29. Jo

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"Hallo?" ... "Ja, liebes ich bin es." ... "Du fährst doch wieder in die Stadt, oder nicht?" ... "Ich habe eine Bitte an dich."
Der Mann lächelte mich an und sprach weiter. "Könntest du jemanden mitnehmen? Sie möchte nach New York." Fassungslos starrte ich ihn an. Wen auch immer er angerufen hatte, sollte mich mitnehmen. Eine Wild fremde. "Ich habe kein Geld..." flüsterte ich, da ich das Gespräch nicht unterbrechen wollte. Der Mann schüttelte abwehrend den Kopf. "Perfekt, vielen Dank Liebes. Ich schulde dir was.".... "Ja, in Ordnung. Bis dann."

"Wissen Sie junge Dame, ich habe eine Enkelin, die oft nach New York pendelt. Sie nimmt dich mit, natürlich nur wenn du das willst." "Das ist wahnsinnig nett von Ihnen, aber das kann ich wirklich nicht annehmen. Sie kennen mich doch kaum." Er unterbrach mich in meinem Redefluss. "Nun, so oder so kommt Jo bei mir vorbei, ob du mitfahren möchtest oder nicht, ist und bleibt deine Sache, aber ich sage dir, es ist ein ganzes Stück zu Fuß nach New York."

Darauf antwortete ich nicht. "Komm schon, mein Kind. Du siehst hungrig aus. Jo kommt heute erst gegen Abend, ich möchte nicht den ganzen Tag hier herumsitzen." Er stand auf und bahnte sich durch einen Weg durch die Menschenmassen, die sich durch die Straßen schoben. Etwas unentschlossen stand ich an der Haltestelle. Sollte ich ihm folgen? Tun konnte er mir sowieso nichts und der Magen hing mir schon in den Kniekehlen. Also folgte ich ihm. Wir liefen ein Weilchen durch die verwinkelten Gässchen bis der Mann in einen Hofeingang bog. Er öffnete eine Tür und hielt sie mir auf. Bevor ich eintrat verschaffte ich mir blitzschnell einen Überblick über den Hinterhof um im Notfall möglichst schnell abhauen zu können. Dann betrat ich die Wohnung.

Sie war sehr gemütlich. Zwei Sofas, eine Küchenzeile, und hinter dem Wohnzimmer führte ein Flur zu Schlafzimmer und Bad. "Fühl dich wie zu Hause. Ich mach uns mal was zu essen." Unentschlossen wie ich auf seine Gastfreundschaft reagieren sollte, setzte ich mich auf eines der Sofas. "Wie heißen sie eigentlich?" "Meine Freunde nennen mich Rod." Das war alles was er sagte. Ich würde uns zwar nicht direkt als "Freunde" bezeichnen, aber wie sollte ich ihn sonst nennen.

"Hast du auch einen Namen?" Er drehte sich zu mir um und lächelte mich an. "Quenn." Er wartete, doch ich erwiderte nichts mehr. "Du scheinst nicht sehr gesprächig zu sein." Ich antwortete nicht. Ich wusste wirklich nicht was ich tun sollte. Ich wurde von einem Killerkomando von Hydra gejagt, war nicht mehr zu sozialen Interaktionen fähig und jetzt bot sich mir die einmalige Chance, das mich jemand mit nach New York nimmt, aber ich würde sie in Lebensgefahr bringen.
Ich beschloss erst einmal das Essen abzuwarten, denn mein Bauch beschwerte sich hörbar. Doch der Mann war wirklich nett und ich wollte weder ihm noch seiner Enkelin Probleme machen.

Das Essen war einfach, doch es schmeckte hervorragend. Nudelsuppe. Ich hatte noch nie so einen Appetit. Rod sah mir belustigt dabei zu, wie ich, versucht höflich, Nudeln in mich rein schaufelte. "Da hat aber jemand Hunger. Es ist noch was da, wie wäre es mit einem Nachschlag?" Ich nickte nur, denn mein Mund war noch voll, als er mir den restlichen Inhalt des Topfes auf den Teller kippte. Als wir fertig waren, stand er auf und räumte die Teller in die Spüle. "Ich werde einen Schläfchen halten. Mach es dir auf dem Sofa bequem wenn du schlafen willst. Ich sage dir bescheid, wenn Jo hier ist." Mit diesen Worten verschwand er im Flur. Um mich nicht ganz so unfreundlich zu fühlen, rief ihm ein 'Vielen Dank' hinterher. Er murmelte noch etwas, dann fiel die Schlafzimmertür ins Schloss.

Eigentlich ein Wunder. Er ließ mich mit größtem Vertrauen einfach in seiner Wohnung pennen. Ich könnte hier sonst was anstellen.
Schließlich machte ich es mir doch auf dem Sofa bequem. Obwohl ich mir vorgenommen hatte nicht einzuschlafen dämmerte ich nach etwa zehn Mimuten weg. Ich träumte nicht, doch es machte sich ein unwohles Gefühl in mir breit, das mich an den Schmerz und die Trauer erinnerte, als ich meine Mutter... Als sie gestorben war.

Ein rütteln brachte mich zurück in die Realität. Rod stand neben der Couch. "Jo kommt bald. Sie hat mich angerufen." Schlagartig fiel mir alles wieder ein, bald wäre ich endlich zuhause. Ich stand auf und Band mir die verwuschelten Haar zu einem Pferdeschwanz zusammen. "Wie lange habe ich geschlafen?" Ich suchte die Wände mit den Augen nach einer Uhr ab, fand aber keine. "Etwa vier Stunden. Oh, hörst du das? Das muss meine Enkelin sein." Man hörte ein Auto im Hof, dessen Motor gerade abgestellt wurde. Plötzlich wurde ich nervös, was wenn es nicht Jo war. Was wenn es Hydra war.

Bei diesem Gedanke bekam ich Gänsehaut. Innerlich bereitete ich mich auf einen möglichen Kampf vor, versuchte aber äußerlich einen freundlichen Schein zu bewahren. Rod öffnete die Tür.
"Josephine, Liebes, komm doch rein." Eine junge Frau betrat das Wohnzimmer. Sie war schlank, etwa so groß wie ich, hatte schulterlanges, aschblondes Haar und dunkelbraune Augen. Meine Anspannung ließ langsam nach, doch ich wollte erst ganz sicher sein. "Du musst Quenn sein. Ich bin Jo." Ich fasste den Entschluss meine Bedenken erstmal in den Hintergrund zu verdrängen, straffte die Schultern, ging geradewegs auf Jo zu und streckte ihr die Hand entgegen. "Schön dich kennenzulernen. Rod meinte du würdest mich vielleicht mit nach New York nehmen?" "Rod meinte am Telefon du seist etwas schüchtern, aber das scheint mittlerweile ja verflogen zu sein. Aber ja, ich kann dich mitnehmen."

"Großartig." Auffordernd schaute ich sie an. "Na dann, scheint als hättest du keine Zeit zu verlieren." Ich war tierisch froh, dass sie meinen Wink verstanden hatte, doch Rod schien andere Pläne zu haben. "Du bist doch gerade erst angekommen, bist du sicher, dass ihr direkt losfahren wollt?" "Ich habe heute Abend noch einen Termin in New York und Quenn scheint auch keine Wurzeln geschlagen zu haben. Tut mir leid grandpa, aber wir sehen uns sicher bald wieder." "Also dann, gute Fahrt meine Lieben, passt auf euch auf. Quenn? Vielleicht laufen wir uns ja mal wieder über den Weg." Ein Lächeln huschte über mein Gesicht. "Das hoffe ich. Tausend Dank für das Essen und die Gastfreundschaft."

Auch wenn ich es mir niemals eingestanden hätte, ich hatte Rod tatsächlich lieb gewonnen.
So verließen wir die kleine Wohnung, den Hof und bogen schließlich in eine Landstraße ein.
Bald wäre ich wieder zuhause...

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