
"Du kannst ja auch schaukeln."
Mein Handy klingelte, was ungewohnt war, denn normalerweise stellte ich es nur auf Vibrationsalarm.
Ich sah aufs Display:
Manuel.
Oder war es doch wieder Richard?
"Leon, dein Handy!"
Sollte ich rangehen?
Ich überlegte, noch vier Klingelzeichen lang. Dann war es wieder still.
Verdammt!
Was soll ich denn noch alles tun? Erst hier meine Schwester betüddeln und jetzt noch diesem werten Herrn von Arschloch helfen, weil der es mal wieder alleine nicht packte?
Was weiß ich denn, was schon wieder mit Maria war? Ich hatte sie jetzt zwei Tage lang nicht mehr gesehen. Und das war schon eine gefühlte Ewigkeit, bei all dem, was gerad hier passierte.
Diese ganze Scheiße vom Jugendamt!
Das Telefonat mit Richard.
Und, vor allem natürlich, Minchen.
Da hatte ich auch keinen Kopf mehr frei für sonst irgendwas!
Sollte Manuel sich mal schön zu Maria ans Bett setzen und ihr das Bäuchlein kraulen, mir alles gerade scheißegal!
Sollte sie heulen, schreien oder sich die Arme blutig ritzen, das war jetzt gerad nicht mein Problem.
Die Tür ging auf.
Wieder Bruno. Er brachte das Laken. Und den Tee.
"Braucht ihr sonst noch irgendwas?"
"Nein, danke. Alles gut!"
"Na dann...", meinte Bruno, lief als nächstes zum Fenster und schaute dort hinaus. "Und was habt ihr heute noch so vor?"
"Ich will zu Mama gehen."
"Da hinten ist ein Spielplatz. Den könnten wir doch mal testen."
"Das hab ich ihr schon vorgeschlagen", antwortete ich. "Hat sie aber keinen Bock drauf." Mein Handy ertönte: Manuel rief an. "Entschuldigung!"
Ich ging ran: "Was gibt's?"
"Ich sitz jetzt bei Maria."
"Aha."
"Sie hat sich schon wieder geritzt."
"Ja, toll!"
"Und geduscht hat sie wohl auch schon länger nicht mehr. Die sieht ja aus wie- Ja, ist doch so! Jetzt hör mal auf zu heulen!", fuhr Manuel Maria an, als diese protestierte. "Und sieh zu, dass du unter die Dusche kommst! Die ganze Bude stinkt schon nach dir!" Etwas knallte, kurz darauf drang ein hohes Fiepsen an mein Ohr.
"Was ist passiert?"
"Gar nichts!", antwortete Manuel knapp. "Nun steh doch auf! Meine Güte, Mädchen! Musst du halt gucken, wo du hinläufst!"
"Ist Maria gefallen?"
"Nur ausgerutscht. Auf ner Decke."
"Hä?"
"Weil der ganze Boden hier vollliegt mit Sachen."
"Dann räum sie doch weg!"
"Als ob ich das tu!", entgegnete mein Bruder, dann rief er wieder lauter: "Ist deine eigene Schuld! Jetzt geh duschen, verdammt! Beweg dich!"
"Warum hilfst du ihr nicht?", fragte ich.
"Einen Scheiß helf ich ihr beim Duschen!" Manuel lachte. "Dann kann ich sie auch gleich noch wickeln, oder was?"
"Bring sie wenigstens ins Bad!", sagte ich. "Und tröste sie vorher. Kühl ihr das Gesicht ab. Dann beruhigt sie sich."
"Die soll sich mal schön selbst beruhigen! Und alles andere auch!" Wieder lachte Manuel, wobei es diesmal noch eher ein Schnauben war. "Meine Fresse, die ist doch gestört!"
"Du bist trotzdem ihr Bruder."
"Ja, Jackpot!"
"Hör zu, ich... muss jetzt aufhören", meinte ich, nachdem ich einen schnellen Blick mit Bruno gewechselt hatte und Minchen sich schon wieder den Bauch hielt. "Ich ruf dich gleich zurück, okay?"

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Vogelscheuche und Gürtelschnalle - Teil 2
Teen FictionEndlich hat Maria es offenbart. Das Geheimnis, welches so lange schon ihr Leben bestimmt. Jetzt ist alles anders. Aber ist es auch besser? *~~•~~* Fortsetzung von: Vogelscheuche und Gürtelschnalle, Teil 1: Offene Wunden *•~~• MARIA •~~•* Ich wollt...