Wahrheiten

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Irgendwann bricht meine Schwester das Schweigen.

„Olli…“        

Ich hebe den Kopf zum ersten Mal seit mehr als einer Stunde und sehe meine Schwester an, ohne jedoch stehen zu bleiben. Wir haben einen ruhigen aber gleichmäßigen Laufrhythmus gefunden und den will ich nur ungerne unterbrechen.

„Ja, Speedy, was ist?“

Sie wirkt geradezu schüchtern als sie nun weiterspricht, etwas was ich von ich so gar nicht kenne.

„Du… Du hast … also du hast, naja du hast diese Typen außer Gefecht gesetzt ohne mit der Wimper zu zucken. Und ich will einfach wissen wie… Verstehst du? Du bist so vollkommen anders als sonst und wenn ich ehrlich bin, machst du mir Angst Ollie.“

Ich atme zischend ein. Jetzt ist es also soweit. Die spanische Inquisition beginnt. Ich habe meine Entscheidung diesbezüglich getroffen und ich werde sie umsetzten. Noch ein letztes Mal hole ich tief Luft, dann versuche ich die richtigen Worte zu finden um meiner Schwester zu erklären, was mit mir geschehen ist.

„Ich… Ich habe euch angelogen. Dich, Mum, Walter eigentlich alle. Ich war nicht allein auf dieser Insel. Ich hatte Gesellschaft. Gesellschaft von Leuten, die du deinen ärgsten Feinden nicht auf den Hals hetzen willst.“

Vorsichtig hebe ich den Blick, den ich während meiner Worte zu Boden gerichtet habe und sehe Thea wieder an. Sie wirkt nicht so wütend, wie ich es erwartet hätte. Eher besorgt. Ich versuche mich zu erklären. Rede immer schneller in der Hoffnung, dass sie versteht.

„Unter diesen Bedingungen lernt man zu kämpfen. Entweder das oder man überlebt es nicht. Ich habe meine Wahl getroffen. Ich habe gekämpft und ich habe manchmal mit Mitteln gekämpft, die absolut niemand als angemessen bezeichnen würde. Ich wollte nicht über das reden, was passiert ist Thea und deshalb habe ich nicht die Wahrheit gesagt. Ich habe gesagt was ihr hören musstet um mich in Ruhe zu lassen.“

Nachdem ich geendet habe, gehen wir einige Momente schweigend nebeneinander her. Offenbar hat mein Geständnis Thea überrascht. Natürlich, ich habe seit meiner Rückkehr von der Insel fast nie über das gesprochen, was dort passiert ist und jetzt serviere ich ihr so einen Hammer ohne jegliche Vorwarnung. Ich weiß, dass ich es möglicherweise geschickter hätte angehen können, aber im Grunde bereue ich es nicht, dass ich ihr endlich gesagt habe, was mit mir geschehen ist. Irgendwann findet sie ihre Sprache wieder. Sie klingt ängstlich und auch ein wenig traurig als sie mich fragt:

„Hast du deswegen diese Narben?“

Ich nicke kurz. Leugnen ist sowieso zwecklos.

„Ja… Ja ich habe sie mir im Kampf ums Überleben zu gezogen. Es tut mir leid, dass ich es dir nicht früher gesagt habe, aber ich wollte dich nicht damit belasten.“

Weitere quälende Minuten laufen wir schweigend nebeneinander her. Ich habe Angst vor Theas Reaktion und so beobachte ich sie aufmerksam ohne jedoch aus ihrem Minenspiel schlau zu werden. Irgendwann halte ich es nicht mehr aus.

„Thea, bitte rede mit mir. Sag mir was du denkst, meinetwegen schrei mich an, aber sag mir, was in dir vorgeht. Ich kann verstehen wenn du sauer bist, ich habe dich immerhin über ein Jahr lang angelogen. Wenn das so ist, wenn du nichts mehr mit mir zu tun haben willst, dann verstehe ich das und dann ist das okay für mich, aber bitte sag es mir. Lass mich nicht so im Unklaren…“

Sie seufzt leise. Als sie mir antwortet klingt ihre Stimme traurig.

„Ich… Ich bin nicht sauer auf dich Olli. Es ist eher so, dass ich versuche zu verstehen, was du durchgemacht hast. Du hast diese Narben und du bist so anders als früher und ich kann verstehen, dass du nicht darüber sprechen wolltest, es vermutlich auch jetzt nicht willst, aber ich versuche halt trotzdem zu verstehen, was dir passiert ist. Ich werde nicht schlau aus dir. Einerseits machst du mir Angst und andererseits wirkst du so unglaublich verletzlich. Du bist so stark und so mutig gewesen, als du diese Männer angegriffen hast, ganz anders und jetzt… Jetzt sehe ich wieder einfach nur noch Olli, meinen Bruder, der Angst hat, dass ich ihn hassen könnte… Ich verstehe nicht, wie du beides sein kannst und habe Angst dich zu fragen, weil du in letzter Zeit immer verschlossener geworden bist je mehr ich gefragt habe.“

Ich hasse RegenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt