~𝟜𝟛~

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"Lou? Lou, bist du da drin?", hörte ich plötzlich eine Mädchenstimme und eine Hand klopfte leise gegen die Kabinentür.

Seufzend öffnete ich sie und Phoebe kam herein und setzte sich auf meinen Schoß. Ich legte meine Arme um ihren Bauch und hielt sie fest, damit sie nicht hinunter fiel.

"Ich wollte dich nicht so anmachen, tut mir leid", seufzte ich nach einer Weile, "Ich bin einfach nur ein bisschen gestresst im Moment."

"Heute war dein erster Studientag nach den Ferien oder?", hakte sie nach. Ich nickte. "Wie heißt dein Freund denn?"

"Harry."

"Das ist ein schöner Name", lächelte sie, "Kommst du wieder mit nach oben? Dein Essen wird sonst ganz kalt und meins auch."

"Okay", stimmte ich zu und wir standen beide auf. Sie griff nach meiner Hand und ich hielt sie fest, während wir die Treppen hoch gingen und uns schließlich zum Rest meiner Familie an den Tisch setzten. Das Essen war bereits da, doch sie hatten alle auf uns gewartet und sahen mich nun an. Ihre Blicke konnte ich nicht ganz deuten und ich wusste nicht, ob das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen war.

Als ich mich setzte, griff meine Mum nach meiner Hand und drückte sie liebevoll. "Louis", sagte sie kaum hörbar und ich sah, dass es in ihren Augen verdächtig glitzerte, "Wieso hast du uns das denn nicht schon früher erzählt?"

"Ich wusste ja selbst noch nicht richtig, dass ich... schwul bin... Ich hab mich mit dem Thema nie wirklich befasst, weil ich durch den ganzen Prüfungs- und Lernstress genug um die Ohren hatte. Außerdem hatte ich Angst, dass ihr... dass ihr dann vielleicht enttäuscht seid...", antwortete ich.

"Wieso sollten wir enttäuscht sein? Wir lieben dich genauso, wie du bist, egal ob du jetzt auf Männer oder auf Frauen stehst. Wir werden dich immer lieben, vergiss das nicht."

"Ich weiß Mum", erwiderte ich und merkte, wie sich in meinen Augen jetzt ebenfalls Tränen sammelten. Ich drehte mich zu meiner Mum und schloss sie in eine lange Umarmung. Wieso hatte ich bloß solche Angst gehabt?

"Er heißt Harry", verkündete Phoebe, stolz darauf, dass sie es als einzige wusste, nachdem ich mich wieder von meiner Mum gelöst hatte.

"Können wir Harry denn mal kennenlernen?", fragte mein Dad nun interessiert.

"Bestimmt", lächelte ich.

"Und jetzt möchte ich ein Foto sehen", meinte Daisy und sah mich erwartungsvoll an.

"Ist ja gut, ist ja gut", grinste ich und zeigte ihr ein Foto, dass Niall vor ein paar Tagen von Harry und mir geschossen hatte.

"Heilige Scheiße, sieht der gut aus!", rief Lotti und verschluckte sich an Felicites Cola. Diese klopfte ihr nun lachend auf den Rücken und mein Dad strafte sie wegen ihrer Ausdrucksweise mit einem bösen Blick.

Dann begannen wir mit dem Essen. "Wie läuft es eigentlich mit deinem Studium? Heute war ja der erste Tag nach den Ferien oder?", fragte mein Dad und sah mich erwartungsvoll an.

Ich seufzte. Es war ja klar, dass er sich danach erkundigen musste. Aber wie zur Hölle sollte ich ihm erklären, dass ich heute im Büro des Direktors gewesen bin und einen Antrag zum Kündigen meines Studiums gestellt hatte? Genau das hatte ich nämlich getan. Ich wusste, dass er vielleicht ein wenig übereilt war und ich wusste, dass es vielleicht dumm war und ich wusste, dass ich damit wahrscheinlich meine gesamte Karriere einfach weg warf, aber es fühlte sich gut an.

"Ich habe das Studium geschmissen", antwortete ich und jetzt war es mein Dad, der sich an seinen Nudeln verschluckte.

"Bitte was?", fragte er, als er sich wieder einigermaßen gefangen hatte.

"Ich habe das Studium geschmissen", wiederholte ich, auch wenn ich mir sicher war, dass er mich verstanden hatte. "Ich habe schon länger mit dem Gedanken gespielt", fuhr ich fort und das entsprach sogar der Wahrheit, "Es ist einfach... Das ist nichts für mich. Dieser ständige Leistungsdruck, die vielen Prüfungen, immer dieser Ehrgeiz, der beste sein zu müssen. Ich habe euch das nicht erzählt, weil ich euch nicht enttäuschen wollte. Ich wollte es durchziehen, um euch stolz zu machen, aber ich habe gemerkt, dass das eigentlich totaler Bullshit ist."

Ich holte kurz Luft und blickte in die fassungslosen Gesichter meiner Familie.

"Ich sollte das für mich machen und weil ich Spaß daran habe und weil ich später Anwalt werden möchte, aber ich möchte das überhaupt nicht. Der einzige Grund, warum ich Jura studiere ist, dass ihr das immer wolltet. Ihr wolltet, dass ich gute Noten schreibe, damit ich einen guten Studienplatz bekomme und später dann einen guten Job. Dabei hätte ich viel lieber irgendetwas mit Freunden gemacht oder wäre stattdessen einem Hobby nachgegangen, anstatt den ganzen Tag zu lernen. Ich möchte nicht Anwalt werden, dass war immer euer Traum, nicht meiner. Und ich habe jetzt begriffen, dass ich endlich glücklich werden möchte und die Kündigung meines Studiums der erste Schritt dafür ist."

Ich blickte in die geschockten Gesichter meiner Eltern.

"Louis, ich dachte immer, das wäre auch dein Traum. Warum hast denn nichts gesagt? Ich wollte dich doch nicht zu etwas zwingen, was du gar nicht möchtest", sagte mein Vater fassungslos.

"Ich... ich... ich hatte ja nie die Chance, etwas dagegen zu sagen. Es war ja schon beschlossene Sache, als ich noch in der Grundschule war und nicht nachmittags mit den anderen kicken durfte, weil ich lernen sollte."

"Aber ich habe das doch für dich getan. Ich wollte früher immer Anwalt werden, aber meine Eltern haben mich nie darin unterstützt und deshalb war es für mich ein langer und steiniger Weg... ich wollte es dir bloß einfacher machen und dich unterstützen."

"Oh", brachte ich nur heraus.

"Louis, wir wollten immer nur, dass du glücklich bist", mischte sich meine Mum nun ein und legte ihre Hand sanft auf meine, "Wir hatten ja keine Ahnung, dass dir das so zu schaffen gemacht hat. Wir wollten bloß, dass du eine sichere Zukunft hast, aber wenn du dabei nicht glücklich ist, dann solltest du etwas anderes tun... etwas, das dich glücklich macht."

"Seid ihr jetzt enttäuscht?", fragte ich zögerlich.

"Nein Louis, wir sind stolz darauf, dass wir dich als Sohn haben, egal was du später wirst", antwortete meine Mutter und auch mein Vater lächelte bestätigend.

Erleichtert atmete ich aus. Es fühlte sich gut an, ab jetzt nicht mehr vortäuschen zu müssen, jemand zu sein, der ich überhaupt nicht war und niemals sein wollte.


Was wollt ihr später werden? :)

1016 Wörter - Ivy

All your little things - LarryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt