Teil 43 - Du würdest nicht verstehen

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Mit vor Stress feuchten Händen saß Freddie wie auf heißen Kohlen da, unruhig auf dem Stuhl hin und her rutschend. Wenn es wieder eine Fünf wäre, würden seine Eltern ihm die Hölle heiß machen. Dabei hatte er dieses Mal wirklich fast alle Hausaufgaben gemacht und stets versucht im Unterricht mehr als nur physisch anwesend zu sein. Eigentlich hatte der ganze Zirkus hier sowieso keinen Sinn! Nie und nimmer konnte er in die riesigen Fußstapfen seines Vaters treten, der sich rühmte, einer der gefragtesten Ingenieure der Stadt zu sein. Doch wenn der Junge ehrlich zu sich selbst war, wollte er dessen Nachfolge auch überhaupt nicht antreten. Bloß durfte sein alter Herr davon nie etwas erfahren, ansonsten war er bei seiner Familie komplett unten durch.

Je näher der Lehrer ihm beim Austeilen der Arbeiten kam, desto nervöser wurde der Sechzehnjährige. Endlich blieb der dickbäuchige Mathelehrer mit dem Walrossbart vor dem Platz in der zweiten Reihe stehen und kramte geschäftig im Stapel Arbeiten herum, bevor er eine heraus zog. Eine Zwei Plus prangte in roter Schrift auf dem Deckblatt. Ungläubig griff Freddie danach, eine solch gute Note hatte er seit der Grundschule nicht in Mathe gehabt! Komplett von der magischen Zahl auf dem Deckblatt eingenommen, bemerkte der Junge nicht, dass Herr Dreyer weiter in dem Stapel blätterte und eine zweite Arbeit heraus zog.

„Richten Sie Fräulein Elizabeth meine Genesungswünsche und einen Glückwunsch aus. Das war eine der besten Arbeiten. Hätte sie nicht so früh abgegeben und die letzten Aufgaben auch noch gerechnet, wäre es eine Eins geworden", riss das tiefe Brummen des Lehrers Freddie aus seiner Trance. Verwirrt blinzelnd sah der Junge auf den Bogen Papier, den die fleischigen Finger ihm entgegen hielten. Oben in der Ecke prangte eine rote Vier minus.

„Kopf hoch, Sie haben ja jetzt jemandem, der Ihnen helfen kann", tröstete Herr Dreyer ihn und klatschte die Arbeit auf den Tisch des Jungen, bevor er sich dem nächsten Schüler zuwandte. Freddies Kehle war eng vor Enttäuschung, als er seinen Irrtum begriff. Hätte der Gymnasiast sich eben bei der knappen Vier noch ein Loch in den Bauch gefreut, weil es zumindest ein Bestand den war, so schien ihn die Note nun verspotten zu wollen. Unzufrieden mit sich selbst, stopfte der Junge beide Arbeiten in den Rucksack, ohne darauf zu achten, ob sie Eselsohren bekamen oder sich die Aufgaben noch einmal durchzulesen.

Ein bitteres Gefühl machte sich in seinem Magen breit, drückte ihm auf die Stimmung. Warum war Effy nur so gut? Und das, obwohl es sie nicht im Geringsten zu interessieren schien. Es war so verdammt ungerecht, dass er die Noten brauchte, aber nicht bekam und sie das Ganze mit einem Schulterzucken abtat. Auch wenn Effy seine Freundin war, für die er sich freuen sollte, konnte Freddie es einfach nicht. Was hätten seine Eltern ihn gelobt und ihm stolz auf die Schulter geklopft, wenn er diese Note nach Hause gebracht hätte! Der Neid auf die guten Leistungen des Mädchens nagte in seinen Eingeweiden und ihr offensichtliches Desinteresse ärgerte ihn mit einem Mal unsäglich.


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„Wieso hast du so früh abgegeben?", wollte Freddie wissen, der bereits ziemlich gereizt aus der Schule gekommen war und nur umso verärgerter wurde, als er seine Freundin bei sich im Garten gemütlich in der Hollywood-Schaukel sitzend vorgefunden hatte. Komplett in einen Roman vertieft, hatte sie kaum reagiert, bis er direkt vor ihr stand.

Um ihm Platz zu machen, rückte das Mädchen ein bisschen beiseite, doch Freddie ignorierte das Angebot. Die Antwort auf die zuvor gestellte Frage war bloß ein Schulterzucken, den Blick weiterhin im Buch, erklärte die Braunhaarige defensiv: „Du würdest es nicht verstehen."

Verärgert zogen sich Freddies Augenbrauen zusammen. Dass sie ihm so wenig zutraute! "Natürlich würde ich es verstehen, wenn du einen guten Grund hattest!", warf der Ältere seiner Freundin vor, welche ihn zweifelnd anblickte und vorsichtig erklärte: "Ich hatte etwas Wichtigeres vor als den Mathe-Test und habe die Zeit genutzt, da noch alle beschäftigt waren."

𝐌𝐲𝐬𝐭𝐞𝐫𝐲𝐥𝐚𝐧𝐝 (Die Ärzte FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt