Nachdem ein guter Teil des Alkohols ihren Körper rückwärts wieder verlassen hatte, brachte Bela seine Mitbewohnerin ins Bett. Etwas Unverständliches murmelnd vergrub das Mädchen sich unter der Decke und war schon bald in einen unruhigen Schlummer gesunken. Der Schlagzeuger hingegen fand nicht zur Ruhe, nachdem er die beiden roten Flecken an ihrem Hals entdeckt hatte. Also entweder war Effi ausgesprochen seltsam die Treppe hinuntergefallen, was auch die anderen Blessuren erklären würde, oder aber, was Bela für deutlich wahrscheinlicher hielt, sein Mädchen hatte bereits wieder einen anderen.
Der Gedanke schmerzte den jungen Mann sehr, doch noch schlimmer war die seinen Magen verknotende Vermutung, dass dieser sie geschlagen hatte. Derartig aufgewühlt hatte er seine Freundin noch nie gesehen ...
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Als Effi am späten Vormittag von den Toten zurückkehrte, stellte Bela sich auf einen ruhigen Samstag in der Gruft ein. Das braune Haar war nur noch ein einziges Vogelnest, die Schminke verschmiert, aber nicht genügend, um die Müdigkeit in ihren Zügen zu überdecken. Verkatert blinzelnd und mit einem unverhohlenen Gähnen erklärte die Jüngere jedoch, sie sei auf der Hausbesetzer-Demo später am Tag verabredet. Bela war daraufhin kaum etwas anderes übrig geblieben als sich ihr anzuschließen und damit auszuschließen, dass ihr weiterer Schaden zugefügt wurde.
Der Anblick der prägnanten blauen Flecken an ihrem Hals hatte sein Übriges getan. In der Nacht hatte der Punk zunächst eine Welle bodenloser Eifersucht, gefolgt von einem Anfall Selbstmitleid, der sich in Wut auf die ganze Welt im Allgemeinen und den unbekannten Verführer im Speziellen verkehrte, durchlebt. Belas aus dieser emotionalen Achterbahnfahrt gezogener Entschluss, sein Mädchen den ganzen Tag und ganz sicher nachts nicht mehr aus den Augen zu lassen, stand nun ebenso unverbrüchlich wie Vibranium.
Aus diesem Grund lungerte er auch keine drei Stunden später auf dem Heinrichplatz und quatschte mit ein paar Bekannten aus der Punkszene, die sich ebenfalls eingefunden hatten, um dem Scheiß-Staat die Stirn zu bieten. Die Willkür der Regierung, Leerstand und Verfall eigentlich solider Häuser einfach zuzulassen, nur weil die Besitzer keinen Bock hatten sich zu kümmern oder abreißen und neu bauen wollten, kotzte sie an. West-Berlin hatte so viele Bürger, die kein Geld hatten, weil sie keine Arbeit fanden oder sich trotz dieser die steigenden Mieten kaum leisten konnten, warum also sollte jemand nicht in einem leer stehenden Haus wohnen dürfen?
Diese Debatte sorgte immer wieder für sozialen Sprengstoff, hinzu kam die häufig schlechte Perspektive der Jugendlichen aus den unteren Schichten, eine vernünftige Ausbildungsstelle zu finden. Wenn sich so viel Spannung aufstaute, knallte es eben ab und an. Das wussten aber auch alle. Niemand, der nicht bereit war, im Zweifelsfall mit Gewalt für seine Ansicht von Gerechtigkeit einzustehen, begab sich freiwillig auf derlei Demonstrationen. Einige Schlägertypen kreuzten auch einzig und allein wegen der Straßenschlachten dort auf.
Der Himmel zeigte sich an diesem Samstagnachmittag von seiner trostlosesten Seite, grau in grau mit einem schauerweise wiederkehrenden Nieselregen. Vor diesem Hintergrund wirkten die lange von den Gutbürgerlichen verlassenen Häuser noch heruntergekommener, da konnten auch die bunten, liebevoll aufgetragenen Graffitis der Müslis nichts mehr retten.
„Eine Scheiße is dat mit diesn Kapitalistenschweinen, nichts als Profit woll'n die. De ham sogar den alten Onkel Erich letztens aus seinem Keller gezerrt und mit auf die Wache genommen. Haste schon gehört? Den ham se zwa wieder laufen lassen, aber Personalien aufgenommen und dat alles. Da kommt ganz sicher noch ne fette Anzeige. Außerdem ham se dem verboten weiter in seinem Keller zu wohnen. Was glauben denn de wo der hin soll? Soll der auf der Straße pennen? Eine ganz große Scheiße is das mit diesen Investoren!", ereiferte sich ein dürrer, langhaariger Kerl, von dem Bela nur wusste, dass er eine Zeit lang im Turm gelebt hatte, und spuckte verächtlich auf den Boden. Der Turm war vor zwei oder drei Jahren ebenfalls ein besetztes Haus gewesen, aber ob dieses noch stand, wusste er nicht.
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𝐌𝐲𝐬𝐭𝐞𝐫𝐲𝐥𝐚𝐧𝐝 (Die Ärzte FF)
Fanfiction1984 West-Berlin ist eine Insel im roten Meer, zu allen Seiten umzäunt von einer meterhohen Mauer. Einer Grenze, die weit tiefer reicht als ihr bloßes Fundament. Sie umfasst eine andere Welt, deren pulsierendes Leben die Sehnsüchte junger Menschen a...