Sich die dichte schwarze Mähne raufend, tigerte Bela Runde um Runde durch die Gruft. Er hatte Scheiße gebaut. Absolute, verdammte, beschissene Scheiße.
Alle erdenklichen Szenarien waren ihm bereits durch den Kopf gegangen. Effy, wie sie ihn anschrie und ihm Vorwürfe machte, oder – weit unwahrscheinlicher, auch wenn er es absolut verdient hätte – wie ihn das kleine Mädchen verprügelte. Vielleicht brach sie auch gerade unter Tränen zusammen, überlegte der Mann, gepeinigt aufstöhnend. Daran, dass sie einfach wortlos abhauen und nie wieder kommen würde, wagte der Punk überhaupt nicht zu denken. Doch auch die trostspendende Vorstellung, wie sie ihn nach einem klärenden Gespräch leidenschaftlich küsste, weil ihr endlich bewusst geworden war, dass sie ihn ebenfalls liebte, schob Bela schnell wieder beiseite. Die Enttäuschung, falls es ganz anders lief, würde ihm das ohnehin schon angeschlagene, dunkle Herz brechen.
Das Auftauchen von Jans Freundin fühlte sich an wie eine Art Befreiungsschlag aus der schrecklichen Ungewissheit, obwohl sein Puls mit derselben Geschwindigkeit weiter raste und der Magen des Punks sich nur noch mehr verkrampfte, bis Bela für einen Augenblick fürchtete sich übergeben zu müssen. Das aufgeregte „Effy will mit dir reden...", kam dem Mädchen hastig über die Lippen, während ihr ernster Blick den Punk kritisch von oben bis zu den zerkratzten schwarzen Stiefeln musterte.
Zielstrebig schob die Blonde sich zwischen den Leuten hindurch, welche der Siebzehnjährigen - so gut dies im schmalen Flur eben ging - Platz machten, in den Gesichtern unverhohlene Neugierde. Ein paar seiner Freunde klopften dem Schlagzeuger im Vorbeigehen mitfühlen oder gar aufmunternd auf die Schulter, offensichtlich hatte die Geschichte bereits die Runde gemacht. Wobei dies nicht unbedingt verwunderlich war, wenn man bedachte, dass die Wohnung wirklich winzig war und die Hälfte der Leute direkt neben ihm gestanden hatte, als er seine Abfuhr erhielt.
Bela stockte, als er die schmale Gestalt auf dem Balkon erblickte. Ruhig stand sie da, aufrecht, den Blick in den dunklen Nachthimmel gerichtet und nur die leicht hochgezogenen Schultern deuteten darauf hin, dass nicht alles in bester Ordnung war. Wunderschön, aber zugleich unerreichbar wie der Mond.
"Ich lass euch dann mal allein...", verkündete Ramona und schenkte dem Schwarzhaarigen noch einen aufmunternden Blick, in dem die Sorge jedoch nicht ganz verborgen blieb. Mit einem Klacken schloss sich Jans Zimmertür und sperrte die Party aus, soweit dies denn möglich war.
Alle möglichen Entschuldigungen waren Bela bereits durch den Kopf gegangen, doch als der junge Mann nun auf den Balkon ins Mondlicht hinaus trat und in das gefasste Schweigen eintauchte erschienen ihm die zurechtgelegten Worte alle wertlos. Sie waren immer ehrlich miteinander gewesen und sich nun für den Kuss zu entschuldigen, der ihm so viel bedeutet hatte und den er trotz aller Angst, seine beste Freundin zu verlieren, nicht vollständig bereuen konnte, fühlte sich falsch an.
Für einen Augenblick herrschte Schweigen zwischen den beiden. Effy blickte noch immer zum Mond hinauf und schien in Gedanken ganz weit weg zu sein, während Belas ganze Welt sich auf den anderthalb Quadratmetern des Balkons konzentrierte.
Er musste unbedingt etwas sagen, das Mädchen würde ihm diese Bürde nicht abnehmen. Mit ihrem kühlen Schweigen konnte sie alles und jeden ersticken, auch jetzt fühlte der Dunkelhaarige bereits, wie ihm die ungesagten Worte den Atem raubten.
„Effy, ich weiß nicht, was ich sagen soll...", gestand Bela zögerlich, den Blick auf die eigenen Hände gerichtet, welche sich so fest um das kühle Metall der Brüstung klammerten, dass die Knöchel weiß hervor traten.
„Dann lass es." Die Worte hätten unfreundlich, gar grob klingen können, doch als trauriges Flüstern erschienen sie dem Mann eher wie ein wehmütiger Abschied. Ein weiterer Riss tat sich in seinem Herzen auf und alles in ihm schrie danach, die Arme um die zierliche Gestalt zu schlingen, ihren Körper an sich zu ziehen und am Fortgehen zu hindern. Doch einen solchen Fehler würde er diese Nacht nicht wiederholen. Es war seinetwegen bereits genügend Schaden entstanden, womöglich mehr, als ihre Freundschaft ertragen konnte.
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𝐌𝐲𝐬𝐭𝐞𝐫𝐲𝐥𝐚𝐧𝐝 (Die Ärzte FF)
Fanfiction1984 West-Berlin ist eine Insel im roten Meer, zu allen Seiten umzäunt von einer meterhohen Mauer. Einer Grenze, die weit tiefer reicht als ihr bloßes Fundament. Sie umfasst eine andere Welt, deren pulsierendes Leben die Sehnsüchte junger Menschen a...