Teil 38.3 - Sieben Minuten im Himmel

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„So, ich bin dran...", verkündete Alexander, dessen Artikulation unter dem Mischkonsum von Marihuana und Alkohol beträchtlich gelitten hatte. Effy lehnte den Kopf an Ramonas Schulter und ergab sich für einen Moment dem trägen Gefühl, das immer stärker von ihren Gliedern Besitz ergriff. Ob der Plan aufgehen würde? Sie selbst fühlte sich jedenfalls bereits ziemlich beduselt nach dem ganzen Zeug. Die dämmrigen Lichtverhältnisse und das Wummern des Basses, welches die Grundfesten des Hauses zum Erbeben bracht, wirkten irgendwie einschläfernd.


„Effy, du bist dran!", murmelte Ramona und rüttelte ihre beste Freundin leicht an der Schulter. Die Braunhaarige blinzelte einige Male, bis ihre Sicht sich geklärt hatte und ihr Blick auf die Flasche in der Tischmitte fiel. „Von dieser Position aus kann man sehr gut in das dunkle Innere blicken", schoss es dem Mädchen durch den Kopf. Es dauerte noch einen Augenblick, bevor sie begriff, was dieser Umstand bedeutete.

„Oh, was muss ich machen?", murmelte Effy, plötzlich wieder hellwach und richtete sich kerzengerade auf. Das sommersprossige Mädchen namens Lydia grinste die Fünfzehnjährige an, offensichtlich stammte die aktuelle Aufgabe aus ihrer Feder. „Du musst ein rohes Papageienei essen. Die Viecher unten haben schon wieder welche gelegt."

Dass Frauen weit sadistischer sein konnten als Männer war nichts Neues für Effy, allerdings hatte sie nicht erwartet, ausgerechnet von einer Popperin eine solche Aufgabe zu erhalten. Andererseits war dieses Mädchen auch eine der Letzten, die noch am Spiel teilnahmen und Jake hatte nur handverlesene Leute zum Flaschendrehen eingeladen, es war also nur logisch, dass etwas Besonderes an ihr war.

Ein Papageienei, naja, so schlimm würde es wohl kaum sein, überlegte Effy, zumindest nicht, wenn man es als Spiegelei in einer Bratpfanne machte. Sie seufzte bei der Erinnerung daran, dass das Mädchen ausdrücklich gesagt hatte, dass das Ei roh gegessen werden musste.

Ramona hielt Effy am Arm zurück, als diese mit unbewegter Miene aufstehen und sich die kleine „Köstlichkeit" holen gehen wollte. 

„Rainer ist schon unterwegs. Mensch Effy, wie tief hast du denn geschlafen, dass du das alles nicht mitbekommen hast?", erkundigte sich Jans Freundin belustigt. Die Jüngere zuckte lediglich mit den Schultern (sie wusste zwar nicht, wer Rainer war, doch es war ihr auch ziemlich gleichgültig) und ließ sich zurück in die Polster plumpsen. „Hab ich denn etwas verpasst?"

„Abgesehen davon, dass Lydia sich den Rücken mit Edding bemalen lassen musste? Nicht viel", grinste Ramona und rutschte in ihrer Ecke herum, bis sie eine angenehmere Sitzposition gefunden hatte.

Milde überrascht registrierte das Mädchen, dass es in ihrer kurzen Abwesenheit wohl sogar eine neue Runde Coctails gegeben hatte. Statt ihrer Erdbeer-Kreation stand nun ein götterspeisengrünes Getränk vor ihr, ausgestattet mit einem winzigen, bunt glitzernden Blümchen, welches sich die Fünfzehnjährige verzückt ins Haar schob.

Die Tür flog auf und der Barkeeper stürzte eifrig wie eine Arbeiterbiene hinein, in der Linken ein kleines blassgrünes Ei. „Das Mistvieh hat mich gebissen!", verkündete er anklagend und hielt seinen bluttriefenden Finger in die Höhe. Über den weinerlichen Tonfall die Augen verdrehend gestikulierte Jake lediglich wage in Effys Richtung: „Gib ihr das Ei und such dir erst einmal ein Pflaster. Unten im Gästebad im Spiegelschrank sind welche."

Ganz offensichtlich enttäuscht darüber, keine Heldengeschichte zum Besten geben zu können oder für seine Bemühungen eine Einladung zur Teilnahme am Spiel erhalten zu haben drückte Rainer der Dunkelhaarigen das Ei in die ausgestreckte Hand.

„Farblich passend zum meinem Cocktail", scherzte Effy und besah sich das Kleinod genauer. Es war deutlich kleiner als ein gewöhnliches Hühnerei und die glänzende Schale war von einem Muster feiner dunkler Linien durchzogen. Auch wenn das Ei deutlich leichter war, so erinnerte es Effy doch irgendwie an einen besonders schön gemusterten Stein, den sie als kleines Kind ihrem Vater geschenkt hatte. Jahrelang hatte dieser auf der Küchentheke gelegen und als Briefbeschwerer Post und Einkaufszettel vor dem Abhandenkommen bewahrt, bevor er mit Bärbels Einzug selbst verschwunden war.

𝐌𝐲𝐬𝐭𝐞𝐫𝐲𝐥𝐚𝐧𝐝 (Die Ärzte FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt