Kapitel 9

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Wie gebannt hing mein Blick an den Zeilen des Buches, sodass ich die sich öffnende Tür erst bemerkte, als mich bereits ein Schwarm riesiger Fliegen umschwirrte. Unwillkürlich zuckte ich zusammen und ließ vor Schreck das Buch fallen. Doch dann materialisierte sich Bela neben mir und mein rasender Herzschlag beruhigte sich wieder. „Na toll! Jetzt habe ich wegen dir die Seite verloren!“, beschwerte ich mich und hob das zugeschlagene Buch vom Bett auf.

„Warum bist du auch immer so schreckhaft?“, erwiderte Bela lachend, zog mich in ihre Arme und warf dann einen skeptischen Blick auf den Einband des Buches. „Schon einmal daran gedacht, dass die Wahl deines Lesestoffs damit zusammenhängen könnte? Du meintest doch, dass du Horror nicht gut verträgst.“ Damit hatte Bela zwar recht, aber zur Zeit hatten es mir die Romane von Stephen King wahrlich angetan. Die Bibliothek im Schloss Dimitrescu war gut gefüllt, doch der Großteil der recht alten Bücher aus aller Welt hatte mir nichts gesagt. Stephen King war zumindest ein Name, mit dem ich etwas anfangen konnte, und obwohl ich tatsächlich am besten die Finger vom Horrorgenre lassen sollte, hatte es doch eine unleugbare Anziehungskraft auf mich.

„Ernsthaft? Du meinst, die fiktiven Monster in diesem Buch könnten zu viel für mich sein, während ich mich in der Realität freiwillig mit Monstern umgebe?“, entgegnete ich stichelnd und warf Bela einen schelmischen, aber zugleich liebevollen Blick zu. Dann allerdings verschwand mein Lächeln und machte einer nachdenklichen Ernsthaftigkeit Platz. „Aber einmal in Ernst, ich habe dir doch gesagt, dass du mich nicht so in deiner Fliegenform überraschen sollst. Jedes Mal habe ich schreckliche Angst, dass nicht du es bist, sondern Daniela oder Cassandra", erklärte ich Bela, wobei sich mein Körper unwillkürlich verspannte.

Fast zwei Wochen waren seit dem Vorfall mit dem Fenster vergangen und ich fühlte mich Bela näher als je zuvor. Seit diesem herrlichen Tag, an dem wir uns unsere Liebe gestanden hatten, führten wir ein geradezu utopisches Zusammenleben. Bela hatte ihr Wort gehalten und behandelte mich nicht länger wie einen Sklaven sondern wie ihre Geliebte. Als sie von den blauen Flecken erfahren hatte, die sie mir anfangs unabsichtlich zugefügt hatte, waren ihr die Schuldgefühle deutlich anzusehen gewesen und sie hatte sich beinahe überschwänglich entschuldigt. Sie passte nun viel besser auf und auch ich hatte dazugelernt. Bela hatte mir erklärt, dass einzig und allein Kälte ihr Schaden zufügen und sie vermutlich auch töten könnte. Dementsprechend versprach ich ihr, das Fenster nur noch zu öffnen, wenn sie nicht da war und ich auch sicher sein konnte, dass sie nicht zufällig hereinkommen würde.

Doch so schön unser Leben jetzt auch war, gab es trotzdem noch große Nachteile. Ich saß nach wie vor in diesem Zimmer fest, da Bela nicht garantieren konnte, dass sie mich im restlichen Schloss beschützen konnte. Ihre Familie war das Problem. Bela versicherte mir zwar ständig, dass ihre Schwestern mich auf ihren Wunsch hin nicht anrühren würden, doch so ganz schien sie dem selbst nicht zu glauben. Anderenfalls müsste sie mich nicht in ihrem Zimmer vor ihnen verstecken. Dennoch blieb mir keine andere Wahl, als in diesem Zimmer zu bleiben und zu hoffen, dass Daniela und Cassandra nicht auf dumme Ideen kamen.

Wenn Bela Zeit mit ihrer Familie verbrachte, schlug ich meistens die Zeit mit Lesen tot. Generell konnten sich Belas Mutter und ihre Schwestern nicht darüber beschweren, dass Bela sie vernachlässigte, denn sie konnte die gesamte Nacht bei ihnen verbringen, während ein Mensch wie ich schlafen musste. Nun betrachtete Bela mich mit besorgtem Blick und zog mich enger in die Umarmung.

„Du musst keine Angst vor ihnen haben. Sie werden dir nichts tun. Das lasse ich bestimmt nicht zu!“, erklärte sie mir beschwichtigend, wobei ich mich fragte, ob sie sich nicht selbst zu überzeugen versuchte. „Aber wenn du darauf bestehst, werde ich dich nicht mehr dermaßen überraschen. Obwohl deine Reaktion schon etwas lustig war.“

Ich verdrehte gespielt genervt die Augen und entgegnete: „Jetzt mag es noch lustig sein, aber wenn es eines Tages doch Daniela und Cassandra sind, die mich an deiner statt überraschen, ist es das bestimmt nicht mehr!“ Bela ließ ein leises Kichern verlauten, schien meine Bedenken jedoch nicht sonderlich ernst zu nehmen. „Zum Glück wird dieser Tag nie kommen!“, betonte sie und küsse mich auf die Wange.

Blood-red Kisses - Resident Evil Village FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt