Kapitel 65

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-Alcina-

Stöhnend presste sich Alcina eine Hand an die Schläfe und öffnete mühsam die Augen. Ihr Körper fühlte sich seltsam geschunden an, während ihr Kopf schmerzhaft dröhnte. Immerhin hatte sie sich zurückverwandelt, stellte sie erleichtert fest. Aber…zurückverwandelt?! Ruckartig richtete sich Alcina auf, als nach und nach ihre Erinnerungen zurückkehrten. Ja, zurückverwandelt! Sie war in ihrer Drachenform gewesen, hatte die Kontrolle verloren, nachdem…

Scharf sog Alcina die Luft ein und sah sich geradezu panisch auf der Fläche vor der halb zerstörten Kapelle um. Ihre Tochter! Sie hatte Alcina unabsichtlich mit dem Dolch verwundet, als diese sie von hinten überrascht hatte. Es war zwar nur ein kleiner Schnitt an der Hand gewesen, doch selbst diese kleine Wunde hatte gereicht, um Alcina die Kontrolle verlieren zu lassen. Mit jeder Sekunde, die sie angestrengt nachdachte, wurden die Erinnerungen deutlicher. Sie hatte vollkommen die Kontrolle über ihren Körper verloren, hatte sich verwandelt und Dinge gesagt, die sie nicht einmal ansatzweise so gemeint hatte. Und dann…

Alcina konnte sich nicht dazu durchringen, diesen Gedanken zu vollenden. Allerdings würde das rein gar nichts ändern. Es war tatsächlich geschehen, sie hatte es getan…Sie hatte ihre Tochter gefressen…Wie vom Blitz getroffen, sprang Alcina auf, sah sich hektisch auf dem Platz um und hoffte geradezu verzweifelt, dass sie irgendwo dort liegen würde. Doch sie fand keine Spur von ihrer kleinen Tochter und Alcina wusste auch, warum. Kurz legte sie eine Hand auf ihren Bauch, der so flach war wie immer, doch sie war sich bewusst, wie unbarmherzig schnell der Verdauungsvorgang in ihrer Drachengestalt war. Außerdem wusste Alcina nicht, wie viel Zeit vergangen war.

Ihre Erinnerung reichte nur bis zu dem Moment, als sie es tatsächlich getan hatte, als sie ihre Tochter gefressen hatte. Danach waren ihr vollkommen die Sinne versagt und sie war erst jetzt, eine ungewisse Zeit später, wieder zu sich gekommen. Nachdem Alcina den Sachverhalt nicht länger leugnen konnte, ließen sich auch die Emotionen nicht mehr zurückhalten, die wie eine Flutwelle über sie hereinbrachen. Schluchzend sank Alcina wieder zu Boden, als alle Dämme brachen, und weinte bitterlich. Sie war tot! Ihre geliebte Tochter war tot und sie hatte sie getötet! Sie hatte sie gefressen, wie bereits ihre Eltern zuvor! Dabei hatte sie das nie gewollt! Allein der Kontrollverlust war schuld daran, aber das brachte sie auch nicht wieder zurück!

Mit einem unerträglichen Schmerz im Herzen gab sich Alcina ihrer Trauer hin, als ihr ein weiterer furchtbarer Gedanke kam. Wie sollte sie es ihren Töchtern sagen, allen voran Bela? Ihre Geliebte war tot, würde dieses Mal ganz bestimmt nicht mehr zurückkommen und sie allein war schuld daran! Der Tränenstrom wollte einfach nicht versiegen und Alcina hätte am liebsten für den Rest ihres Lebens dort gesessen, und sei es nur, um sich ihren Töchtern nicht stellen zu müssen. Dennoch war das keine Option. Sie musste zu ihnen, musste es ihnen sagen. Auch wenn sie Alcina dann hassen würden, wenn sie dann alle statt nur einer Tochter verlor.

Schwankend und noch immer unter Tränen, richtete sich Alcina auf, sah sich noch einmal um in der Hoffnung, dass sie sich doch geirrt hatte, und ging dann schweren Herzens zurück zum Schloss. Hätte sie sich genauer umgesehen und wäre ihr Blick nicht vom Schleier der Tränen getrübt gewesen, hätte sie zumindest den blutigen Dolch gesehen, der in einiger Entfernung am Boden lag. Auf dem Weg zum Schloss konnte sie sich gerade so weit sammeln, um die Tränen zu unterdrücken, doch diese Selbstkontrolle sollte nicht lange anhalten. Kaum hatte sie die Tür hinter sich geschlossen, umringten sie ihre restlichen Töchter in heller Aufregung. „Da bist du ja endlich, Mutter!“ „Wie ist das Gespräch gelaufen? Habt ihr euch wieder vertragen?“

Cassandra und Daniela schienen von Bela über ihren vorherigen Streit in Kenntnis gesetzt worden zu sein. Dieser dumme Streit…Als Alcina daran dachte, wurde ihr das Herz ganz schwer und sie glaubte, keine Luft mehr zu bekommen, wenngleich sie nicht einmal Sauerstoff zum Überleben benötigte. „Was ist passiert? Du weinst ja…Wo…wo ist sie?“, brachte Bela mit erstickter Stimme hervor, die bereits verstanden hatte, dass etwas ganz und gar nicht stimmte. Sie hatte so recht, aber wie konnte ihr Alcina nur das beibringen, was geschehen war? „Sag schon! Wo ist sie? Sag doch etwas!“, drängte Bela mit aufsteigender Verzweiflung, nachdem Alcina ihren Blick nur schweigend und mit Tränen in den Augen erwidert hatte.

Blood-red Kisses - Resident Evil Village FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt