Teil 15 - Willkommen in der Ärzte-WG

176 21 23
                                    

Die Sonntagsrituale waren Bela heilig.

Wenn er spät nachts beziehungsweise früh morgens in die Chaos-WG zurückkehrte, verschlief der Punk meist den größten Teil des Vormittags und hatte danach auch keine rechte Lust aufzustehen, geschweige denn produktiv zu sein.

Seit Effy bei ihnen eingezogen war, hatte sich jedoch ein grundlegender Teil in seinem Tagesablauf verändert: sobald Bela richtig wach geworden war, ging er ins Bad.

Kam er dann nach einer halben Ewigkeit von dort zurück, nach mehrmaligem Einnicken auf dem Klo, gewaschen und mit geputzten Zähnen, erwartete ihn seine Mitbewohnerin bereits mit Frühstück im Bett, wo sie direkt den ersten Film anfingen. Was es zu Essen gab, war ihr überlassen, Bela war da nicht anspruchsvoll und aß die Pizza vom Vorabend mit demselben Appetit wie das trockene Toastbrot, wenn mal wieder niemand eingekauft hatte.

Hätte Bela sich nicht so sehr auf das Konzert in München gefreut, hätte er den Sonntag, den sie verpassen würden wahrscheinlich vermisst.


"Effy, wo ist mein Kajal?" Hektisch suchte Bela den Zimmerboden um den Spiegel herum ab.

Vor fünfzehn Minuten war Sahnie mit dem gelben Bus vorgefahren, um seine beiden Bandkollegen einzusammeln, aber da hatte der Schwarzhaarige noch gar nicht gepackt gehabt.

Der Bassist, dem das obligatorische Zuspätsein des Schlagzeugers tierisch auf die Nerven ging, hatte bereits gedroht, ihn dazulassen, aber seine Worte waren nichts weiter als heiße Luft und alle wussten dies. Eine Band ohne Drummer konnte nicht auftreten, außerdem stammte die Hälfte der Songs aus Belas Feder - zumindest die kleine Hälfte, die meisten Songs waren von Farin, der an manchen Tagen förmlich Songtexte zu kotzen schien.

"Hier. Hier ist deine Jacke, die Sonnenbrille, Haarspray, ein Stift, drei Blätter Papier und ein kühles Bier."

Fassungslos starrte Bela den Jutebeutel an, den Effy ihm entgegen hielt. Das waren all die Dinge, nach denen er gleich noch gesucht oder die er vergessen hätte. Ihre Augenbrauen zuckten, ein Zeichen für Ungeduld.

"Erinner mich dran dich als Sekretärin einzustellen, wenn ich zurück bin!" Er gab ihr einen Kuss auf die Wange, schnappte die Tüte und seine Tasche.

Sekunden später fiel die Haustür ins Schloss und Effy war alleine in der Wohnung. Vom Fenster aus winkte sie ihren Freunden zum Abschied und streckte Jan die Zunge raus, als dieser scherzend rief, er hoffe das Haus gäbe es bei seiner Rückkehr noch.


Trotz der Putzaktion vor anderthalb Wochen sah es nicht mehr besonders ordentlich in der Wohnung aus, aber immer noch besser als sonst. Effy sparte es sich alles erneut zu säubern, weil es eh nur wieder dreckig werden würde, aber zumindest das schwarze Zimmer sollte den Eindruck vermitteln, sie wären nicht die schlimmste Sorte Müßiggänger.

Zuerst musste der Müll raus, dann versuchte Effy alle Pornohefte im Schrank gestapelt verschwinden zu lassen, was sich jedoch als nicht besonders einfach erwies, da überall neue aufzutauchen schienen, manchmal auch nur einzelne Seiten oder - und dies empfand Effy als weit eigenartiger - einzelne, ausgeschnittene Geschlechtsteile. 

Interessiert ließ das Mädchen sich auf das Bett sinken und schlug ein Heft auf, das sie an der Wand hinter der Matratze gefunden hatte. Einige Seiten waren mit Filzstiftgekritzelt verziert, die leichtbekleidete Frauen in Monster verwandelten oder mit riesigen Penissen, welche die kurzen Texte verdeckten.

Neugierig blätterte das Mädchen durch die Seiten, sah sich die nackten oder fast nackten Gestalten an, die sich der Kamera und damit dem Leser präsentierten. Es erschien ihr seltsam, wie man sowas erregend finden konnte. Auf die Fünfzehnjährige wirkten die Bilder eher abstoßend, wenngleich sie auch eine seltsame Faszination ausübten.

𝐌𝐲𝐬𝐭𝐞𝐫𝐲𝐥𝐚𝐧𝐝 (Die Ärzte FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt