20. Happy Halloween

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Dienstag, 01. November 2016

Es war, wie eine Reise, zurück in die Zeit. Das alte Herrenhaus thronte zweistöckig in den Nachthimmel. Der Vorgarten war heruntergekommen und verwuchert, im Holzzaun klafften immer wieder große Lücken. Von dem einst mit großen Steinen gewundenen Weg war nicht mehr viel zu sehen. Der Fenster im Untergeschoss waren bereits vor Jahren mit Steinen eingeworfen worden und unter den jungen Leuten in Pokeena rankten sich düstere Legenden über die Bewohner dieses Hauses. Man sagte sich, dass der Hausherr seine Frau in kochend heißem Wasser ertränkt hätte. Ihm selbst soll das Wasser nichts angetan haben, als er seine Hand in die blubbernde Flüssigkeit gesteckt hatte, um den Kopf seiner Frau unten zu halten. Doch wenn man ganz leise war, konnte man noch heute ihre Schreie und das Wimmern hören, welches aus dem Topf gekommen war.

So sagte es die Legende in der Stadt, doch niemand wusste, was wirklich passiert war.

Die Ehefrau hatte Puppen besessen. Jene von diesen edlen Porzellanpuppen in weißen Rüschenkleidern und mit gelockten Frisuren. Man konnte sie lieben oder sich vor ihnen fürchten. Sie hatte sie mehr geliebt, als alles andere. Sie hatte ihnen das Haar gekämmt und neu geflochten, hatte mit ihnen gesprochen, ihnen all ihre Geheimnisse anvertraut. Die Legende sagte weiter, dass der Mann durch die Hände der Puppen starb. Sie sollen ihn erstochen haben. Die Leiche der Frau war nie gefunden worden und auch der Mann war spurlos verschwunden.

Die Dielen im Haus knarrten, wenn man langsam über sie schritt. Es klang, wie ein leises, jämmerliches Weinen. Die Möbel des Paares waren mit weißen Tüchern verdeckt, der Kamin, wie ein zahnloses, weit aufgerissenes Maul schwarz verrußt. Wohin man sah, saßen die Puppen, als würden sie noch immer über ihre Herrin wachen.

Bilder zierten die Wände auf der geschwungenen, Treppe, die ins Obergeschoss führte. Ein Schemel stand mitten im Flur. Er wirkte deplatziert, er gehörte nicht dahin und doch stand er auf dem verstaubten, dicken Teppich. Und auf ihm saß eine Puppe, die Treppe fest im Blick, wachsam. Drei Zimmer gingen ab, jedes von ihnen dunkel, staubig, das Inventar mit Leinentüchern verhangen.

Ein leises knarzen durchdrang die Stille, die dieses Haus schon seit Jahren umgab ...

Es war Blaine, der langsam die Tür weiter aufschob. Kranzend gaben die Scharniere nach und verschafften ihm eine unangenehme Gänsehaut. Neben ihm stand Sandro und beide versperrten ihren Freunden noch den Blick auf die Eingangshalle.

Vor ihnen mitten auf dem verstaubten Boden stand eine Kerze, die eine einzelne Pappkiste beleuchtete. Langsam ging Blaine darauf zu und hockte sich hin. "Taschenlampen." Er riss die kleine Notiz von der Kiste, die mit Klebeband daran befestigt war.

Ihr werdet sie brauchen! -A

Er hob den Blick und schaute zu der kleinen Gruppe. "Das wird übel."

Sandro sah zu seinen Freunden und biss sich auf die Unterlippe. "Wir passen optisch echt gut zu dieser Hütte." Er reichte ihnen einige Taschenlampen. Nicht für jeden war eine bei. Entweder hatte A sich verzählt, oder es war Absicht.

"Euch hat er nicht eingeplant", sagte Blaine, der Sandros Mimik richtig deutete. "Es fehlen genau zwei. Nimm die. Ich bleibe bei Jessy", sagte er und drückte Sandro die Lampe in die Hand. "Jess, komm her. Gib sie mir." Er streckte die Hand aus und schaute sich um.

Am Tor, nur halb vom Laternenlicht beleuchtet, stand der Pestdoktor und beobachtete die Gruppe, die nach und nach langsam das Haus betrat. Wie wunderbar sich doch alles fügte.

Blaine schaltete seine Lampe an. Der Strahl war hell und breit. Er ließ ihn durch die Eingangshalle wandern, so, wie es auch die anderen taten.

Zwei große Landschaftsgemälde hingen an den Wänden, doch sie waren zu verstaubt, um irgendwas zu erkennen. Der Boden war definitiv interessanter. Im Staub, welcher auf dem dunklen Parkett lag, waren Spuren zu sehen, die nicht von ihnen stammten. Fußabdrücke ohne Profil, und Schleifspuren.

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