27. Freiheit

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Ich weiß nicht wie lange ich noch dort saß. Die Hand meiner Mutter war mittlerweile kalt, doch ich hielt sie weiter fest umklammert.
Ein Reifenquietschen hallte durch die Straßen und die schwarze Limousine hielt neben mir an. Ein Soldat stieg aus. Als er mich und meine Mutter sah, sprach er in sein Funkgerät. "Auftrag ausgeführt. Begeben uns zurück zum Stützpunkt."

Er zückte eine Spritze, vermutlich Betäubungsmittel, und machte einen Schritt auf mich zu. Meine Kraft war zwar deutlich geschwunden, doch in diesem Moment überkam mich eine Wut, die meine Reserven entfesselte. Ich warf meine Haare nach hinten und sprang auf ihn zu. Mit blinder Wut und Verzweiflung griff ich an, doch nach einem kurzen kampf zückte er einen Taser und ich landete auf dem Rücken neben meiner Mutter. Mein Körper zuckte unter der Stromstößen. Durch einen Schleier hindurch sah ich wie er erneut auf mich zukam. Diesmal wehrte ich mich nicht.

Es wurde dunkel um mich herum und ich bekam nur noch mit wie er mich in die Limousine setzte und selbst Einstieg.

Ich träumte nicht. Oder zumindest nicht wirklich. Mein Kopf war leer. In der Dunkelheit versuchte mein Gehirn zu verarbeiten was gerade passiert war. Ich hatte meine Mutter getötet. Und ich konnte mich nicht einmal richtig verabschieden, geschweige denn sie begraben. Was würde mit ihrem Körper geschehen? Was würde mit mir geschehen? Ein Orkan an Fragen kreisten in meinem Kopf herum und bescheerte mir einen unruhigen Schlaf.

Ein kräftiger Ruck, riss mich aus der Dunkelheit. Alles wirkte wie in Zeitlupe. Die komplette Inneneinrichtung, mich und den Soldat eingeschlossen, flog durch die Luft. Sein Gesicht war ebenso geschockt wie meines. Der komplette Wagen hatte sich überschlagen. Mit einem hässlichen schabenden Geräusch landete die Limousine auf ihrem Dach und schlitterte noch einige Meter weiter. Unsanft landete ich auf dem Boden. Mein Kopf dröhnte, als ich wieder aus meiner kurzen Ohnmacht erwachte, und für einen Kurzen Moment hörte ich alles wie durch eine Decke. Der Soldat trat eines der Fenster ein und zog seine Waffe. Er Befahl mir zu bleiben wo ich war und verließ das zu Schrott gefahrene Auto. Schüsse fielen und ich hörte Rufe von außen. Ich stützte mich auf die Ellenbogen und robbte zu dem kaputten Fenster.

Die Luft draußen war voller Rauch. Dann spürte ich etwas. Etwas fehlte. Der Chip. Verwundert griff ich an meinen Hals, er war weg. Ich schaute mich um. Er lag an der Stelle an der ich aufgewacht war... zerbrochen.
Meine Gedanken überschlugen sich. Kein Chip mehr, keine Soldaten, Rauch in der Luft...
Die perfekte Flucht. Jetzt oder nie.

Ich bereitete mich auf den Absprung vor und hechtete aus meinem Versteck in das Chaos hinein.

***

Innerhalb eines Augenblicks realisierte ich die Situation. Hinter dem, auf dem Kopf stehenden Wagen, hatten die Soldaten und der Fahrer von Hydra Stellung eingenommen und feuerten auf die Angreifer. Von denen jedoch sah ich nur blitzartig einige Schatten durch den Nebel huschen und einige Laute Rufe. Keiner von ihnen verlies die Deckung, und es wurde einfach drauflos geschossen. Keiner schien mich zu bemerken. So unauffällig wie nur möglich schob ich mich an einer Hauswand entlang, in Richtung einer schmalen Gasse. Sobald ich außer Sichtweite war verwandelte ich mich um mir einen besseren Überblick zu verschaffen. Immernoch schien niemand mein Verschwinden bemerkt zu haben. Ich konnte mein Glück kaum fassen, doch die Trauer über meine Mutter hielt meine Begeisterung stark in Grenzen.

Ein letzter Blick zurück, dann sprintet ich los. Ich hatte keine Ahnung wo ich war, doch eine Richtung hatte ich klar und deutlich im Kopf. Weg von Hydra!

Plötzlich spürte ich etwas. Ein Wiederstand, der versuchte mich aufzuhalten. Verwirrt schaute ich mich um, konnte aber niemanden entdecken. Dann wusste ich was es war. Die Stimme. Sie manipulierte mein Unterbewusstsein. Resigniert und voller Wut schmetterte ich meinen Kopf im Rennen gegen die Wand. Doch es schien mir, als würde sie mich nur verhöhnen, also versuchte ich sie so gut es ging zu ignorieren. Anscheinend hatte ich keine aktuellen Befehle, sodass die Stimme mich zu nichts bestimmten Zwang.

Ich jagte durch eine Straße nach der anderen, doch keine Menschenseele war zu sehen.
Schließlich wurde der Himmel heller und die Häuser sahen freundlicher aus. Im Schutz eines Hauseingangs verwandelte ich mich zurück, um nicht aufzufallen. Der Boden war kalt und mein Hoodie war klatsch nass. Es hatte zwar aufgehört zu regnen, doch die Sonne versteckte sich nach wie vor hinter einer grauen Wolkendecke.

Dann traf die Gasse tatsächlich auf eine belebtere Straße. Nicht viele, aber genug, Menschen waren dort unterwegs um sich nach dem Weg zu erkundigen. Doch als ich an mir hinab sah, stutzte ich. So sollte ich nicht unter Menschen gehen.
Ich stahl mich unbemerkt in einen Hinterhof und "borgte" ein paar Sachen von einer Wäscheleine. Meine eigenen Klamotte entsorgte ich in einer Mülltonne. In einem Garten fand ich eine Regentonne, in der ich mir Blutreste von den Unterarmen und aus dem Gesicht wusch. Es erinnerte mich wieder an meine Mutter. Ein Stich fuhr in mein Herz und Tränen füllten erneut meine Augen.

Doch aus der Erfahrung heraus, dass weinen nichts bringt, straffte ich die Schultern, blinzelte heftig und machte mich auf den Weg, zurück zur Straße.
Nun fiel ich schon weniger auf und mischte mich unter die Menge. Bis auf einige verwirrte Blicke, die von meinen nackten Füßen zu meinem Gesicht wanderten, wurde ich nicht aufgehalten.
Ich lief an einer Bushaltestelle vorbei, an der ein älterer Mann saß. Er studierte einen Stadtplan und das war die perfekte Gelegenheit für mich.

Möglichst beiläufig schlenderte ich zu ihm herüber. "Entschuldigen Sie, Sir?" "Ja? Wie kann ich Ihnen helfen, junge Dame?" Er lächelte und fast hätte ich zurück gelächelt. "Dürfte ich kurz einen Blick auf ihre Karte werfen, ich habe mich ein wenig verlaufen...?" Ich hoffte inständig er würde mir das abkaufen, doch so falsch war es eigentlich garnicht. "Aber natürlich, setz dich. Wo willst du denn hin, wenn ich fragen darf?" "Das ist super, vielen Dank. Ich muss zum Hauptbahnhof New York. Ist das weit?" Ich war von mir selbst überrascht, dass ich nach all der Zeit allein ein solides Gespräch zusammenbrachte. "Oh, Kind, da bist du aber ganz schön vom Weg abgekommen. Wir sind in Middletown." "Ist das weit weg von New York?" Ich hatte noch nie von 'Middletown' gehört und fragte mich was er mit ganz schön vom Weg abgekommen meinte. "Mit dem Auto ca. eineinhalb Stunden. Sind deine Eltern auch hier irgendwo?" Er schaute sich um, als könnte er sie irgendwo entdecken. Oh, Mist. Eineinhalb Stunden, das würde zu Fuß ewig dauern. "Ähm... Nein, ich bin mit ein paar Freunden hier, aber ich hab sie im Getümmel verloren." Ich hatte weder Geld für ein Zugticket, noch kannte ich jemanden, der mich nach New York bringen könnte. Außerdem musste ich mir irgendwo Verpflegung besorgen. Doch würde mich die Polizei aufgabeln hätte Hydra mich in unter 20 Minuten gefunden und eingesammelt.

Etwas ratlos starrte ich auf die Karte. Ich würde versuchen müssen mich allein durchzuschlagen. Der Mann sah mich von der Seite an, als wollte er herausfinden was in meinem Kopf vorging. "Gibt es ein Problem, junge Dame?" "Nein, schon gut..." anscheinend schien er mir diesmal nicht wirklich zu glauben.
"Ich glaube ich habe eine Idee die dir weiter helfen könnte." Verwirrt sah ich ihn an, doch er zückte nur ein Klapphandy und tippte eine Nummer ein...

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