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»Hat das nicht Zeit?«, flüsterte er, doch ich schüttelte den Kopf und legte behutsam eine Hand auf seinen Brustkorb, dann drückte ich ihn leicht zurück.

»Es ist wichtig, dass du das weißt und ... vermutlich wirst du mich danach mit ganz anderen Augen sehen«, erwiderte ich und atmete tief ein, nur um kurz darauf die Luft regelrecht aus meinen Lungen zu pressen.

Es fiel mir extrem schwer es ihm zu sagen, doch es ging nicht anders. Ich konnte es ihm nicht verheimlichen oder riskieren, dass er es womöglich selbst herausfinden würde.

»Wow. Das klingt echt ernst. Was ist denn los?«, hakte er schließlich nach und lehnte sich mit dem Rücken an die Stange vom Fußende des Bettes.

Ich schluckte schwer und hatte wirklich Mühe dabei, ihm in die Augen zu sehen oder es über meine Lippen zu bringen, doch es musste sein. Ich konnte Richy nicht nahe sein, wenn da noch immer was zwischen uns stand.

»Jake und ich .. Wir waren für einen kurzen Moment zusammen .. Verstehst du was ich sagen will?«

»Ich denke schon. Ich habe ja schon länger gemerkt, dass du Gefühle für ihn hegst, immerhin hast du dich seinetwegen oft in Gefahr gebracht. Aber ich habe auch gemerkt, dass ich dir nicht gänzlich egal bin.«

»Das stimmt. Du bist mir wichtig und als du angegriffen wurdest, hat es mir den Boden unter den Füßen weggerissen. Das war wirklich das schlimmste Erlebnis für mich, aber ..«

»Du liebst ihn und nicht mich?«, fragte er und schmunzelte leicht, dann griff er nach meiner Hand und strich mit seinem Daumen über meinen Handrücken. »Das weiß ich, Kim. Das wusste ich schon lange, aber ihr seid nicht zusammen .. also ist der Weg doch frei für mich«, grinste er, woraufhin ich leise lachen musste.

»Ach Richy. Kannst du nicht einmal ernst bleiben?«, fragte ich ihn und schüttelte amüsiert den Kopf. »Allerdings ist das nicht alles, was ich dir sagen muss. Richy ... nachdem du angegriffen wurdest, habe ich sehr lange darauf gewartet, irgendwas zu hören. Aber da war nichts. Als ich bei Jake war, haben wir lange über den Fall geredet und auch über mögliche Täter .. Richy .. Ich ..«

Er wusste nun wohl ganz genau, auf was ich hinaus wollte, denn er ließ meine Hand los und sah mich geschockt an.

»Du hast mich für den Täter gehalten?«

Ich schluckte schwer und nickte dann minimal, dann senkte ich meinen Blick und fing an zu weinen. Es tat mir so leid, dass ich ihn überhaupt verdächtigt hatte und würden die anderen davon erfahren, hätte ich schlagartig niemanden mehr. Sie würden mich allesamt dafür hassen, allen voran Richy.

»Ich weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll. Ich hätte das nie erwartet, dass du so denkst und es mir zutrauen würdest«, sagte er und ich hörte an seiner Stimme, dass er extrem verletzt war.

»Ich kann verstehen, wenn du jetzt nichts mehr mit mir zu tun haben willst, aber kann ich es dir wenigstens erzählen? Wie ich überhaupt darauf gekommen bin?«

Ich hob meinen Blick, doch er starrte einfach nur aus dem Fenster. Er hatte sich nicht bewegt und seine Atmung war ruhig und gleichmäßig. Es sah nicht so aus, als wäre er wütend, sondern eher so, als wüsste er gerade nicht wie er reagieren sollte.

Da er aber nichts sagte, fing ich an, es ihm zu erklären – vielleicht würde er mich dann verstehen.

»Der Angriff auf dich war einfach so komplett anders, als der auf Jessy. Bei Jessy hatte er sich gezeigt. Da hatte er mich sogar direkt angesehen und hinterher das Handy vor Jessy aufgestellt .. Aber bei dir war es, als wäre da niemand anderes. Man konnte vor dem Angriff niemanden hören und auch hinterher nicht. Mir fehlte das Rascheln der Blätter, was man normalerweise hört, wenn jemand kommt oder geht. Er hat sich nicht gezeigt und auch das Handy nicht in die Hand genommen. Ich habe wirklich sehr lange gewartet, ob da noch irgendwas kommt, aber da war nichts .. dann habe ich aufgelegt. Es kam mir einfach alles so suspekt vor, verstehst du? Es tut mir so unendlich leid, dass ich dir das zugetraut habe, dass ich überhaupt daran gedacht habe, du würdest dahinterstecken. Ich hatte einfach nur nach Antworten gesucht ....«, seufzte ich und wischte mir mehrere Tränen weg, die über meine Wangen liefen.

Als er das Schluchzen von mir wahrnahm, drehte er sich wieder zu mir und sah mich an. Sachte legte er eine Hand auf meine Wange und wischte mir die nächsten Tränen mit dem Daumen weg.

»Richy .. Ich wollte das nicht, wirklich .. Ich war einfach so fertig nach diesem Angriff. Hatte tagelang nicht geschlafen und da habe ich mir Dinge zusammengereimt, weil ich einfach nur wollte, dass das endlich ein Ende hat und wir Hannah endlich finden. Doch als ich es damals ausgesprochen hatte, kam mir das direkt total absurd vor und ich hätte mich da am liebsten selbst geohrfeigt ... du bist mir wirklich sehr früh ans Herz gewachsen und du bist mir so unheimlich wichtig. Dass ich darüber nachgedacht habe, war womöglich auch einfach eine Kurzschlussreaktion.«

»Es tut weh, dass du mich als Täter gesehen hast, aber ich kann dich da sogar verstehen. Vermutlich hätte ich nicht anders reagiert in der Situation und ich denke, ich bin dir eine Erklärung schuldig. Kurz bevor ich angegriffen wurde, habe ich hinter mir etwas gehört, aber als ich mich umdrehen wollte, war es schon zu spät. Das, was mich getroffen hat, war kein einfaches Messer, Kim. Der Täter – ob nun Michael oder Alan – stand nicht unmittelbar in meiner Nähe. Das, was mich getroffen hat, war ein Pfeil von einer Armbrust. Deswegen konntest du auch nichts hören oder sehen. Der Pfeil saß sehr tief in meinem Rücken, was auch die Blutung aus dem Mund verursacht hatte. Eine gefühlte Ewigkeit später, kam einer von denen auf mich zu und hat mich weggeschleppt .. Unterwegs fiel mir dann die Mütze ab und irgendwann wurde ich bewusstlos«, erklärte er, was mich wirklich sprachlos machte.

Mit geöffnetem Mund sah ich ihn an, denn die Wörter, die sich in meinem Kopf formten, hätten alle keinen Sinn ergeben. Ich konnte nicht glauben, was er mir da erzählte, denn das hieße, dass Michael und Alan wollten, dass der Verdacht bewusst auf Richy fällt. Ein perfider Plan, der sogar beinahe aufgegangen wäre.

»Deswegen hat sich also keiner gezeigt. Scheiße, Richy. Es tut mir so leid und Jessy hatte die ganze Zeit recht. Sie wusste, dass du noch lebst ... oder zumindest hatte sie es immer im Gefühl und ich? Ich hatte mich schon beinahe damit abgefunden, dass ich dich womöglich nie wieder sehen werde«, seufzte ich und hätte mir jetzt am liebsten stundenlang eine Ohrfeige verpasst.

Ich war so dämlich. Hatte mich nur auf Fakten verlassen, nicht aber auf mein Bauchgefühl und mein Herz. Doch Jake hatte es mir am Anfang so eingetrichtert, dass Gefühle dabei nichts zu suchen hätten. Ich hatte mich viel zu sehr von Jake beeinflussen lassen und dabei das Leben meiner Freunde immer und immer wieder riskiert.

»Mh, Jessy war schon immer so. Sie hätte es womöglich auch nicht geglaubt, wenn mein Name auf einem Grabstein gestanden hätte«, lachte er leise und brachte mich damit unweigerlich auch zum Lachen.

»Du bist schrecklich«, erwiderte ich und stieß ihn leicht an.

»Aber du magst mich trotzdem, oder? Ist doch so?«, fragte er und zuckte mit den Augenbrauen.

Ich grinste und schüttelte amüsiert den Kopf.

»Ja, ich mag dich und ich hoffe, dass du mir meine Gedankengänge verzeihen kannst?«

»Wenn du mich jetzt so fragst ..«, lachte er, woraufhin ich ihm mein Kissen entgegenwarf.

»Richy!«

»Ja, natürlich verzeihe ich dir«, entgegnete er mit einem Lächeln auf den Lippen und hielt das Kissen fest.

Ich rutschte zu ihm und umarmte ihn, da ich einfach nur froh war, dass ich es ihm erzählt hatte und er mir all das verzeihen konnte. Er legte seine rechte Hand auf meinen Rücken, während seine linke auf meinem Hinterkopf lag.

Danach sah er mir in die Augen und erneut waren wir an dem Punkt, wo er mir immer näher kam, doch auch dieses Mal sollte es nicht zu einem Kuss kommen. Denn durch ein Klopfen an der Tür wurden wir erneut unterbrochen.

Leicht schnaufend und mit einem Grinsen auf den Lippen, senkte Richy den Kopf und ließ von mir ab. In dem Moment ging die Tür auf.

Duskwood - Falsche Entscheidungen ✔︎Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt