~𝟜𝟜~

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Nach ein paar Tagen war meine Kündigung endlich durch und der ganze Albtraum mit dem Studium endlich hinter mir. Ich war frei und konnte nun endlich das tun und lassen was ich wollte und mein Leben leben. Meine Eltern hatten mich gefragt, was ich denn jetzt als nächstes vorhatte, doch das wusste ich selbst noch nicht genau. Ich hatte beschlossen, mir darüber auch nicht weiter Gedanken zu machen, sondern das zu tun, was das Schicksal für mich vorsah. Und da das Schicksal Harry und mich zusammengeführt hatte, war das erste, was ich tat, zu ihm zurück zu fahren.

Niall war ein wenig verwirrt gewesen, aber nachdem ich ihm alles bis ins kleinste Detail erzählt hatte, war er ganz aus dem Häuschen gewesen und hatte gemeint, dass ich bei ihm immer willkommen war und so lange bleiben durfte, wie ich wollte.

Jetzt starrte ich aus dem Bahnfenster und betrachtete den Regen, der leise gegen die Scheibe trommelte. Seit ich eingestiegen war, hatte ich ein breites Grinsen im Gesicht und die anderen Bahnfahrer fragten sich bestimmt schon, ob ich irgendetwas genommen hatte. Mit Harry hatte ich, wie versprochen, bis jetzt jeden Tag telefoniert, aber ich hatte ihm weder vom Abbruch meines Studiums noch von meinem bevorstehendem Besuch erzählt. Ich wollte ihn überraschen.

Als ich endlich am Bahnhof ankam, nahm ich mein Gepäck und hüpfte hinaus auf den Bahnsteig. Ein aufgeregtes Kribbeln legte sich über meinen ganzen Körper und auch das Wetter schien es gut mit mir zu meinen, denn es hatte wieder aufgehört zu regnen und nieselte nur noch leicht. Da Wochenende war und Niall heute nicht zur Uni musste, hatte er angeboten, mich vom Bahnhof abzuholen, aber ich hatte dankend abgelehnt. Vom Bahnhof war es nicht weit bis zur Wohnung und die paar Meter konnte ich auch zu Fuß gehen.

Ein paar Minuten später befand ich mich schließlich im Fahrstuhl des Hochhauses, in dem die Wohnung lag und als er endlich anhielt, trat ich hinaus. Ich stellte mein Gepäck vor der Wohnung ab und wollte gerade klingel, als ich von drinnen plötzlich gedämpfte Stimmen hörte. Ich konnte nicht verstehen, was gesagt wurde, aber freundlich hörte es sich keinesfalls an. Stritten Niall und Harry sich vielleicht?

Immer noch ein wenig verwundert klingelte ich schließlich. Keine Reaktion. Ich wartete ein paar Minuten und klingelte erneut. Wieder keine Reaktion. Niall wusste doch eigentlich, dass ich kam. Plötzlich hatte ich eine Idee und bückte mich, um die Fußmatte anzuheben und tatsächlich, darunter lag ein Wohnungsschlüssel. Ich drehte ihn und öffnete leise die Tür.

"Das war bestimmt nur der Postbote und jetzt hör endlich auf, zu heulen!", hörte ich eine tiefe Männerstimme, die allerdings weder Harry noch Niall gehörte.

Leise schlich ich durch die Wohnung und in Richtung der Stimmen. Was war hier los und wer war das?

"Ver... schwin... de!", hörte ich plötzlich Harrys brüchige Stimme und mir gefror das Blut in den Adern.

"Harry!", rief ich panisch und rannte ins Wohnzimmer, aus dem die Stimmen kamen.

Ein älterer Mann stand im Raum vor Harry, der zusammengesunken auf der Couch saß, das Hemd aufgerissen und die Augen rot vor Tränen. Ich zählte eins und eins zusammen, packte den Mann, der mich erschrocken ansah, am Kragen und drückte ihn gegen die Wand.

"Wagen Sie es ja nicht, ihn noch einmal anzufassen", zischte ich wütend und versuchte, nicht die Beherrschung zu verlieren.

"Louis, um Gottes Willen, lass sofort den armen Mann los!", hörte ich plötzlich eine Stimme hinter mir, die vermutlich Niall gehören musste. Wahrscheinlich war er gerade nach Hause gekommen.

Doch bevor Niall noch irgendetwas sagen oder tun konnte, hatte ich meine Faust mitten ins Gesicht des Unbekannten geschmettert. Er schrie laut auf und versuchte sich loszureißen, doch ein Tritt von mir mit dem Knie in seine Magengegend brachte ihn zum Schweigen und ließ in auf dem Boden zusammensinken. Er krümmte sich vor Schmerzen, doch das war mir gerade herzlich egal.

Als ich mir sicher war, dass er aus eigener Kraft wohl kaum wieder auf die Beine kam, ging ich zu Harry hinüber und setzte mich neben ihn auf die Couch. Panisch wich er vor mir weg und zuckte zusammen, als ich meine Hand ausstreckte und vorsichtig seinen Rücken streichelte.

"Hey", flüsterte ich leise, "Alles ist gut, ich bin's Louis."

Ich legte meine Hände an seine Wangen und wischte mit den Daumen liebevoll seine Tränen weg. Er sagte nichts, sondern sah mich nur wie ein verschrecktes Reh aus seinen wunderschönen grünen Augen an.

"Alles ist gut Harry", wiederholte ich leise und küsste ihn vorsichtig auf die Stirn.

Dann breitete ich meine Arme aus und Harry robbte tatsächlich ein Stück zu mir herüber. Er kuschelte sich dicht an mich und legte seinen Kopf auf meine Brust. Beruhigend strich ich ihm über den Rücken, während er leise schluchzte und seine Hände in mein T-Shirt krallte.

Ich hob meinen Blick und sah Niall, der ein wenig verwirrt und überfordert mit der ganzen Situation im Türrahmen stand. Dann löste er sich aus seiner Starre und setzte sich auf Harrys andere Seite auf die Couch. Er kuschelte sich an ihn und streichelte ebenfalls beruhigend über seinen Rücken.

"Wo... warst du... Niall", schluchzte Harry leise.

"Einkaufen", antwortete Niall und Harry nickte wortlos.

Eine ganze Weile saßen wir so da, bis sich Harry ein wenig beruhigt hatte. Dann standen Niall und ich auf und verfrachteten den Mann in das Badezimmer, dass wir von außen abschlossen, damit er sich nicht aus dem Staub machen konnte.

Da Niall immer noch ein wenig verwirrt war und überhaupt nicht verstand, was hier eigentlich los war, erzählte Harry ihm alles und meine Vermutung, dass der Fremde Harrys Vater war bestätigte sich. Wäre das nicht der Fall gewesen, hätte ich wahrscheinlich ganz schön blöd da gestanden. Er hatte Harry anscheinend auf irgendeine Art und Weise gefunden gehabt und da dieser nicht mit ihm gerechnet hatte, hatte er beim Klingeln natürlich die Tür aufgemacht.

Niall lauschte der ganzen Geschichte aufmerksam und drückte Harry fest an sich, als dieser sie beendet hatte. Er wiederholte immer wieder, wie leid es ihm tat, dass er nicht da gewesen war, auch wenn Harry immer wieder sagte, das es nicht seine Schuld war.

Irgendwann stand Niall dann auf und rief die Polizei, die nur ein paar Minuten mitsamt Krankenwagen kam. Sie wussten nicht, ob Harrys Vater schlimmere Verletzungen hatte und ließen ihn deshalb erst einmal vorläufig untersuchen, bevor sie ihn fest nahmen. Zum Glück akzeptierten sie meinen kleinen Ausraster als Notwehr und nicht als Körperverletzung.

Harry, Niall und ich müssten Morgen auf die Polizeiwache kommen, um Aussagen zu machen, damit sie den Kerl endgültig festnehmen konnten, wobei das eigentlich nicht einmal nötig wäre, da seine frühere Anzeige von Harrys Mutter noch immer galt und damals bereits Aussagen gemacht worden waren.

Als alle endlich weg waren und Harry, Niall und ich alleine waren, war es bereits Abend und wir beschlossen, nach einer Tiefkühlpizza noch einen Film zu gucken. Auch die kleine Katze gesellte sich dazu und rollte sich neben Harry, der sich dicht an mich gekuschelt hatte, schnurrend zusammen.

"Pizza und Film am ersten Abend, wenn Lou kommt", grinste Niall, "Das ist jetzt ja fast schon ein Ritual."

"Stimmt, irgendwie schon", bestätigte ich.

"Warum bist du eigentlich hier?", fragte Harry an mich gewandt.

"Hab mein Studium geschmissen."

"Ich wusste doch, das Anwalt nichts für dich ist", murmelte Harry leise, bevor er müde die Augen schloss und in meinen Armen einschlief.


1195 Wörter - Ivy

All your little things - LarryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt