Teil 52.3 - David gegen Goliath

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„Fuck!", machte Renée seiner Wut lautstark Luft und versuchte gar nicht erst den Berg zu erklimmen, denn in diesem Augenblick bogen bereits fünf schnaufende Polizisten um die Ecke, ihren tierischen Vorbildern alle Ehre bereitend. Angriffslust blitzte in den von Plastikvisieren geschützten Gesichtern auf, da den Beamten die Ausweglosigkeit der Verfolgten klar wurde.

„Fehlt nur noch Hufscharren", murmelte Effy leise zu sich selbst. Zynismus war das einzig wirksame Gegenmittel für ihre aufsteigende Panik. Sie saßen in der Falle und an gleich fünf dieser mit Schlagstöcken bewaffneten Beamten würde sie niemals vorbei kommen, zumal dahinter vermutlich noch weitere patrouillierten.

Was um alles in der Welt hatte sie bloß veranlasst, unbedingt auf diese Demo zu müssen? Ein wenig hatte Zeckes Äußerung sie angespornt, ganz sicher waren auch Neugierde, Nervenkitzel und das Bedürfnis nach etwas Verbotenem dabei gewesen, als sie sich zu dieser verdammt dummen Entscheidung hatte verleitet lassen. Doch im Grunde ihres Herzens wusste Effy, dass es vor allem ein wütendes, widerspenstiges Auflehnen gegen die Autoritäten war, die ihre Freiheit bedrohten, indem sie Recht und Ordnung durch setzten.

Die Polizisten formierten sich zu einer doppelten Angriffslinie. Die beiden Punker schoben das Mädchen schützend nach hinten, bereit für den aussichtslosen Kampf.

„Hände hoch und jetzt ganz langsam an die Wand dort drüben!", forderte der mittlere Polizist süffisant grinsend, sich gewiss, dass seine Konfliktpartei diese Schlacht unter allen Umständen gewinnen würde. Er war bei Weitem nicht der Größte, wenngleich mit Abstand der Dickste, und behandelte die Gestellten doch von oben herab. Keuchend und schwitzend wie ein Stier stand er da, hatte jedoch immer noch die Nerven, seinen Blick geringschätzig über die drei Unbewaffneten wandern zu lassen.

Effy hatte es sowas von satt, ständig nach den Regeln anderer tanzen zu müssen, sich ohnmächtig gegenüber einer stärkeren Macht zu fühlen. War dies nicht genau das, wovor sie nach Berlin geflüchtet war? Ironisch, dass sie ausgerechnet in der eingemauerten Stadt nach der Freiheit gesucht hatte. Es hätte niemanden zu wundern brauchen, dass West-Berlin sich langsam ebenfalls als Käfig herausstellte, wenngleich auch ein bedeutend größerer und im Kleinen weniger begrenzender.

Und selbst das bisschen Freiheit würde sie nun so oder so wieder verlieren... Wenn die Polizei sie in die Finger bekam, war es nur noch eine Frage der Zeit, bis man ihren Vater ermittelt hatte und ihm sein entlaufenes Töchterchen zurückbrachte – wenn er sie denn überhaupt noch nahm...

Der Gedanke schmerzte, nährte das düster in ihrem Inneren brodelnde Gefühl hilfloser Wut. Ständig mit der Angst im Nacken leben zu müssen, jemand könne sie erkennen, war auf Dauer deutlich auslaugender, als Effy sich einzugestehen bereit war. Immer den Kopf unten zu behalten, wissend, dass sie nichts gegen diese diffuse Bedrohung zu unternehmen vermochte... Und dann letzte Nacht die Erfahrung mit dem potenziellen Kinderschänder, der ihr seine körperliche Überlegenheit beweisen musste...

Allein bei dieser Erinnerung wallte heißer Zorn durch ihre Adern. Sie hatte es sowas von verflucht satt, sich einer übermächtigen Bedrohung beugen zu müssen. Eine plötzliche Verzweiflung ergriff das Mädchen, materialisierte sich als zähnefletschendes Grinsen in ihrem Gesicht. Genug war genug, keine Sekunde länger ertrug sie dieses Nichthandeln!

Ohne Vorwarnung stürzte Effy sich auf den ihr nächsten Beamten, welcher aus Unvorsichtigkeit oder Überheblichkeit, im festen Glauben daran, bereits gesiegt zu haben, sein Visier hatte offen stehen lassen. Vollkommen unvorbereitet auf die plötzliche Gegenwehr taumelte der Mann zurück, versuchte auf diese Weise den mit aller Kraft geführten, aber kaum Schaden anrichtenden Schlägen zu entgehen. Die Fassungslosigkeit in seinem Blick wandelte sich jedoch innerhalb eines Wimpernschlages zu etwas anderem, zornsprühendem.

𝐌𝐲𝐬𝐭𝐞𝐫𝐲𝐥𝐚𝐧𝐝 (Die Ärzte FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt