Letztendlich hätte ich ja mit jedem „Störenfried" gerechnet, aber nicht damit, dass Hannah durch die Tür kommen würde. Langsam drückte sie die Tür von innen wieder zu und kam nervös auf mich zu.
Kurz schenkte sie Richy ein Lächeln, der ihr nur zunickte. Ich dagegen saß unruhig auf dem Bett und wusste nicht, ob ich sie nun ansehen oder ignorieren sollte – schließlich fing mit ihrer Nachricht, an Thomas, alles an. Ohne ihre Nachricht wäre Jake nie auf mich aufmerksam geworden und das Ganze wäre nie ins Rollen gekommen.
Je näher sie mir kam, desto bekannter kam sie mir vor, doch ich wusste einfach nicht wo ich sie hinstecken sollte. Auf den Bildern hatte ich sie zuvor nie erkannt, doch Bilder konnten auch oft täuschen.
Als sie sich ihre Ärmel schließlich hochzog, kam eine Narbe zum Vorschein, die ich seit Jahren nicht mehr gesehen hatte und doch wusste ich direkt, wem diese Narbe gehörte. Ich schluckte schwer und sah ihr in die Augen. Ein kaum sichtbares Nicken antwortete mir und ein minimales Lächeln legte sich auf ihre Lippen.
»Emely?«, fragte ich sie nun, woraufhin Richy nur die Stirn runzelte und sich mehrere Fragezeichen über seinem Kopf bildeten.
»Ja, ich bin es. Oder zumindest, war ich es. Mein richtiger Name ist Hannah Donfort«, erklärte sie mir und nun verstand ich gar nichts mehr.
Verwirrt sah ich sie an und dachte an früher zurück. Ich hatte sie als Emely Nolan kennengelernt. Wir waren damals sogar so was wie beste Freundinnen und waren zudem in derselben Clique.
»Es tut mir leid, Kim. Ich kann mir vorstellen, wie verwirrend das jetzt für dich sein muss, aber deswegen bin ich hier, um es dir zu erklären«, sprach sie ruhig und drehte sich kurz zu Richy um. »Lässt du uns kurz allein?«
Natürlich wäre Richy am liebsten geblieben, doch da keiner von meiner Vergangenheit wusste – was Hannah mir wohl ansehen konnte, sollte er gehen. Er nickte nur kurz, zog sich seine Schuhe an und verließ dann das Zimmer, dann drehte sich Hannah wieder zu mir und zog sich einen Stuhl heran.
»Kannst du dich noch daran erinnern, was vor acht Jahren ist?«
Wie konnte ich das auch vergessen? Das war schließlich der Zeitpunkt meiner Festnahme.
»Ja, sicher. Das werde ich wohl auch nie vergessen.«
»Vor neun Jahren haben wir uns kennengelernt, allerdings habe ich mir damals eine andere Identität zugelegt. Als Amy und ich vor 10 Jahren diesen Unfall hatten, wo Jennifer gestorben ist .. ich musste danach einfach weg. Ich litt unter Wahnvorstellungen und Albträumen. Meine Familie hat mir nicht geglaubt und stand auch nicht hinter mir. Als Kurzschlussreaktion entschied ich dann abzuhauen. Raus aus Duskwood und irgendwo anders hin. Und dann lernte ich dich und die anderen kennen.«
»Ich weiß wirklich nicht, was ich dazu sagen soll. Die ganze Zeit haben wir diesen Fall bearbeitet und die ganze Zeit wurde ich gefragt, ob ich dich kenne und warum du meine Nummer an Thomas geschickt hast. Ich hatte absolut keine Ahnung und wurde schon langsam paranoid. Ich habe teilweise in jedem aus der Clique den Täter gesehen. Hannah, weißt du eigentlich, was du mir damit angetan hast?«
Tief seufzend nickte sie und versuchte nach meiner Hand zu greifen, doch ich entzog sie ihr. Ich hatte ihr damals alles anvertraut und dachte wirklich, dass uns nichts trennen könnte. Bis zu diesem einen Tag.
»Wie konntest du abhauen? Ich dachte du würdest, wie die anderen, im Gefängnis sitzen«, wollte ich nun wissen, denn damals hatte ich die meiste Schuld auf mich genommen – immerhin hatte ich auch jemanden angeschossen.
»Mh. Nachdem du diesen Kerl angeschossen hast und rausgerannt bist, haben wir gesehen, dass draußen bereits die Polizei wartet. Die anderen wollten nicht mitkommen, da sie nicht auf der Flucht sein wollten, doch ich bin durch den Hinterausgang geflüchtet. Ich weiß nicht mehr, wie lange ich überhaupt gerannt bin, doch ich war sehr lange unterwegs. Irgendwann bin ich stehengeblieben und wollte im ersten Moment wieder umdrehen, um dich da herauszuholen, aber ich hatte Angst..«
»Die hatte ich auch. Ich saß sieben Jahre im Knast deswegen, habe meinen Freund verloren und dazu auch noch meine beste Freundin. Du weißt gar nicht, wie oft ich mir im Gefängnis das Leben neben wollte. Als ich erfuhr, dass du nicht im selben Gefängnis bist wie wir anderen, habe ich mich oft gefragt, ob es dir gut geht. Was du wohl gerade machst. Ich habe mir Sorgen um dich gemacht..«
»Ich weiß und es tut mir wirklich leid. Ich habe immer nach einer Möglichkeit gesucht, dich zu kontaktieren, doch ich wusste einfach nicht wie. Besuchen konnte ich dich nicht, denn dann wäre ich aufgeflogen. Die ganzen Jahre hatte ich wirklich ein extrem schlechtes Gewissen, dass ich dich allein gelassen habe..«
»Pff. Schlechtes Gewissen .. Ehrlich Hannah, das kannst du dir sonst wo hinstecken. Du kannst dir nicht vorstellen, was ich durchgemacht habe. Man hört viele Geschichten von Männergefängnissen, doch die sind nichts gegen ein Frauengefängnis. Von den anderen hätte ich nichts anderes erwartet, doch von dir war und bin ich noch immer extrem enttäuscht. Du hast nur an dich gedacht. Weißt du eigentlich, dass Torben deinetwegen durch die Hölle gegangen ist? Die Polizei wusste, dass da noch eine andere Person war, sie hatten immerhin die Überwachungsbänder. Darauf haben sie auch gesehen, dass ihr euch in einem unbeobachteten Moment geküsst habt. Sie haben ihn immer und immer wieder nach dir ausgefragt. Wollten wissen, wer du bist, doch sie fanden keine Informationen über dich und jetzt ist mir auch klar, warum. Warum Hannah? Warum hast du geglaubt, dass ich deinen Freunden helfe, dich zu finden? Warum hast du meine Nummer an Thomas geschickt?«
Die Wut in meinem Bauch war kaum auszuhalten. Zu schmerzhaft waren die Erinnerungen an früher. Zu enttäuscht war ich.
»Weil ich wusste, dass du die einzige bist, die mich finden kann. Ich wusste, dass du nie aufgeben würdest, ganz egal wie viele Steine man dir in den Weg legen würde. Und ich wusste, dass sie dir sehr schnell vertrauen würden und das war wichtig«, versuchte sie mir nun zu erklären, aber so wirklich zufrieden gab ich mich damit nicht.
»Du meinst, weil ich so ein Helfersyndrom habe? Ist das dein verdammter Ernst, Hannah? Scheiße .. Deinetwegen wäre ich fast draufgegangen. Ich weiß nicht, ob das dein Charakter ist oder einfach nur dein Egoismus, aber warum muss deinetwegen immer einer durch die Hölle gehen? Kaum einer hat noch daran geglaubt, dass du noch lebst, weil von dir einfach nichts mehr kam. Wie konntest du eine Nachricht an Thomas schicken? Das frage ich mich die ganze Zeit. Und warum dann nicht eine Nachricht ála ich bin hier und hier, ruft bitte die Polizei? Ich kapier es einfach nicht. Warum verdammt noch mal, meine Nummer?«
Sie schluckte und drehte sich von mir weg und da wusste ich, dass sie mich schon wieder angelogen hatte. Wütend kniff ich die Augen zusammen und hätte sie jetzt am liebsten aus dem Zimmer geschmissen, doch als sie sich – mit Tränen in den Augen – wieder zu mir drehte, hielt ich inne und schluckte meine Wut für einen kurzen Moment runter.
»Er hat es von mir verlangt«, erwiderte sie leise, woraufhin mir beinahe die Spucke wegblieb.
»Wer? Wer hat es von dir verlangt? Und vor allem, warum? Hier in Duskwood kennt mich doch keiner.«
»Einer kennt dich schon sehr lange und es wundert mich, dass er es dir noch nicht gesagt hat«, entgegnete sie und sah mich durch dringlich an.
Ich ging wirklich jeden einzelnen durch, den ich mittlerweile in Duskwood kannte und letztendlich kam nur eine einzige Person in Frage.
Geschockt sah ich Hannah an und hielt mir die Hand vor den Mund. Ich war mir sicher, dass ich in dem Moment auch kreidebleich wurde. Mir wurde schlecht und gleichzeitig schwindelig. All das hatte ich also nicht wegen Hannah oder Jake durchgemacht, sondern nur, weil ER es auf mich abgesehen hatte.
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Duskwood - Falsche Entscheidungen ✔︎
Fanfiction☽︎ Basierend auf dem Handyspiel 'Duskwood' ☾︎ Die Geschichte knüpft direkt an Episode 8 an, wird aber immer mal kleinere Rückblenden enthalten! ༄༄༄༄༄༄༄༄༄༄༄༄ Hannah Donfort. Ein vermisstes, junges Mädchen aus der Kleinstadt Duskwood. Doch was steckt...