In dieser Nacht hielt Bela sein Mädchen fest im Arm, als fürchte er, sie könne ihm erneut abhandenkommen. Effy unterdessen lag bewegungslos in der Dunkelheit und lauschte dem ruhigen Atmen des Mannes, nicht einmal Anstalten machend, den schweren Arm von ihrer Brust zu schieben. Die halbe Woche alleine hatte sich nach einer nicht enden wollenden Ewigkeit angefühlt und im Grunde genommen war sie ebenso froh wie er, ihren besten Freund zurückerhalten zu haben.
Das rhythmische Ein- und Ausatmen, der sich warm anschmiegende Körper und das Gefühl nicht länger allein zu sein, hatten der Fünfzehnjährigen gefehlt – weit mehr als sie sich selbst einzugestehen bereit war, hätte dies doch bedeutet ihre Abhängigkeit von dem stets leicht muffelnden Punk zuzugeben. Doch ohne ihn war ihr Leben nun einmal nicht dasselbe.
Ob wohl Freddies Anwesenheit die Sehnsucht nach Bela hätte stillen können? Vielleicht. Wenn sie genauer nachdachte, vermutlich aber eher nicht...
Bela und Freddie.
Freddie und Bela.
Es war komisch, wie viel ihr diese beiden Männer bedeuten konnten, aber dies auf derart unterschiedliche Art und Weise. Oder etwa doch nicht? Hatten nicht beide in ihr ein Gefühl der Dazugehörigkeit erweckt, ihr einen Platz in ihren jeweiligen Welten eingeräumt? Hatte sie sich nicht von beiden erhofft, ehrlich geliebt zu werden?
Womöglich war der Unterschied geringer, als er sich im ersten Augenblick anfühlte. Ein seltsamer Gedanke, denn die Erinnerung an Freddie rief eine leichte Übelkeit in ihr hervor, die körperliche Reaktion auf die seelische Verletzung, welche Effy sich bei der Trennung zugezogen hatte, auch wenn sie versuchte, diese klein zu reden. Das einzig wirksame Gegenmittel, welches diesen hohlen Bauchschmerz in ihrem Inneren vertreiben konnte, war ironischerweise Belas Körperwärme. Seine Umarmung ließ sie endlich zur Ruhe kommen, für einen Moment ohne das belastende Gefühl der Unvollständigkeit durchatmen.
Vorsichtig, um ihn nicht zu wecken, wandte Effy den Kopf nach links, wo Bela unbekümmert weiter schnarchte. Seine trotz Hochsommer helle Haut leuchtete fahl im wenigen Licht, welches durch das weit offen stehende Fenster hinein drang und hob sich in deutlichem Kontrast von der Dunkelheit ab.
Für gewöhnlich war Bela Rückenschläfer, doch um seinen Arm enger um das Mädchen schlingen zu können, war er in dieser Nacht auf der Seite eingeschlafen. Nun streifte sein Atem rhythmisch über ihr Gesicht und ließ die dem Zopf entflohenen Haare erzitteren.
Effys Atem stockte, als Bela etwas murmelte, befürchtend der Mann könne jeden Moment erwachen. Seine Lider zuckten, würde er sie nun öffnen, fände er sich Auge in Auge mit seiner Mitbewohnerin wieder, ihre Gesichter viel zu dicht beieinander. Doch wie beinahe jede Nacht, war der Schlaf des Punkers ausgesprochen tief und nicht einmal eine Herde blökender Schafe hätte ihn aus seinem Schlummer zu reißen vermocht.
Erleichtert atmete Effy auf und für einen winzigen Moment huschte ihr Blick hinab zu den schmalen, leicht geöffneten Lippen des Schlafenden. Ob sie sich wohl ebenso warm und einladend anfühlen würden wie Freddies?
Nur mit Mühe widerstand das Mädchen der Versuchung mit ihren Fingern vorsichtig die geschwungenen Konturen nachzuzeichnen. Gewiss waren sie weich, umgeben vom anregenden Kratzen der Haarstoppeln. Der leichte Bartschatten war in der Dunkelheit nicht zu sehen, doch hatte das Mädchen die winzigen Härchen zu Beginn der Nacht bereits an ihrer Wange reiben gespürt.
Bisher hatte Effy die Erinnerung an den unglücklichen Kuss erfolgreich verdrängen können, sich lediglich über die Tatsache, dass er stattgefunden hatte, Gedanken gemacht. Nun jedoch, da Bela so dicht bei ihr lag, dass es nur einer winzigen Bewegung bedurft hätte, bis ihre Lippen die seinen erneut fanden, drängten sich unerwünschte Fragen und Vorstellungen auf.
Wie hatte es sich nochmal angefühlt, da ihr bester Freund sie küsste? Heiß und voller Leidenschaft, womöglich leicht cremig gleitend von der Sahnetorte? Ein wenig bedauerte Effy, dass sie in diesem Moment derart überrumpelt gewesen war, dass sie sich nun kaum zurückerinnern konnte. Derart geschockt hatte sie dagestanden wie versteinert. Belas Berührung hingegen war impulsiv und leidenschaftlicher gewesen, als alles was sie bis dahin erlebt hatte. Womöglich wäre es sogar ein schöner Kuss gewesen, an den sie gern zurück dachte, wäre es nicht ihr bester Freund gewesen, welcher sie damit überfiel.
Effy seufzte leise auf und bereute diese unbewusste Reaktion sofort. Warm schlug ihr der eigene Atem entgegen, an Belas Gesicht abgeprallt und vermischt mit dem seinen. Für einen Augenblick versteifte das Mädchen sich, nicht wagend auch nur eine winzige Bewegung zuzulassen, die den Schlafenden erwecken würde. Was würde Bela tun, wenn er aufwachte und bemerkte, wie nahe sie ihm gekommen war?
Dröhnend laut raste ihr Herz und es war ein Wunder, dass es Bela noch nicht aus dem Schlummer gerissen hatte, pochte es doch mit jedem Schlag gegen ihre Brust, über welche noch immer sein Arm geschlungen war. Ein winziger Teil in Effy wünschte sich gar, dass der Punk erwachte und bemerkte, wie sie ihn beobachtete. Es galt nur diesen winzigen Spalt zwischen ihnen zu überbrücken...
Sie könnte es selbst tun...
Die Fünfzehnjährige biss sich auf die Lippe, bis der Schmerz diese im höchsten Maße verwerflichen Gedanken auslöschte und der Geschmack von Kupfer sich in ihrem Mund ausbreitete.
Der Verlustschmerz musste sie völlig durcheinander gebracht haben, derart heftige Sehnsucht nach menschlicher Nähe verspürte sie doch sonst nicht! Es musste sich um eine Überreaktion handeln, womöglich verstärkt durch die Erleichterung, den Zwist mit ihrem besten Freund beigelegt zu haben. Außerdem war es das erste Mal seit einem ganzen verlängerten Wochenende, dass Bela und sie wieder in einem Bett schliefen, bemühte Effy sich um logische Erklärungen für die unerwartet aufkeimende Sehnsucht, ihrem besten Freund noch näher zu kommen als die enge Umarmung, in welcher er sie umfing.
Vorsichtig drehte das Mädchen sich auf die andere Seite, der Versuchung keine Chance gewährend. Bela schnarchte laut auf und sein Griff um ihren Oberkörper wurde noch enger, als spürte er, wie sie sich von ihm entfernen wollte. Ein leichtes Lächeln schlich sich bei diesem Gedanken auf Effys Züge und die Ausreißerin stellte ihre Bemühungen Abstand zu gewinnen zumindest für den Moment ein.
Freddie hatte sich nie derart an sie gekuschelt, schoss es ihr plötzlich durch den Kopf. Ob sie ihren nun vermutlich als Ex-Freund zu bezeichnenden Freund wohl morgen in der Schule wiedersehen würde? Wollte sie das überhaupt? Ganz bestimmt würde Effy sich nicht verkriechen oder jede Begegnung panisch vermeiden! Besonders scharf darauf ihn aktuell wiederzusehen war sie jedoch nicht, dies bestätigte auch das unangenehme Magengrummeln bei dieser Vorstellung.
Sollte sie überhaupt noch zur Schule gehen? Freddie hatte seinen Kopf für sie hingehalten, jeden Tag, den sie ihn begleitete. Würde er dies weiterhin tun? Gewiss, ansonsten flog ja auch die Lügengeschichte auf, mit äußerst unangenehmen Konsequenzen für den Zehntklässler.
Es fühlte sich dennoch falsch an, diese Bürde weiterhin auf Freddies Schultern ruhen zu lassen. Ihre Beziehung war vorbei. Endgültig, ohne Wenn und Aber. Auch wenn der dumpfe Schmerz des Verlustes noch immer wie ein lähmender Schatten auf ihrem Gemüt lastete und alle Gefühle erstickte. Es war besser einen klaren Schlussstrich zu ziehen und alles, was mit diesem Jungen zu tun hatte, hinter sich zu lassen. Es entsprach nicht ihrer Art, die losen Enden der Vergangenheit erneut aufgreifen.
Mit einer sie selbst überraschenden Endgültigkeit wand das Mädchen sich vorsichtig aus Belas Umklammerung und tastete im Dunklen nach dem Wecker. Von nun an würde es nur noch Ausschlafen geben.
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𝐌𝐲𝐬𝐭𝐞𝐫𝐲𝐥𝐚𝐧𝐝 (Die Ärzte FF)
Fanfictie1984 West-Berlin ist eine Insel im roten Meer, zu allen Seiten umzäunt von einer meterhohen Mauer. Einer Grenze, die weit tiefer reicht als ihr bloßes Fundament. Sie umfasst eine andere Welt, deren pulsierendes Leben die Sehnsüchte junger Menschen a...