Kapitel 24

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Die nächsten Tage vergingen ohne besondere Vorkommnisse. Langsam fand ich meinen Weg zurück in den Alltag und der furchtbare Vorfall rückte allmählich in die Ferne. Bela war seitdem nicht von meiner Seite gewichen, also bis heute. Nach Tagen genauster Überwachung, um sicherzugehen, dass es mir gutging, nahm sie sich endlich auch wieder Zeit für sich selbst. Offensichtlich gab es einen neuen Menschen, mit dem sie und ihre Schwestern ihren Spaß haben würden, und ich gönnte Bela dieses Vergnügen von ganzem Herzen, wenngleich ich ganz bestimmt nicht zusehen wollte. Ich musste gar nicht erst aussprechen, dass ich nicht denselben Gefallen am Foltern finden würde wie sie, doch das war überraschenderweise nicht mein Hauptgrund.

Von einem Mann war die Rede gewesen und so seltsam es auch klingen mochte, ich war noch nicht bereit, einem Mann von Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen. Von dem her war es vorteilhaft, dass ich in einem Schloss mit ausschließlich weiblichen Bewohnerinnen und Angestellten lebte. Da Bela befunden hatte, dass es mir wieder gut genug ging, um mich für ein paar Stunden allein zu lassen, ging sie nun gemeinsam mit ihren Schwestern ihrem liebsten Hobby nach, dem Quälen und Töten von Menschen. Ich musste darüber schmunzeln, wie wenig mich dieser Gedanke abschreckte. Zuschauen oder mich gar daran beteiligen wollte ich zwar nicht, doch ich hatte auch keinerlei Problem mit dem, was Bela gerade tat.

Fast schon das Gegenteil war der Fall. Wenn ich mir vorstellte, dass sie dort unten im Kerker einen Mann aus dem Dorf quälten, ergriff mich eine eigentümliche Genugtuung, da ich ihn unterbewusst sofort mit meinem Vergewaltiger gleichsetzte. Natürlich war es nicht fair, alle Männer oder auch generell alle Menschen aus dem Dorf mit diesem Bastard zu vergleichen, doch nach dem, was mir passiert war, kam ich nicht umhin, das ganze Dorf als Kollektiv dafür verantwortlich zu machen. Hätte ich das Dorf niemals betreten, wäre mir dieses unschöne Erlebnis erspart geblieben, und so stand mein Entschluss, diesen vermaledeiten Ort nie wieder aufzusuchen, bereits fest.

Mit gerunzelter Stirn schüttelte ich die unliebsame Thematik ab und konzentrierte mich stattdessen auf den Roman, den ich soeben las. Ich musste den Vorfall möglichst schnell hinter mir lassen, wenngleich er mitunter auch positive Auswirkungen gehabt hatte. Ich kam bereits jetzt viel besser mit Daniela und Cassandra aus und überraschenderweise zeigte selbst Lady Dimitrescu inzwischen Interesse an mir. Sie hatte sogar angeboten, mir an Belas Stelle Gesellschaft zu leisten, doch ich hatte höflich abgelehnt. Auch wenn ich schon große Teile meiner Angst abgelegt hatte, wäre es mir noch unangenehm, alleine mit der riesigen, furchteinflößenden Frau zu sein, und außerdem benötigte ich keinen Babysitter. Mir ging es gut, jeden Tag besser, um genau zu sein.

Zumindest hatte ich das angenommen, bis sich plötzlich unerwartet die Zimmertür öffnete. Ein erstickter Aufschrei verendete in meiner Kehle, als ein großer, schrecklich vertrauter Mann hindurchstolperte, und instinktiv drückte ich mich näher an die Sofalehne. Hektisch arbeitete mein Geist, suchte nach einer Lösung und womöglich auch nach einer Waffe, mit der ich meinen Vergewaltiger abwehren konnte. Dann trat Bela hinter ihm in den Raum und mit einem ersten Anflug von Erleichterung sah ich, dass seine Hände gefesselt waren und er auch davon abgesehen sehr angeschlagen aussah. Seine Kleidung war zerrissen und an mehreren Stellen blutgetränkt, weshalb ich annahm, dass er nicht freiwillig mit Bela gekommen war. Er war ihr Gefangener, das war mehr als offensichtlich, doch das half mir nur geringfügig.

Voller Entsetzen und vor Angst erstarrt konnte ich nicht anders, als meinen Peiniger anzustarren, während sich meine Muskeln geradezu schmerzhaft verkrampft hatten. „Na, was sagst du? Ist das der Richtige?“, fragte Bela mit einem triumphierenden Lächeln und schubste den Mann zu allem Überfluss noch weiter in den Raum. Wäre ich nicht vor Angst gelähmt gewesen, hätte ich voller Panik die Flucht ergriffen, doch so musste ich stattdessen kämpfen, zumindest meine Zunge von der temporären Lähmung zu befreien. Nach einigen Sekunden gelang mir das dann auch.

Blood-red Kisses - Resident Evil Village FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt