Teil 67 - Selig sind die geistig Armen

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Unsicher ließ der junge Mann seinen suchenden Blick über die verschwitzten Gesichter der Mauerbesucher gleiten, die sich auch von über 30 Grad im Schatten nicht abschrecken ließen.

Die Mittagshitze hatte sich als flirrender Schleier über den Potsdamer Platz gesenkt und Alexander wünschte sich in diesem Moment nichts sehnlicher, als zuhause ein paar Bahnen in der erfrischenden Kühle des Pools zu schwimmen und anschließend im Schatten einen frischgepressten Orangensaft zu genießen. Verdammt, es waren schließlich Sommerferien!

Dennoch stand er wartend da, die Hände tief in den Taschen seiner langen, viel zu warmen Hose vergraben, die Schultern hochgezogen - ein offensichtlicher Fremdkörper zwischen all den aufgeregte Freude versprühenden Fremden.

Nicht zum ersten Mal fragte der junge Mann sich, welcher Sadist auf die glorreiche Idee gekommen war, entlang der die Stadt teilenden Mauer Aussichtspunkte aufzustellen, damit Besucher des Westteils einen Blick auf die von Fortuna weniger geküsste Seite Berlins erhielten. Nun, derjenige hatte jedenfalls das widerwärtig voyeuristische Interesse der Menschen richtig eingeschätzt, wie die auch unter diesen suboptimalen Umweltbedingungen proppenvolle Aussichtsplattform bewies.

Dem fröhlichen Treiben auf der Plattform einen geringschätzigen Blick zuwerfend, wäre ihm beinahe das braunhaarige Mädchen auf der Treppe des hölzernen Aussichtsturmes entgangen. Nahtlos fügte sich die Fünfzehnjährige in die Schülerschaft aus dem Westen ein, die ihre beiden sichtlich angestrengten Lehrerinnen umwuselten und voller Interesse auf die andere Seite der geteilten Stadt starrten.

Unsicher hob Alexander die Hand zu einem zaghaften Gruß und eilte die hölzernen Stufen hinauf, wo Effy ihn bereits erwartete.

„Hey, als meine Schwester mir sagte, dass eine gute Freundin von mir mich hier treffen will, wusste ich gleich, dass du das am Telefon warst", begrüßte er die Fünfzehnjährige, die gelassen an der Balustrade lehnte und ihren Besuch wortlos empfing.

Eine Schülerin stolperte Alex beim Versuch, einen noch tieferen Blick in den Osten zu erhalten, beinahe in die Arme. Mit flammenden Wangen entschuldigte sie sich und wurde krebsrot, da er ihr ein beruhigendes Lächeln schenkte.

„Falls Sie nicht gedenken, nach oben zu steigen, würden Sie mich bitte durchlassen, junger Mann?", erkundigte sich ein gut gekleideter Schnauzbartträger, ehe er sich weit galanter als seine füllige Figur erwarten ließ an den Jugendlichen vorbei nach oben auf das Plateau schlängelte. Die jüngere, deutlich unerfahrener wirkende der beiden Lehrerinnen las währenddessen mit piepsiger Stimme Fakten aus einem Reiseführer vor, von denen die undankbaren Teenager jedoch kaum Notiz zu nehmen schienen.

„Wollen wir vielleicht da rüber in den Schatten, wo wir ungestörter sind?", schlug Alexander vor und deutete auf eine von zwei Linden beschattete Bank, die wie durch ein Wunder noch von niemandem belegt worden war.


Schweigend schritt Effy voran, froh endlich dem aufgedrehten Gedrängel der Schulklasse zu entkommen. Der Baumschatten war eine Wohltat von der trotz leichter Bewölkung auf die geteilte Stadt herniederbrennenden Sommersonne.

Alex Unwohlsein, als die Jüngere einfach stumm blieb, war ihm deutlich anzusehen. Beinahe hätte es Effy ein Schmunzeln entlockt, wie der Popper sich unter dem musternden Blick ihrer kühlen blauen Augen wand wie ein Fisch auf dem Trockenen.

„Hast du es irgendwem verraten?", platzte es schließlich ohne Umschweife aus ihm heraus, da das Schweigen die verrinnenden Sekunden wie Kaugummi in die Länge zog. Die Angst um sein kleines Geheimnis schien ihm wirklich auf der Seele zu brennen.

Desinteressiert inspizierte die Braunhaarige ihre Fingernägel, von denen das Kirschrot bereits wieder an den Rändern abblätterte, hielt den Älteren absichtlich noch einen Augenblick hin.

𝐌𝐲𝐬𝐭𝐞𝐫𝐲𝐥𝐚𝐧𝐝 (Die Ärzte FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt