Kapitel 23

336 21 1
                                    

„Bist du dir sicher, dass du schon bereit dafür bist? Du kannst dir so viel Zeit lassen, wie du willst“, betonte Bela und musterte mich besorgt. Ich seufzte müde und drückte mich enger an sie, bevor ich antwortete. „Ich kann nicht ewig in diesem Zimmer bleiben. Irgendwann muss das Leben ohnehin weitergehen, warum also nicht gleich jetzt?“, entgegnete ich und hoffte, dass es so überzeugend klang, wie es sollte. Bela erwiderte daraufhin nichts, doch wirkte immer noch skeptisch. Ich konnte ihre Sorge auch nachvollziehen. Kaum ein Tag war seit…diesem Vorfall vergangen und ich war längst noch nicht darüber hinweg, doch das änderte nichts an meiner Entscheidung.

Nachdem ich gestern schließlich mit zerschundenem, schmerzenden Körper eingeschlafen war, ohne Abendessen kam noch hinzu, war es mir Schritt für Schritt gelungen, in die Realität zurückzukehren. Bela half mir dabei, badete mich, zog mir ein neues Kleid an und achtete außerdem penibel darauf, keine Grenze zu überschreiten. Es tat mir schrecklich leid, ihr jegliche Form von Intimität zu verweigern, doch jede unsittliche Berührung rief mir die unaussprechlichen Erinnerungen ins Gedächtnis und Bela schien Verständnis dafür zu haben. Dieser Zustand temporärer Enthaltsamkeit würde auch nicht ewig andauern, das hoffte ich zumindest.

Auf meinem langsamen Weg zurück in den Alltag bestand nun der nächste Schritt darin, wieder die Gesellschaft von Belas Familie zu suchen. Nicht, dass ich mir ihre Gesellschaft herbeigesehnt hätte, aber mich ewig in unserem Zimmer zu verkriechen, war auch keine Option. Außerdem musste ich momentan noch erbärmlicher wirken als ohnehin schon. Lady Dimitrescu war schließlich schon unzufrieden mit der Partnerwahl ihrer Tochter, ohne dass ich mich wie ein Baby verhielt. Ich wollte das, was mir passiert war, keineswegs herunterspielen. Für Menschen war eine Vergewaltigung ein unvorstellbar furchtbares Erlebnis, aber meine Geliebte und ihre Familie waren nun einmal keine Menschen.

Ich schätzte, dass es keinen geben dürfte, der überhaupt in der Lage wäre, sich an ihnen zu vergehen, also dürften sie wohl wenig Verständnis für meinen momentanen Zustand aufbringen. Ich hatte mir vorgenommen, Lady Dimitrescu zu beweisen, dass ich eine geeignete und würdige Partnerin für ihre Tochter sein konnte, und deshalb durfte ich möglichst wenig Schwäche zeigen. Diesen Grund durfte ich Bela aber nicht nennen, da sie der Meinung war, dass mich ihre Familie genauso zu akzeptieren hatte, wie ich war. Verwundert hatte sie den Umstand aufgenommen, dass sie mich ausnahmsweise ohne Widerspruch tragen durfte und musterte mich skeptisch, wenngleich es doch das war, was Bela immer wollte.

Selbst jetzt brach es Bela noch immer das Herz, mich humpeln zu sehen, sodass sie mich am liebsten dauerhaft tragen würde, doch dann hätte man mein Bein auch gleich amputieren können. Ich hatte klare Ansichten in dieser Hinsicht. So lange ich in der Lage war zu laufen, würde ich auch darauf bestehen, auch wenn das bedeutete, dass ich quälend langsam vorankam. Bei den gemeinsamen Ausflügen nach draußen hatten Daniela und Cassandra häufig die Geduld mit meiner Langsamkeit verloren, während Lady Dimitrescu es eigentlich nie für notwendig erachtete, auf meine Geschwindigkeit Rücksicht zu nehmen. Manchmal gab ich dann nach und ließ mich von Bela tragen, doch in den meisten Fällen bestand ich darauf, selbst zu gehen.

Bela hatte jedes Recht, von meiner heutigen Entscheidung, mich tragen zu lassen, beunruhigt zu sein. Ich hatte zu keinem Zeitpunkt behauptet, dass es mir wieder vollkommen gutging, und mir was bewusst, dass man mir das ansehen konnte. Mein Gesicht war noch blasser als sonst, die Hände zittrig und mein Blick oftmals gehetzt, als vergäße ich für eine Sekunde, dass ich mich in Sicherheit befand. Ich war auf dem Weg der Besserung, doch keiner konnte sagen, wie lange dieser sein würde. Belas Mutter und Schwestern sahen interessiert auf, als mich Bela zu ihnen trug. Augenblicklich umringten mich Cassandra und Daniela mit fragenden Blicken.

„Geht es ihr besser?“ „Können wir jetzt diesen Bastard suchen gehen?“ Umschwirrten uns ihre Fragen und ich drückte mich unwillkürlich enger an Bela. „Jetzt macht erst einmal langsam! Ihr überfordert sie!“, wies Bela ihre Schwestern zurecht und setzte sich mit mir auf eines der Sofas. Zu meiner Verwunderung setzten sich Daniela und Cassandra rechts und links von uns und für einen Moment überlegte ich, ob mir diese Nähe unangenehm war. Ich hörte noch, wie Bela ihre Schwestern anfuhr, dass sie mich nicht so bedrängen sollten, als ich ihr bereits ins Wort fiel. „Ist schon in Ordnung, Bela. Ich habe keine Angst vor ihnen, zumindest kaum noch“, erklärte ich ruhig und wunderte mich selbst über diese Aussage, doch es entsprach der Wahrheit.

Blood-red Kisses - Resident Evil Village FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt