°○ Maria ○°
"Bist du wütend auf mich?"
"Wütend?", fragte Leon überrascht. "Auf dich?"
"Wegen der Sache heute in der Schule", erklärte ich. "Weil ich da so ausgeflippt bin, als du mir helfen wolltest."
"Ach, das war doch nichts."
"Ich hab dich geschlagen!"
"Ein bisschen geknufft vielleicht, Süße", meinte Leon. "Da bin ich doch ganz andere Sachen gewohnt."
"Trotzdem, das hätte ich nicht tun dürfen."
"Alles gut!"
"Es tut mir leid."
Hauptsache, dir geht's wieder besser."
"Bist du bei Mehmet?"
"Ja", antwortete Leon. "Zusammen mit Minchen."
"Okay..."
"Wir schlafen hier heute."
"Gab's wieder Ärger bei euch Zuhause?"
"Ja... schon ein bisschen", sagte Leon. "Hätte aber schlimmer sein können."
"Was war denn los?"
"Wir hatten Besuch. Wieder vom Jugendamt."
"Und da ist Richard böse geworden?"
"Das wird er immer danach." In Leons Stimme kratze es. Er hustete. "Wenn die Tusse wieder weg ist."
"Hat er dir wehgetan?", wollte ich wissen. "Also Richard?"
"Nee", antwortete Leon, so gleichgültig, als hätte ich ihn eben gefragt, ob er schon die neusten Vokabeln gelernt hatte. "Der ist diesmal direkt auf Sabine los. Da konnten wir so abhauen."
"Achso... dann ist's ja- also ich meine..." Meine Güte! Konnte ich nicht mal einen geraden Satz rausbringen? "Das freut mich, dass dir nichts passiert ist, und deiner Schwester."
"Kommst du Morgen wieder zur Schule?"
"Ich weiß noch nicht", antwortete ich.
"Weil wegen keine Lust, oder-"
"Ich schwänze nicht!"
"Dann geht's dir also doch noch schlecht", stellte Leon fest.
"Das hab ich nicht gesagt!" Wut kam in mir hoch. Ich nahm einen tiefen Atemzug, versuchte mich zu beruhigen. Leon sollte sich keine Sorgen machen. Dann ging er nur immer dazu über, mich mit Fragen zu bombardieren, auf die ich nichts antworten wollte. "Ich brauche einfach nur meine Ruhe, das ist alles."
"Gut", sagte Leon. "Dann bleib Zuhause!"
"Ich habe kein-"
"Okay!", fiel Leon mir ins Wort. "Du hast kein Zuhause, schon klar!" Er nieste. "Warte mal eben kurz!" Das Telefon wurde weggelegt. Kurz darauf hörte ich ein zweites Niesen, gefolgt von einem lauten Schnäuzen.
"Ich hab mein Nasenspray vergessen", meldete sich Leon zurück, wie um sich zu entschuldigen. "Dann muss ich immer hundertmal so oft schnauben. Und bringen tut das gefühlt gar nichts!" Er räusperte sich. "Was machst du heute noch?"
"Keine Ahnung", sagte ich. "Vielleicht noch ein bisschen zeichnen."
"Oder du machst was zusammen mit deinen Mitbewohnern", schlug Leon vor. "Einen Film gucken, ein bisschen was-"
"Ich will jetzt lieber alleine sein."
"Das ist aber vielleicht gar nicht so gut, Süße."
"Für mich ist es gut."
"Soll ich vielleicht noch eben vorbeikommen?"
"Du meinst, mit Minchen zusammen?"
"Ja..." Leon überlegte kurz. "Die lass ich dann mit meinem Handy spielen oder so."
Genau, dachte ich. Als ob er dieses Drecksbalg damit wirklich ruhig stellen konnte! Das hatte ja bisher immer ganz super geklappt!
"Was meinst du, Süße?"
Ich antwortete nicht. Wie sollte ich das jetzt auch in Worte fassen? Dass ich keine Lust auf ihn hatte? Und auf seine Schwester? Und auf überhaupt niemanden?
"Wir können in dreißig Minuten bei dir sein, spätestens in ner Dreiviertelstunde. Was meinst du?", fragte Leon wieder. "Wollen wir das so machen? Ich kann uns auch Pizza mitbringen. Und dann machen wir es uns gemütlich, reden-"
"Ich hab schon gegessen", log ich.
"Dann hol ich uns Milchshakes", sagte Leon nach einem kurzen Moment des Überlegens. "Von Vakoro. Die haben auch Frozen Yoghurt, oder Waffeln, wenn du das lieber magst. Oder-"
"Ich will nichts essen!" Wieder fuhr ich ihm dazwischen. "Und ich will auch niemanden sehen!"
So! Jetzt hatte ich es gesagt.
Verdammte Kacke noch mal!
"Es tut mir leid, Leon."
"Schon gut!"
"Sei bitte nicht böse mit mir!"
"Ich bin nicht böse auf dich."
Aber du solltest es sein, dachte ich. Und du bist es sicher auch.
Scheiße, was mache ich auch hier? Leon will mir helfen! Und ich tu ihm immer nur weh dafür!
"Das ist mir einfach alles zu viel gerade." Meine Stimme klang jetzt fiepsig, wie bei einem Welpen. Nur dass Welpen niedlich waren, wenn sie so quieksten. Da wollte man sie immer gleich knuddeln. Mir wollte man in solchen Momenten höchstens die Luft abdrücken. "Der ganze Stress heute in der Schule, mit Kunze und... keine Ahnung." Tränen begannen in meinen Augen zu brennen. "Ich leg jetzt besser auf."
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Vogelscheuche und Gürtelschnalle - Teil 2
Teen FictionEndlich hat Maria es offenbart. Das Geheimnis, welches so lange schon ihr Leben bestimmt. Jetzt ist alles anders. Aber ist es auch besser? *~~•~~* Fortsetzung von: Vogelscheuche und Gürtelschnalle, Teil 1: Offene Wunden *•~~• MARIA •~~•* Ich wollt...