Eisiger Wind zerrte von außen an den Fenstern, doch das konnte uns kaum gleichgültiger sein. Bela und ich kuschelten uns im großen Bett aneinander und wussten genau, dass uns die klirrende Kälte dort draußen nichts anhaben konnte. Das Schloss Dimitrescu war wie immer gut geheizt und unter der dicken Bettdecke war uns wohlig warm. Ein unbeschwerter und wunderschöner Sommer lag hinter uns, in dem es ausnahmsweise einmal keine besonderen Vorkommnisse gegeben hatte. Jetzt lag der Schnee draußen mindestens einen Meter hoch und die Welt war erneut im eisigen Winter versunken.
Bela hatte mich einmal gefragt, ob ich es nicht bereue, den ganzen Winter lang mit ihnen im Schloss gefangen zu sein, doch ich hatte ihr versichert, dass ich den Winter und alles, was ihn ausmachte, abgrundtief hasste. Da konnten Winterenthusiasten noch so oft argumentieren, wie schön Schnee doch sei. Schnee war vor allem eines: kalt! Ich fand es wirklich angenehmer, den gesamten Winter im geheizten Schloss bei meiner Familie zu verbringen. Plötzlich erschien ein schelmisches Lächeln auf Belas Gesicht und ich wusste bereits, bevor sie zu sprechen begann, dass sie etwas Dummes sagen würde.
„Ist das, was wir hier treiben, eigentlich hochgradiger Inzest, nachdem wir dieselbe Mutter haben?“, fragte sie und betrachtete mich mit einem anzüglichen Blick. Ich seufzte in gespielter Verzweiflung und verdrehte die Augen. „Natürlich nicht! Für Inzest müssten wir blutsverwandt sein, was offensichtlich nicht der Fall ist!“, erwiderte ich nachdrücklich. „Außerdem sehe ich dich nicht als Schwester. Ich bin so etwas wie Alcinas Adoptivtochter, aber du bist immer noch meine Freundin.“ Natürlich war unser Familienkonstrukt etwas kompliziert, aber von Inzest konnte gewiss nicht die Rede sein. Bela betrachtete mich immer noch mit einem schelmischen Lächeln.
„Also bist du dann so etwas wie meine Stiefschwester, wenn wir in menschlichen Kategorien denken würden?“, hakte sie nach und ließ unter der Decke einige unsittliche Berührungen folgen, die man besser nicht seiner Stiefschwester zuteil werden lassen sollte. „Genau das ist doch der Punkt! Wir sind keine Menschen und denken dementsprechend nicht in menschlichen Kategorien! An unserem Leben hier ist doch so einiges seltsam, genauso auch unsere Familienkonzeption“, betonte ich, was Bela ein Kichern entlockte. Mir war klar, dass sie nur mit mir spielte und diese Überlegung von Anfang nicht ernst gemeint hatte. Ich ließ Bela ihren Spaß und beugte mich gerade vor, um sie zu küssen, als wir aus unserer idyllischen Zweisamkeit gerissen wurden.
Ein lauter Knall zerriss die Stille und augenblicklich zuckte ich zusammen. Das war ein Geräusch, das ich schon lange nicht mehr gehört hatte, doch es bestand kein Zweifel. Es war ein Schuss gewesen! Sofort riss Bela die Decke zur Seite und zog sich in Windeseile ihr Kleid an. „Was war das? Wer sollte hier eine Schusswaffe haben?“, fragte ich gelähmt in meiner Verwirrung nach und begann ebenfalls mich anzuziehen. „Keine Ahnung, Eindringlinge vielleicht. Ich werde jedenfalls nachsehen. Bleib du hier in Sicherheit!“, wies Bela mich an und ehe ich protestieren konnte, hatte sie den Raum auch schon verlassen. Ich zog mich eilig an, während meine Gedanken noch immer keine Klarheit fanden.
Jemand hatte geschossen. Irgendjemand befand sich in diesem Schloss, der offensichtlich eine Schusswaffe bei sich trug. Zum Glück wusste ich, dass Schüsse Bela nichts anhaben konnten, aber trotzdem machte es mich nervös, dass sie allein gegangen war. Dann fiel mir jedoch ein, dass ich wahrlich keine große Hilfe im Kampf war und Bela wahrscheinlich nur behindern würde. Ich war die Einzige hier, die durch eine Schusswaffe sterben konnte, sodass es wohl wirklich am besten wäre, wenn ich hier bliebe. Ich erinnerte mich schließlich noch allzu gut, wie es das letzte Mal geendet hatte, als ich mich Belas Anweisung widersetzt hatte. Statt im sicheren Schloss zu bleiben, hatte ich ihr folgen wollen und wurde dabei von Heisenberg entführt, der mich auf grausame Weise gefoltert hatte. Dieses Mal würde ich auf Bela hören!
Zumindest hatte ich mir das fest vorgenommen, als plötzlich weitere Schüsse erklangen, die dieses Mal näher erschienen. Was war denn, wenn mich der Eindringling fand, bevor Bela ihn finden konnte? War es wirklich so gut, hier zu warten, bis er mich entdeckte? Unsicher, was zu tun war, öffnete ich die Tür einen Spalt und spähte auf den Gang hinaus. Da dort niemand war, wagte ich mich vorsichtig hinaus, doch nicht unbewaffnet. Daniela und Cassandra hatten mir spaßeshalber eine eigene Sichel geschenkt, die zu den ihrigen passte. Bela hatte zwar betont, dass ich mich nicht selbst verteidigen müsste, da das ihre Aufgabe war, aber jetzt nahm ich die Sichel dankbar an mich und trat mit ihr in der Hand auf den Gang.
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Blood-red Kisses - Resident Evil Village FF
FanfictionIn einem kleinen rumänischen Dorf wird ein achtzehnjähriges Waisenmädchen als Opfergabe zum Schloss Dimitrescu geschickt. Sie weiß nicht, was dort mit ihr geschehen soll, geht aber vom Schlimmsten aus. Dennoch ahnt sie noch nicht einmal, was sie dor...