Kapitel 57

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Das nächste, das ich bewusst wahrnahm, war eine aufgeregte Stimme, die an meine betäubten Ohren drang. Zunächst war ich versucht, mich einfach umzudrehen und das störende Geräusch zu ignorieren, doch mein Körper bewegte sich keinen Millimeter. Eine aufdringliche Irritation befiel mich, sodass ich mich letztendlich gezwungen sah, meinen müden Verstand anzustrengen. Wo befand ich mich noch gleich und was tat ich an jenem Ort? Plötzlich durchschossen die Erinnerungen meinen paralysierten Geist. Der Lycan, der mich angegriffen hatte, nachdem ich die Männer aus dem Dorf getötet hatte. Das Dorf, in dem ich gewesen war, um eine spezielle Zutat zu kaufen…Eine Zutat für…Bela!

Mit einen Schlag war alles wieder da. Alcina und ich waren losgezogen, um Zutaten für ein Heilmittel zu besorgen. Ein Heilmittel, das benötigt wurde, um Belas Versteinerung rückgängig zu machen! Sofort öffnete ich die Augen und stellte als erstes fest, dass ich nicht länger im rotgefärbten Schnee lag. „Du lebst! Ich dachte schon…“, hauchte Alcina mit erstickter Stimme, wobei in ihren Augen noch die Tränen glitzerten. Ich lag in ihren Armen, während sie trotz ihres Kleides im Schnee kniete. Mein angefressener Arm und die Schusswunde an der Schulter schienen aufgehört haben zu bluten, doch daran wollte ich gerade keinem Gedanken verschwenden. Ich war wieder im Bilde über unsere derzeitige Situation und kannte die oberste Priorität.

„Ja, ist nur halb so schlimm, wie es aussieht. Ich habe das Schlangengift. Wir müssen die Zutaten schnell zu Mutter Miranda bringen! Den Rest kann ich dir später erzählen“, erklärte ich schnell und benutzte meinen unverletzten Arm, um zu überprüfen, ob die Phiole mit dem besagten Gift noch an ihrem Platz war. Glücklicherweise war sie noch da und hatte den vorangegangen Kampf überlebt. Erleichtert atmete ich auf, aber Alcina wirkte noch nicht ganz überzeugt. „Du musst sehr geschwächt sein, nach dem…was auch immer hier vorgefallen ist“, vermutete sie und ließ ihren Blick über das ungewöhnliche Schlachtfeld und die Leichen darauf schweifen. „Du solltest etwas essen, damit du wieder zu Kräften kommst! Dafür muss noch Zeit sein!“

Bevor ich protestieren konnte, hatte sie mich bereits zu einer der Leichen getragen und den toten Körper des Mannes herangezogen. Ich warf der Leiche einen angewiderten Blick zu. Ich hatte mich zwar daran gewöhnt, das Menschenfleisch zu essen, doch nur, solange es nicht als solches zu erkennen war. Der Gedanke, das frische Fleisch direkt von dieser Leiche zu essen, schreckte mich ab. Doch Alcina dachte mit und schnitt bereits mit ihren Klauen ein Stück Fleisch aus dem Körper heraus, das sie mir reichte. Mir war bewusst, dass jegliche Diskussion, die ich anfing, Belas Behandlung hinauszögerte, weshalb ich das Fleischstück wortlos entgegennahm und zu essen begann. Ich sah absichtlich nicht in Richtung des Leichnams, da ich somit den Sachverhalt einigermaßen ausblenden konnte.

Ich konnte auch direkt spüren, wie mein Körper auf das Fleisch reagierte und nach und nach meine Kräfte zurückkehrten. Die Regeneration setzte ein und die Wunden begannen, sich zu schließen. Als Alcina dann zufrieden war, brachen wir endlich zu Mutter Mirandas Labor auf, wobei sie dennoch darauf bestand, mich zu tragen. Ich widersprach ihr nicht einmal, da wir dadurch eindeutig schneller vorankamen, als wenn sich Alcina an meine kurzen Beine anpassen musste. Im Nachhinein musste ich zwar zugeben, dass mein Körper das Fleisch dringend gebraucht hatte, aber gleichzeitig würde ich es mir nie verzeihen, wenn mein Zwischenfall mit den Männern und dem Lycan Belas Tod besiegelt hätte. Zunächst verdrängte ich diesen Gedanken aber hartnäckig, um nicht in Panik zu verfallen.

„Ah, gut! Da seid ihr ja! Bringt mir die Zutaten am besten gleich her! Was ist denn mit euch passiert?“, begrüßte uns Mutter Miranda knapp, die bereits mit einigen Gerätschaften hantierte, die ich nicht benennen konnte. „Ach, das ist nicht wirklich relevant. Sagen wie einfach, ich bin in einen kleinen Kampf geraten“, erklärte ich ausweichend, während wir Mutter Miranda die Zutaten übergaben. „In Ordnung. Dann werde ich jetzt das Heilmittel herstellen. Das könnte etwas Zeit in Anspruch nehmen. Setzt euch doch und ruht euch aus“, bot uns Mutter Miranda an, doch ich wusste schon, dass Alcina und ich kaum zur Ruhe kommen würden. Die momentane Situation war viel zu heikel, um sich zu entspannen. Jetzt, wo wir unsere Aufgabe erfüllt hatten und nur noch abwarten konnten, wurde ich immer ruheloser.

Blood-red Kisses - Resident Evil Village FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt