45. Wo ist Maria?

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°○ Maria ○°

Ich musste hier raus! Ich konnte das nicht mehr!
Dieses Arschloch immer mit seinen ganzen Sprüchen!
"Soll ich dir vielleicht mal einen Tisch suchen?"
Als ob das immer so witzig war!
"Die ist schon wieder ohne Karten, heute..."
Tränen begannen hinter meinen Lidern zu brennen. Ich drängte sie zurück.
"So verquollen wie die gerade aussieht..."
Wer war ich denn für ihn? Doch wohl nicht mehr als hässlich!
"Jetzt mach dich mal locker, Süße!"
Hässlich und verklemmt fand Leon mich, ganz egal, was er sonst noch sagte!
Ich verstand es nicht! Was wollte er überhaupt noch von mir? Was hatte er jemals von mir gewollt?
War es wirklich so, wie Eddie immer meinte? War ich seine Puppe? Ein angegribbeltes hässliches kleines Püppchen, womit er eine Weile spielte? Und danach, wenn er keine Lust mehr darauf hatte, warf er es weg. Oder er zerstörte es.
Ein Windzug fuhr mir in den Kragen. Ich schauderte.
Verfickte Scheiße noch mal! Wo sollte ich jetzt hin?
Ich hatte keinen Platz mehr hier.
Ich hatte noch nie irgendwo einen Platz gehabt!
Einen Ort, wo ich hingehörte. Ich störte immer nur alle. Musste immer nur mitlaufen, ob ich wollte, oder nicht. Musste mich hübsch machen. Lächeln. Und die Schnauze halten. Mehr sollte ich nicht, überlegte ich, drängte mich noch an einer Gruppe aufgetakelter Superschlampen vorbei zur Ausgangstür und trat dann in die kalte Nacht hinaus. Hier war es ruhig, endlich, und mein Herz beruhigte sich allmählich wieder, während ich an einer langen Schlange geparkter Autos entlang lief, als nächstes in einen schmalen Pfad zwischen dort angrenzenden Hecken bog und diesen bis zu dessen Ende passierte, woraufhin ich eine Wegkreuzung erreichte. Und ein Bushaltehäuschen, an welchem seinem verlodderten Aussehen nach wohl schon seit Jahren kein einziger Bus mehr gehalten hatte.
Es war dunkler hier als noch vorne auf dem Parkplatz, lediglich eine Straßenlaterne spendete der Umgebung ein wenig Licht.
Irgendwo aus der Ferne ertönte ein schrilles Trillern, wie von der Sirene eines Polizeiautos, aber doch noch ein wenig anders.
Ich war allein, jetzt wirklich mal und irgendwie freute mich das. Es fühlte sich besser an, nun hier alleine im Dunklen zu sitzen als eben noch alleine in dem ganzen Gedränge von Menschen zu stehen und sich dabei wie das letzte Stück Scheiße zu fühlen.
Fast kam es mir hier so vor, wie in einem dieser Horrorfilme, welche ich mir immer mit Leon ansehen musste, in denen irgendwelche dämlichen Jugendliche auf dem Weg zu einer Party vom richtigen Weg abkamen und dann in eben genaus einer Einöde landeten, wo dann bereits irgendwelche Monster auf sie warteten, um sie bei lebendigem Leib in Stücke zu schneiden.
Aber ich hatte keine Angst.
Sollte doch kommen, wer wollte!
War mir ganz egal, was mir dann passierte. Selbst wenn ich sterben müsste.
Was sollte das schon schlimmer machen?
Es war doch so schon schlimm genug mit mir.
Dieses verkackte Leben, in dem ich gefangen war!
Ich hatte die Schnauze voll davon!
"Was machst du hier?"
Ich zuckte zusammen, im selben Moment trat Luca in den Lichtkegel der Straßenlaterne, eine Flasche in der Hand.
"Wo ist dein Freund?"
"Weiß ich nicht", antwortete ich.
Luca kam näher, musterte mich jetzt genauer. Dann grinste er. "Hast du schon wieder geheult?"
"Nein!"
"Siehst aber so aus", meinte Luca und deutete dann auf den Platz neben mir auf der Bank. "Darf ich?"
Was fragte er das jetzt? Ansonsten tat er doch auch einfach immer alles, was er wollte, überlegte ich, nickte dann aber.
"Habt ihr euch gestritten?"
"Nein", sagte ich.
"Also ja." Luca setzte sich. "Worum ging's?"
"Wir haben uns nicht gestritten."
"Hat er fremdgevögelt?"
"Nein!"
"Aber du bist sauer auf ihn, hab ich Recht?"
Ich starrte Luca an. Woher wusste er das?
"Ja, Nuckelchen, du hältst dich vielleicht für geheimnisvoll oder so, aber für mich bist du ein offenes Buch."
"Ich halte mich nicht für geheimnisvoll."
"Das bist du auch nicht", meinte Luca.
Ich fröstelte wieder, auch meine Zähne begannen nun zu klappern. Das ärgerte mich.
"Ist dir kalt?"
Ich antwortete nicht.
"Hier, trink mal einen Schluck!" Luca hielt mir die Flasche hin. "Das wärmt dich auf."
"Was ist das?", fragte ich.
"Rum.", antwortete Luca, schraubte die Flasche auf, nahm einen Schluck daraus und reichte sie mir wieder. "Los, probier mal!"
"Ich möchte nichts, danke."
"Nur einen Schluck, komm schon!"
"Nein, danke."
"Danke, danke, danke!" Luca stieß ein gereiztes Stöhnen aus. "Das ist doch für'n Arsch!"
Ich biss mir auf die Lippe.
"Bist du immer so ein braves Mädchen?"
"Nein."
"Ich glaube wohl", entgegnete Luca, setzte noch einmal die Flasche an und atmete dann geräuschvoll aus.
"Ich hab mich schon mal bewusstlos getrunken."
"Bewusstlos getrunken?" Luca lachte. "Du meinst, du hast gesoffen."
"Ja", meinte ich. "Bis ich bewusstlos war."
"Wow!", sagte Luca, klang dabei allerdings alles andere als beeindruckt. "Das ist ja heftig!"
Er verarscht mich, dachte ich, verschränkte die Arme vor der Brust und versuchte mich warm zu reiben, jedoch ohne, dass es wirklich etwas brachte.
"Die Polizei ist auch schon mal wegen mir gekommen."
"Ja, weil dein Vater sich umgebracht hat."
"Ich meine letztens beim Filmabend, als ich abgehauen war."
"Ja, stimmt." Luca lachte. "Warum war das noch mal?"
"Ich mag diese Frozen-Scheiße nicht", antwortete ich.
"Was magst du dann für Filme?", wollte Luca wissen.
"Keine Ahnung."
"Horror?"
"Nein! Sowas hasse ich!"
"Aber Liebesfilme magst du."
"Nur die guten", sagte ich.
"Und wie hat dein Vater sich umgebracht?" Der plötzliche Themenwechsel erschreckte mich.
"Hat er sich in den Kopf geschossen?"
Ich schüttelte den Kopf.
"Wie hat er es dann gemacht?", wollte Luca wissen.
"Er... hat sich die Arme aufgeschnitten", erzählte ich nach einigem Zögern. "In der Badewanne."
"Und Leon hat ihn gefunden?"
"Ja." Ein Kloß bildete sich in meinem Hals. "Mit meinem Bruder zusammen."
"Scheiße!" Luca nahm noch einen Schluck, bot mir dann erneut die Flasche an. "Darauf würde ich jetzt mal einen trinken, an deiner Stelle."
Ich zögerte etwas, dann nahm ich die Flasche. Nippte kurz daran. Und begann zu husten.
"Nimm gleich noch einen Schluck!", forderte Luca. "Dann wird's besser!"
"Lieber nicht", sagte ich und wollte ihm den Rum zurückgeben, doch Luca nahm ihn nicht an, schob die Flasche stattdessen zurück in meine Richtung. "Vertrau mir ruhig, Nuckelchen! Wenigstens wenn's ums Saufen geht. Da kenne ich mich aus."

Vogelscheuche und Gürtelschnalle - Teil 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt