Mitternacht war lang vorüber und über Berlin verlor der Himmel bereits wieder an Dunkelheit. Doch in der Gruft wälzte Effy sich von einer Seite auf die andere, weit davon entfernt, Ruhe oder gar Schlaf zu finden. Die seit Tagen stehende Hitze war nach und nach in das alte Gemäuer gesickert und nicht einmal die in der gesamten Wohnung sperrangelweit offenstehenden Fenster vermochten es, diese wieder zu vertreiben.
Unglücklich seufzte die Fünfzehnjährige. Das Bett fühlte sich seltsam groß und leer an ohne Bela, dabei war seine Abwesenheit keine Seltenheit. Aus irgendeinem ihr unerfindlichen Grund vermisste sie ihn in dieser Nacht jedoch besonders.
Seit zwei Tagen schon hatte sie ihn nicht mehr gesehen. Nach dem abgebrochenen Filmeabend war er verschwunden geblieben und die Frage, wie es nun mit ihnen beiden weitergehen sollte, hing unbeantwortet in der Luft. Effy konnte sie bei jedem Atemzug spüren. Die Ungewissheit verstärkte ihre Unruhe noch, ließ sie keinen Schlaf finden. Dabei wäre ein sommerlicher Winterschlaf gerade das Beste gewesen, was sie hätte machen können – sich einfach unter der Bettdecke verkriechen, bis kein Berliner sich noch an das verloren dreinblickende Mädchen aus der Vermisstenanzeige erinnerte.
Die nächsten Tage einfach vorspulen zu können wie eine unwichtige Filmszene, wäre ihr ebenfalls recht gewesen. Stattdessen zogen sich die Minuten wie altes Kaugummi zu nicht verstreichen wollenden Stunden, die noch länger erschienen, wenn außer ihr niemand in der WG war. Jan war extra zur Bibliothek gefahren und hatte ein paar richtig dicke Schinken ausgeliehen, doch so gern Effy für gewöhnlich auch las, die Langeweile hatte schließlich trotzdem wieder zugeschlagen.
Seufzend strampelte die Fünfzehnjährige die zweite Decke aus dem Bett. Wenn Bela schon nicht da war, sollte sie wenigstens den Platz genießen. Unruhig rollte das Mädchen sich auf die andere Seite, nur um fünf Minuten später mit einem entnervten Stöhnen anzuerkennen, dass ihr in nächster Zeit kein Schlaf beschieden sein würde.
Ein plötzlich durch die Wohnung schrillendes Klingeln erlöste Effy unerwartet von ihrem Martyrium. Senkrecht saß das Mädchen im Bett, jegliche Müdigkeit augenblicklich verflogen.
Das Geräusch riss nicht ab. Da versuchte irgendwer wirklich hartnäckig, die Aufmerksamkeit der WG-Bewohner zu erringen. Vermutlich jemand der die Drei gut kannte oder verdammt dringende Nachrichten mitten in der Nacht loswerden musste.
Bela vielleicht?
Neugierig tappte das Mädchen in den Flur, beobachtet noch ein paar Sekunden das Scheibentelefon, ehe sie den Hörer von der Gabel nahm.
„Hallo?", erkundigte sie sich ganz unverbindlich bei dem nächtlichen Anrufer.
„Effy? Oh mein Gott, zum Glück hab ich dich erreicht!", tönte Ramonas schrille Stimme aus dem Hörer, den die Braunhaarige direkt zehn Zentimeter weiter von ihrem Ohr entfernt hielt. „Ich weiß gar nicht genau, was ich sagen soll, aber es ist ganz schlimm! Jan ist im Krankenhaus! Meine Mama hat ihn hin gefahren, dabei hat er das ganze Auto vollgekotzt..."
Besorgt runzelte Effy die Stirn. Wäre es um jemand anderen gegangen, hätte sie es auf den übermäßigen Genuss von Alkohol oder anderen Substanzen geschoben, doch Jan war überzeugter Abstinenzler, der niemals etwas einschmeißen würde.
„Eigentlich war alles okay. Das Konzert war toll, schade, dass du nicht dabei warst. Danach sind wir noch essen gegangen zu so einem neuen Chinesen und dann ist Jan mit zu mir. Und dann mitten in der Nacht hat er mich geweckt und hatte ganz schlimme Bauchschmerzen! Oh Effy, was machen wir, wenn es jetzt was Schlimmes ist?"
Ramona schien den Tränen nahe, so wie sie die ganze Geschichte herunterratterte. Die Jüngere konnte jedoch nicht viel mehr tun, als ihre beste Freundin reden zu lassen, schließlich hatte sie selbstauferlegten Hausarrest. Das aufgelöste Mädchen gab sich mit dieser Unterstützungsleistung jedoch zufrieden und schüttete noch weitere zehn Minuten ihr Herz aus, ehe die Münzen knapp wurden.
DU LIEST GERADE
𝐌𝐲𝐬𝐭𝐞𝐫𝐲𝐥𝐚𝐧𝐝 (Die Ärzte FF)
Fanfiction1984 West-Berlin ist eine Insel im roten Meer, zu allen Seiten umzäunt von einer meterhohen Mauer. Einer Grenze, die weit tiefer reicht als ihr bloßes Fundament. Sie umfasst eine andere Welt, deren pulsierendes Leben die Sehnsüchte junger Menschen a...