Bela hatte seine Idee einer kleinen Party wahr gemacht und nur eine Stunde später versuchten sich zehn Leute in die winzige Küche zu quetschen, was ihnen nur im Stapelverfahren gelang.
Den Fisch hatte jemand nach draußen gebracht und auch gelüftet worden war, was jedoch keinen Unterschied mehr machte, da der Zigarettenrauch ohnehin alles in dunstigen Nebel hüllte. Aus Rücksicht auf die wohl ohnehin nur mäßig gut auf Punker-Partys zu sprechende Nachbarschaft, war jedoch davon abgesehen worden, das Fenster weiterhin offen stehen zu lassen.
Für gute Stimmung sorgten Musik und Unmengen Alkohol. Der Kühlschrank war mit Bierdosen gefüllt und einige der Gäste hatten noch Hochprozentiges beigesteuert, was nun überall die Runde machte.
Ein wenig eingeschüchtert hatte Effy sich in eine Ecke der Küche zurückgezogen und saß nun auf dem Rand der Spüle, von wo aus sich ein vorzüglicher Einblick in das lustige Treiben bot, ohne Teil des Ganzen werden zu müssen. Das Geschlechterverhältnis auf der Party war recht ausgeglichen, soweit das Mädchen dies zu überblicken vermochte. Eine Überraschung, hatten in ihrer Heimatstadt doch zumeist männliche Punks das Bild der öffentlichen Wahrnehmung dominiert, umgeben von wenigen, sich ihnen anbiedernden Frauen.
In West-Berlin schien dies anders zu sein. Beneidenswert selbstbewusst erschienen die Punkerinnen der Fünfzehnjährigen, emanzipiert und sich ihrer Gleichberechtigung mit vollkommener Selbstverständlichkeit bewusst. Eine Frau mit blauem Kurzhaarschnitt hatte sich ohne Zögern zwischen all die Jungs auf der Bank gedrängt und amüsierte sich dort offenbar köstlich. Zumindest schallte ihr offenes Lachen quer durch den gesamten Raum.
Eine andere Punkette, deren tiefer Ausschnitt mehr betonte als verbarg, lehnte rauchend neben Effy an der Spüle und quatschte die Jüngere über alles Mögliche zu, obwohl diese kaum etwas erwiderte. Das Monologisieren schien die junge Frau jedoch nicht übermäßig zu stören, zumindest plapperte sie ungehemmt über alle möglichen Nichtigkeiten.
So erfuhr Effy, ohne danach fragen zu müssen, dass Jan sich für die Brünette interessierte, die sich recht spät noch auf die Bank zu schieben versucht hatte und nun halb auf dem Schoß des blonden Gitarristen saß, darüber aber nicht sonderlich unglücklich wirkte. Neben den Zweien saß, einen Arm lässig um Belas Nacken geschlungen, die Blauhaarige mit dem charmanten Namen Zecke. Der Frau neben Effy zufolge hatten die beiden mal eine Art offene Beziehung geführt, die von Zeit zu Zeit immer wieder aufflammte.
Des Weiteren ergab der einseitig vorgetragene Tratsch, dass in dieser Wohnung häufiger kleine Treffen abgehalten wurden und dass die Blauhaarige und Bela auf einem davon vor ein paar Wochen heftigen Sex im Bad gehabt hatte, den Jan mit einem Lauterdrehen der Musik hatte übertönen müssen. Daraufhin sei jedoch ein Nachbar von oben herunter gekommen, der drohte, die Polizei zu rufen, wenn nicht augenblicklich etwas mehr Ruhe einkehren würde.
Still trank Effy ihr Bier, welches mindestens ebenso scheußlich wie am Vorabend schmeckte, und lauschte mit einem Ohr den Erzählungen, während sie die anderen Gäste beobachtete und versuchte diese den Geschichten zuzuordnen.
Ein schlaksiger Typ mit grellrot gefärbtem Haar gesellte sich um kurz vor elf zu ihnen, beziehungsweise drehte sich in ihre Richtung, denn dagestanden hatte er schon seit Längerem. Die Jeansjacke, welche er trotz der atemberaubend stickigen Wärme in der Küche nicht ausgezogen hatte, war an vielen Stellen zerfetzt und im Licht der Funzel, welche großen Anteil am Ambiente der Party hatte, glitzerten überall darauf verstreut Nieten.
„Hey, ich bin Renée", stellte er sich der Ausreißerin vor und schenkte ihr ein strahlendes Lächeln. Die junge Frau neben ihr, welche ganz große Augen bekommen hatte, die jedem Reh Ehre gemacht hätten, erhielt nur ein kurzes Nicken. Für die Ärmste schien jedoch sogar das zu viel des Guten gewesen zu sein, zumindest wirkte es so, als wären ihr die Worte in der Kehle stecken geblieben. Stumm starte sie den Rothaarigen mit einem Blick wie ein Reh im Scheinwerferlicht– kurz bevor es überfahren wurde – an.
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𝐌𝐲𝐬𝐭𝐞𝐫𝐲𝐥𝐚𝐧𝐝 (Die Ärzte FF)
Fanfiction1984 West-Berlin ist eine Insel im roten Meer, zu allen Seiten umzäunt von einer meterhohen Mauer. Einer Grenze, die weit tiefer reicht als ihr bloßes Fundament. Sie umfasst eine andere Welt, deren pulsierendes Leben die Sehnsüchte junger Menschen a...