Kapitel 16

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„Verschwinde! Sie darf dich nicht sehen!“, zischte Lady Dimitrescu mir zu und augenblicklich übertrug sich ihre Hektik auf mich. Hastig richtete ich mich auf, ignorierte den stechenden Schmerz in meinem Bein und humpelte, so schnell es mein momentaner Zustand zuließ, ins Badezimmer. Ich hinterfragte dieses Vorgehen nicht, dachte nicht einmal daran, mich dem Befehl zu widersetzen und mich Daniela zu zeigen. Einerseits tat ich das, da ich noch immer wahnsinnige Angst vor Lady Dimitrescu hatte, doch es gab noch einen anderen Grund, weshalb ich ihrer Anordnung Folge leistete.

Vielleicht irrte ich mich auch, aber ich hatte das Gefühl, dass mein Ziel nun zum Greifen nahe war. Ich hatte gewaltige Fortschritte mit Lady Dimitrescu gemacht und könnte schwören, dass sie kurz davor war, mich zu Bela zurückkehren zu lassen. Ich hatte ihren irrsinnigen Test bestanden und auf eine ganz verschrobene Art verstand ich sogar ihre Motivation dahinter. Letzten Endes war Lady Dimitrescu auch nur eine Mutter und wollte um jeden Preis vermeiden, dass ihrer Tochter das Herz gebrochen wurde. Sie hatte vermutet, dass ich Bela meine Liebe nur vorgespielt hätte, um auf diese Weise am Leben zu bleiben. So sehr mich der bloße Gedanke daran auch empörte, ganz verdenken konnte ich Lady Dimitrescu diese Annahme nicht.

Wie wahrscheinlich war es schon, dass sich ein gewöhnlicher Mensch in einen menschenessenden Vampir, im Grunde ein Monster, verliebte? Es hätte gewiss weniger drastische Wege gegeben, um sich von der Echtheit meiner Liebe zu überzeugen, doch ich verstand ihren Gedanken, ihre Tochter vor solch einer Enttäuschung zu schützen. Allerdings hatte ich Lady Dimitrescus Test bestanden und da sich an Belas Zustand vermutlich nichts geändert hatte, würde Lady Dimitrescu mich bald zurückkehren lassen. Bela! Ich hätte fast vergessen, dass Daniela etwas über sie zu berichten hatte, und kaum erinnerte ich mich daran, ließ mich der Gedanke nicht mehr los. War etwas vorgefallen? Ging es Bela gut? Die Antworten auf diese Fragen sollte ich sogleich erfahren.

Kaum war ich ins Badezimmer gehumpelt, schloss Lady Dimitrescu auch schon die Tür hinter mir. Dann ließ sie Daniela herein, die aufgewühlt und hektisch zu sprechen begann. Ich konnte die beiden zwar nicht sehen, aber hörte jedes Wort. „Mutter, es ist furchtbar! Bela…also sie hat…sie hat versucht, ein Fenster zu öffnen! Keine Sorge, es ist nichts passiert. Cassandra und ich waren rechtzeitig zur Stelle und konnten sie davon abhalten. Das Fenster war bereits einen Spalt offen und der kalte Luftzug hat furchtbar wehgetan, aber Cassandra hat sich mit vollem Körpereinsatz dagegen geworfen und es geschlossen“, berichtete Daniela hastig und mein Herz setzte für einen Schlag aus.

Bela hatte versucht, ein Fenster zu öffnen? Was in unwissenden Ohren vollkommen normal klang, war in Bezug auf die Dimitrescu-Töchter, denen nur Kälte etwas anhaben konnte, höchst problematisch. Es war vollkommen klar, was Daniela da eben gesagt hatte, wie sich das Ganze übersetzen ließ. Bela hatte versucht, sich etwas anzutun. Sie hatte versucht, sich das Leben zu nehmen. Nur schwer gelang es dieser Information, in meinen Verstand vorzudringen und erfüllte mich sogleich mit tiefer Erschütterung. Natürlich war mir klar gewesen, dass es Bela dank meines angeblichen Todes nicht gutging, ja wahrlich miserabel sogar, aber dass sie zu solch einem drastischen Mittel greifen könnte, war mir nicht in den Sinn gekommen.

Lady Dimitrescu schien mein momentanes Entsetzen zu teilen, denn sie fragte mit einer nicht zu überhörenden Dringlichkeit: „Wo ist sie jetzt? Geht es Bela gut?“ Ich konnte mir geradezu bildhaft vorstellen, wie sich Lady Dimitrescu gerade vor Daniela aufgebaut hatte und sie mit ihrem eindringlichen Blick zu einer Antwort treiben wollte. „Ja, es geht ihr gut…also zumindest körperlich. So wirklich gut geht es Bela schließlich seit Tagen nicht mehr…Na ja, egal, wir haben sie vom Fenster weggezerrt und in eine Abstellkammer gesperrt, einen fensterlosen Raum. Cassandra ist noch dort, aber ich weiß nicht wie lange die Tür durchhält, wenn es Bela darauf anlegt. Bitte, es muss doch etwas geben, das wir tun können", erklärte Daniela nahezu verzweifelt.

Blood-red Kisses - Resident Evil Village FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt