Teil 59 - Spiegelei, Spieglei an der Wand

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Die Rückfahrt war mindestens genauso langweilig wie die Hinfahrt, nur mit anderer Musik. Nopper hatte die Gewalt über das zwischenzeitig etwas spinnende Radio zurückerlangt und bedudelte seine Mittfahrer daraufhin über Stunden mit KISS und ACDC, bis Sahnie völlig entnervt den Ausknopf betätigte und Stille einkehrte.

Bela, der zunächst etwas dringend benötigten Schlaf nachgeholt hatte, war zur Passkontrolle wieder geweckt worden. Danach war es ihm jedoch nicht möglich gewesen, den Weg ins Reich der Träume zurückzufinden, denn mit jeder Betonplatte rumpelte sein Schädel gegen die Fensterscheibe.

Auch die zusammengeknüllte Lederjacke half nicht viel, sondern klebte dem Schlagzeuger nach wenigen Minuten unangenehm feucht im Gesicht, denn seit die Sonne gegen Mittag hinter den Wolken hervorgekrochen war, heizte der gelbe Bus sich langsam auf wie ein Backofen auf Umluft. Eine Klimaanlage gab es nicht und die Lüftung verschaffte keine Kühlung, sondern pustete ihnen bloß immer wieder dieselbe stickige Luft ins Gesicht.

Jan, dessen Lebensmittelvergiftung auch ohne ärztliche Beobachtung verflogen war, versuchte seit zehn Minuten, Marshmallows auf der Innenseite des Autodaches anzukleben. Doch bislang hatte das Blech noch nicht die richtige Temperatur erreicht, um den Schaumzucker zu schmelzen.

„Versuch ma mit Anlecken", schlug Bela schließlich vor und griff sich ebenfalls eines der weißen Bällchen aus der Tüte.

Konzentriert arbeiteten die beiden Musiker an ihrem Kunstwerk, vertrieben sich gemeinsam die Zeit und die düsteren Gedanken, die auf der Hinfahrt den Bus wie grauer Nebel ausgefüllt hatten. Viel zu schnell zog die Strecke dahin und ehe sich die beiden versahen, verhielt Nopper den Wagen auch schon am Checkpoint Bravo.

„Du alte Spinatwachtel!", schimpfte Jan unter Lachen, als ihr Busfahrer den beiden Gästen auf der Rückbank ihre grünen Pässe nach der Kontrolle einfach achtlos auf den Schoß warf.

Bela grinste breit und unterstützte seinen Freund lautstark: „Du misslungenes Frankensteinmonster!"

„Du widerliches Etwas!"

„Du Wurm!"

„Im Zoo wollten sie dich nicht!"

„Im Aquarium auch nicht!"

„Selbst die Leute von der Grenze haben dich verschmäht!"

„Die Bullen wollten uns beide nicht!", fügte Bela an, der seine Ausbildung bei der Polizei nach nicht mal zwei Wochen wieder beendet hatte.

„Und die von den Abwasserwerken auch nicht", lachte Jan und klatschte Nopper gut gelaunt auf die Schulter.

„Ich hätte dich niemals küssen sollen!", verkündete Bela im Überschwang der Gefühle lautstark.

Mit einem Mal erfüllte Schweigen den Bus. Jan blickte seinen besten Freund überrascht von der Seite an und selbst Sahnie drehte sich mit hochgezogenen Augenbrauen nach hinten.

"Was?", wollte Bela provokant wissen, zuckte dann aber die Schultern und erklärte auch ohne Nachfrage: "Passiert halt mal, wenn man besoffen ist, da geht das dann so mit einem durch."

Nopper schien sich ebenso wenig daran zu stören, dass der Rest der Band von seinem kleinen Geheimnis erfahren hatte. Vergnügt teilte der Roadie sogar noch weitere Erinnerungen mit den anderen Beiden: "Und vergiss nicht damals bei dir im Kinderzimmer! Wo wir geübt haben, damit du dich bei deinem Rendezvous mit der Blonden aus der Parallelklasse nicht blamierst... Hab ich dir eigentlich mal gesagt, dass das mein erster Kuss überhaupt war?"

Bei dieser Erinnerung musste der Schlagzeuger ebenfalls grinsen. Nopper und er waren vierzehn und zu diesem Zeitpunkt beide so schwer in die frühreife Brigitta Niedermeyer verliebt gewesen, dass ihre Freundschaft einige Tage schwer gelitten hatte, nachdem Bela an eine Verabredung gelangt war.

𝐌𝐲𝐬𝐭𝐞𝐫𝐲𝐥𝐚𝐧𝐝 (Die Ärzte FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt