Ganz der Gentleman holte Bela Zecke, für seine Verhältnisse sogar einigermaßen pünktlich, zum Feierabend am Friseursalon ab, in dem sie demnächst ihre Ausbildung abzuschließen gedachte. Natürlich stand die schlumpfhaarige Punkette dennoch bereits rauchend vor der Ladentür, an der ein Schild in geschwungenen Buchstaben verkündete, dass geschlossen war.
„Da is er ja! Ick dacht ja schon, ick müsst men janzet Wochenende hier verbringen", begrüßte Zecke den Schlagzeuger und hielt ihm die Zigarettenschachtel unter die Nase. „Uff, den janzen Tach nur in den Pausen rauchen, dit macht mich sowat von fertig!"
Gemeinsam machten sich die Beiden auf den Weg zur U-Bahn, um zu Zeckes Wohnung nach Kreuzberg zu fahren, die wie sie selbst immer wieder anpries, „mitten im Zentrum vom echten Leben" lag.
Mit direktem Blick auf die bunten Graffitis der Berliner-Mauer versanken die beiden Punks dort für ein paar entspannte Stunden und ein paar Bier auf dem Sofa. Es war das orange-beige-gestreifte Ungetüm vom Sperrmüll, das Bela schon immer voller Inbrunst gehasst hatte, weil es schauderhaft quiekte, sobald man sich etwas wilder auf ihm vergnügte. An diesem Abend jedoch schwieg es einigermaßen still, denn der Schwarzhaarige hatte viel zu erzählen und die Blauhaarige war eine ausgesprochen gute Zuhörerin - wenn sie denn wollte.
Überraschend einfühlsam hatte Zecke reagiert als Bela, zwei Bier intus, begann, sein Herz auszuschütten und seinen Monolog mit einer umständlichen Erklärung eröffnete, weshalb er heute Abend keinen Sex haben können würde. Schweigend an ihrem Bier nippend, nur ab und an ein paar bekräftigende Geräusche von sich gebend, wenn der Schlagzeuger ins Stocken geriet, lauschte die Punkette den Erzählungen ihres Ex.
Einem Wasserfall gleich strömten die Gedanken und Erlebnisse über Belas blasse Lippen, was er für seine Mitbewohnerin empfand, von der noch immer schockierenden Entdeckung ihres echten Alters, davon wie er der Fünfzehnjährigen letzte Nacht seine Liebe gestanden und sie dies einfach verschlafen hatte...
Schweigend wartete Zecke ab, bis ihr langjähriger Freund sich alles von der Seele geredet hatte und schließlich von selbst verstummte, sie nur noch hilfesuchend wie ein kleiner Welpe vor der verschlossenen Hundefutterdose anblickend. Fürsorglich wurde ihm erst einmal eine Zigarette gereicht, ehe die Blauhaarige die Situation knapp zusammenfasste: „Is halt echt scheiße, aber da kann man nüscht dran ändern."
Seufzend nickte Bela. Was hatte er sich auch erhofft? Dass Zecke die Patentlösung für sein Problem einfach so aus ihrer Schiebermütze zaubern würde, nachdem er selbst sich bereits so lange den Kopf darüber zerbrochen hatte? Düster vor sich hinsinnierend versank der Blick des Schwarzhaarigen in den dunklen Untiefen seiner Bierdose.
„Ick glob aber, dit Effy dir ejentlich auch janz jut find, dit aber nich so sagen kann", bemühte Zecke sich, ihren Freund aufzumuntern. Erfolgreich.
Hoffnungsvoll hob sich Belas Blick, bettelte förmlich darum, mehr von diesen wohltuenden Trostpflastern zu erhalten, die an seinem eigentlichen Gewissenskonflikt völlig vorbei zielten. Zu hören, dass seine Liebe nicht völlig unerwidert blieb, tat gut – auch wenn dies nichts an der Tatsache änderte, dass Effy viel zu jung für ihn war.
Zufrieden mit der Wirkung ihrer Worte lehnte Zecke sich zurück und zündete am letzten Rest ihres Glimmstängels eine neue Fluppe an. Nach einem tiefen Zug verkündete sie im Brustton der Überzeugung: „So wie ick dit seh, gibt's kenen Zweifel, dass de sich voll in dich verknallt hat."
„Menste echt?", vergewisserte der Schlagzeuger sich unsicher, befürchtend, dass die nächsten Worte das labile Kartenhaus seiner Hoffnung wieder zum Einsturz bringen würden.
Seine Freundin nickte jedoch beruhigend: „Sicher. Die guckt dir an, wie Wölfchen wenn'er nen Bild von Martin L'Gore sieht."
Liebevoll schlang Zecke den Arm um die Schultern ihres Freundes und drückte ihn Zuversicht spendend an sich. „Außerdem biste doch'n dufter Kerl, jetz mach dir ma selbst nich so runter!"
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𝐌𝐲𝐬𝐭𝐞𝐫𝐲𝐥𝐚𝐧𝐝 (Die Ärzte FF)
Fanfic1984 West-Berlin ist eine Insel im roten Meer, zu allen Seiten umzäunt von einer meterhohen Mauer. Einer Grenze, die weit tiefer reicht als ihr bloßes Fundament. Sie umfasst eine andere Welt, deren pulsierendes Leben die Sehnsüchte junger Menschen a...