„Also: weshalb bist du heute zu mir gekommen? Es war doch wohl nicht die Einsamkeit, jetzt wo Freddie dein Bett nicht länger wärmt? Was? Ist doch kein Geheimnis! Nachdem du verschwunden warst und er die ganzen letzten Tage bis zu den Sommerferien schlechte Stimmung geschoben hat, hatte es auch der Letzte kapiert."
„Damit meinst du dann wohl dich selbst", schoss Effy ohne Nachdenken zurück und ärgerte sich im nächsten Augenblick selbst, sich zu einer impulsiven Entgegnung provoziert haben zu lassen.
Das schlechte Gewissen gegenüber ihrem Exfreund klopfte ungebeten an, doch sie schob die Empfindung schnell beiseite, war dies doch der denkbar ungünstigste Augenblick, sich ausgerechnet unter Jakes lauerndem Raubtierblick Gedanken über ihre verflossene Beziehung zu machen.
Das Mädchen trat mit einem zwischen amüsiert und arrogant schwankenden Lächeln näher, ließ sich mit einer Antwort jedoch Zeit, bis sie es sich auf einem der schwarzen Echtledersessel gemütlich gemacht hatte. Mit einem vor dem Spiegel geprobten Augenaufschlag blickte sie zu dem Älteren auf und flötete unschuldig:
„Gehe ich richtig in der Annahme, dass du noch eine Kleinigkeit für mich hast?"
Die Verwirrung stand dem Schwarzhaarigen deutlich ins Gesicht geschrieben, als er alle Varianten im Kopf durchging, die sie gemeint haben könnte.
Effy machte keinen Hehl daraus, wie sehr sie es genoss ihn so ratlos dastehen zu sehen. Den Hauch der Überlegenheit offen zur Schau stellend, ließ sie nachlässig ihren Kopf in den Nacken fallen und beobachtete Jake mit einem süffisanten Grinsen auf den Lippen.
„Ich stelle mir vor, wie sie unter ihrem kurzen Schulrock die schwarze Seidenunterwäsche trägt, die ich letztes Wochenende für sie im KadeWe gekauft habe. Die Spitze betont die blasse Haut ihrer Schenkel gewiss auf das Vorzüglichste", zitierte das Mädchen frei aus dem geklauten Tagebuch, das seit Wochen sicher in der Gruft versteckt lag.
Sein Adamsapfel hüpfte als der Junge erst einmal schluckte, ansonsten, und dies rang Effy ehrliche Bewunderung ab, wahrte Jake jedoch seine arrogante Fassade. Selbst das blasierte Lächeln hielt sich wacker auf den blassen Lippen, gleichwohl es ein wenig verkniffener wurde.
Wie zufällig überschlug das Mädchen die Beine und strich beinahe gedankenverloren von ihrem Knie bis zum Ansatz ihres kurzen Rockes hinauf. Die Klamottenfrage hatte locker eine halbe Stunde in Anspruch genommen, was jedoch nichts gegen die Zeit war, die es Ramona gekostet hatte, ihrer Freundin die Frisur zu flechten.
Sorgsam hatte die Blonde die rosa Strähne unter dem Braun versteckt und gleich drei neue Zopf-Varianten an Effys langen Haaren probiert, die ihr selbst mit ihrem neuen Bobschnitt nicht mehr möglich waren. Ramonas Idee, ihre Haarspitzen in leuchtendem Rosa erstrahlen zu lassen, war bei ihren Eltern nicht so gut angekommen und dieses Vergnügen somit von kurzer Dauer gewesen.
Jakes Blick folgte Effys Fingern, blieb an ihren nackten Schenkeln kleben wie eine unbedachte Schwebfliege am Fangblatt eines Sonnentaus. Effy grinste.
„Seidenunterwäsche fühlt sich gewiss gut an auf der Haut", sinnierte die Braunhaarige mit einem schiefen Grinsen, ließ den Jungen dabei jedoch nicht aus den Augen. Dieser schüttelte den Kopf, als müsse er seine Gedanken klären, dann wandte er sich ruckartig ab.
Die Hände an seinen Seiten ballten sich abwechselnd zu Fäusten und entspannten sich wieder, während er mit langen Schritten den Raum durchquerte. Nach kurzem Wühlen im völlig überdimensionierten Kleiderschrank, dessen Inhalt nach Farben sortiert zu sein schien, zauberte der Junge eine rote Tüte hervor. Die Initialen des Kaufhauses des Westens waren als sich plastisch abhebenden goldenen Lettern gestanzt, verrieten einem Außenstehenden gleich auf den ersten Blick, dass hier jemand etwas ganz Besonderes gekauft hatte.
„Was bekomme ich denn dafür?", erkundigte Jake sich und ließ die Tasche an seinem Finger hin und her baumeln.
„Du darfst dir gerne vorstellen, wie ich sie trage", schlug Effy vor und grinste den Zehntklässler entwaffnend an.
Dieser schüttelte jedoch den Kopf und meinte: „Das kann ich auch, wenn sie in meinem Schrank liegen. Vielleicht hole ich sie mir dann sogar heraus und lasse sie über meine eigene Haut gleiten? Nein, ich will etwas anderes. Wie wäre es mit einem Kuss?"
Den Kopf schräg gelegt gab das Mädchen einen Moment vor, diese Option tatsächlich in Betracht zu ziehen. Was wäre auch dabei? Wollte sie sich nicht ohnehin ein wenig ausprobieren?
„Nein", beschied Effy ihn, so einfach gab sie sich nicht her. Sein Begehren war ihr sorgsam verwaltetes Kapital, welches sie nicht grundlos zum Fenster hinauszuwerfen gedachte. Dieser Sieg gehörte ihr ohnehin bereits, schließlich hatte sie ein Ass im Ärmel, das ihr ganz zufällig zugeflattert war. „Aber ich kenne ein Geheimnis, für das du viel geben würdest – und Alexander auch..."
Überrascht wanderten Jakes Augenbrauen in die Höhe und auch wenn er nicht direkt antwortete, die Art und Weise, wie sein Blick plötzlich aufmerksam wurde, verriet, dass er den Köder geschluckt hatte.
„Ach ja? Was hast du bitte mit Alexander zu schaffen? Ein paar Details bitte!", forderte der Schwarzhaarige, die Jüngere mit seinem Blick taxierend. Diese zeigte sich jedoch unbeeindruckt und streckte lediglich geduldig wartend die Hand aus.
Widerwillig seufzend übergab Jake die Tüte und blickte Effy auffordernd an.
Gemächlich erhob das Mädchen sich, streckte einer Raubkatze gleich die Glieder. Den Jungen völlig ignorierend inspizierte Effy den Tüteninhalt und nahm ein Teil nach dem anderen unter die Lupe.
Jake hatte wirklich Geschmack bewiesen mit der Auswahl, das musste man ihm lassen. Die dunkle Spitze war wahrlich exquisit, zierte mit ihren feinen Mustern die Säume und verlieh der Lingerie eine unaufdringliche Eleganz. Kein Vergleich zu den bereits fadenscheinig werdenden, teils stark verwaschenen BHs, die Karin längst aussortiert hatte, ehe sie anschließend noch unzählige Male falsch von Bela gewaschen worden waren.
Diese Wäsche aus kühlem, glattem Stoff verdienten den Begriff Reizwäsche wahrlich. Effy freute sich bereits darauf, ihren Körper umschmeichelt von der schwarzen Seide im Spiegel zu betrachten, doch das musste warten, bis sie zurück in der Gruft war.
Nun ja, einen kleinen Vorgeschmack konnte sie ihnen beiden ja gewähren, überlegte das Mädchen. In einer fließenden Bewegung schlang die Braunhaarige sich einen langen Seidenstrumpf um den Hals und posierte mit ihm wie mit einer Federboa vor dem Spiegel.
„Was ist denn nun das Geheimnis?", drängelte Jake, der hinter sie getreten war, nun doch, die Neugierde offensichtlich nicht länger aushaltend. Effy war dies ein süßer Genuss. Mit einem aufgesetzt tadelndem Blick wandte sie sich ihm zu und rügte den Älteren: „Nun, wer will denn hier gleich ungeduldig werden?"
Ihre Fingerspitzen berührten für einen Augenblick Jakes Wange, forderten seine ungeteilte Aufmerksamkeit ein, die ihr ohnehin bereits sicher war.
„Dieses Geheimnis ist sehr persönlich", verkündete das Mädchen mit gesenkter Stimme. „Er hat es sehr gut gehütet, in den falschen Händen hat es vielleicht sogar die Kraft, Freundschaften zu zerstören.
Und deswegen wird Alexander es dir selbst verraten."
Verwirrt runzelte Jake die Stirn, brauchte einen Moment, um das Gesagte zu verarbeiten – und zu begreifen, dass das Mädchen ihn ausgetrickst hatte. Die über das ganze Gesicht grinsende Effy nutzte diese Verzögerung und war mit wenigen Schritten zur Tür gehuscht.
„Richte Alexander schöne Grüße aus", bat sie noch und ehe Jake sie aufhalten konnte, war die Fünfzehnjährige bereits entschwunden, in ihrer Hand die rote Tüte.
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𝐌𝐲𝐬𝐭𝐞𝐫𝐲𝐥𝐚𝐧𝐝 (Die Ärzte FF)
Fanfiction1984 West-Berlin ist eine Insel im roten Meer, zu allen Seiten umzäunt von einer meterhohen Mauer. Einer Grenze, die weit tiefer reicht als ihr bloßes Fundament. Sie umfasst eine andere Welt, deren pulsierendes Leben die Sehnsüchte junger Menschen a...