1) Die Rückkehr

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Wenn das Geläut der Glocken vom Kirchturm durch das Dorf schallte, konnte dies nur eines von zwei Sachen bedeuten: Entweder ein Feuer war in einem, der mit Stroh bedachten Häuser ausgebrochen oder aber die Männer aus dem Dorf kehrten zurück. In beiden Fällen würde man hastig Menschen durch die matschigen Straßen rennen sehen, die eilig versuchten ihre Aufgabe rechtzeitig zu erfüllen.

Als die Glocken an diesem Tag zu läuten begannen wusste ich es würde letzteres sein. Dennoch reitete ich instinktiv auf die Kuppe des Berges, auf dem ich mich zu dieser Mittagsstunde befand, um mich der Lage im Dorf zu vergewissern. Keine Rauchschwaden waren zu sehen - keine Schreie waren zu hören. Es war so weit. Endlich. Ich konnte mich nicht mehr daran erinnern wie lang ich schon diesem Tag entgegen gesehnt hatte und mochte es noch nicht richtig glauben: Mein Vater und seine Männer würden von ihrer Reise zurückkehren. Es war gut ein Jahr her, dass sie losgezogen waren, in die fernen und fremdartigen Regionen der Wüstenländer fernab der Mauern unseres Reiches, um Ware dort zu verkaufen und neue mit in unser Heimatland zu bringen.
Mein Herz begann vor Aufregung schneller zu schlagen. Mir blieb nicht lange Zeit um mich an den Gedanken der Rückkehr zu gewöhnen, denn ich wollte schnellst möglich zum Drofplatz um die Ankunft der Reisenden mitzuerleben. Beflügelt von der Vorfreude gab ich meinem Pferd die Sporen und wir jagten den Berg runter richtung zuhause. Ein glückliches Lachen entsprang mir, als der kalte Wind durch meine Haare tobte. Kaum war ich im Innenhof angekommen, sprang ich vom Pferd, schnellte durch den Dienstboteneingang und...

"Ruby!", stoppte mich eine aufgebrachte Stimme hinter mir, Wie oft habe ich dir schon gesagt - du sollst nicht mit schlammigen Schuhen durch das Haus rennen!" Ertappt drehte ich mich langsam um. Meine Mutter stand mit den Händen in die Hüften gestemmt vor mir. Ihre Wangen glühten rot. Innerlich betete ich, dass es der Rückkehr meines Vaters zu verschulden war und nicht der Sauerei die meine verdreckten Stoffschuhe hinterlassen hatten. Getrieben von meiner Aufregung hielt mein schlechtes Gewissen nicht lange an. "Sie komme zurück, Mutter. Los, wir müssen zum Marktplatz. Schnapp die deine Jacke und..."

"So gehst du mir nirgendwo hin, junges Fräulein! Schau dich nur an. Wo hast du dich nur wieder rum getrieben? Warst du etwa wieder mit dem Pferd draußen? Habe ich dir nicht verboten allein auszureiten? Dieses Benehmen – es wird höchste Zeit das dein Vater mal ein paar ernste Worte mit dir spricht. Wie soll ich so denn nur einen anständigen Mann für dich finden? Du wirst sie alle vergraulen mit deinem fürchterlich frechen Benehmen.", unterbrach mich meine Mutter mit einer Flut von Empörung. Als sie mein mokierten Gesichtsausdruck sah, warf sie die Hände in die Luft und murmelte ein paar Worte der Verzweiflung. Dieses Mädchen raubt mir noch den Verstand. Eden, hilf ihr in ein ordentliches Kleid bevor ich ihr noch die Ohren langziehen muss."

Erst jetzt bemerkte ich Eden, die hinter meiner Mutter stand. Sie deutete einen kleinen Knicks in Richtung meiner Mutter an, dann ging sie, von mir gefolgt, rauf in meine Kammer. Kaum hatte sie die Tür hinter uns geschlossen, sprudelte Eden los: Ich kann gar nicht glauben, dass die Männer zurück kommen. Es ist nun schon so lange her. Sie müssen so glücklich sein ihren Vater wieder zu sehen."

Ich nickte: Ja, und du deinen Bruder wieder zu sehen." Ein zartes Lächeln umspielte Edens Mund während sie mir in mein feinstes und ebenso umbequemes Kleid half. Wie ich sie nur bewunderte. Sie war immer so sanft, immer so damenhaft. Eden war zwar vier Jahre älter, zwei Köpfe größer, braun gebrannte haut, breit gebaut und besaß eine ruhige Natur, doch trotz unserer deutliche Unterschiede verstanden wir uns so gut als wären wir Schwestern. "Brauchen Sie noch Hilfe beim Hochstecken ihrer Haare?" Ich nickte.

"Ich habe gehört ihre Lordschaft soll heute ins Dorf kommen.", berichtete Eden.

Ich nickte: "Ja, ich habe die Mädchen in der Stadt auch schon über ihn reden hören. Wie kann man nur so einem Mann verfallen? Aber wenn du mich fragst ist das eh nur alles dummes Geschwätz."

"Warten Sie ab, sie werden auch noch den Richtigen finden. Und Außerdem - sie mögen doch Abenteuer. Ich habe gehört der Lord soll mit seinen engsten Freunden über das lebende Meer hin und zurück gefahren sein.", erzählte Eden.

"Ja das ist bestimmt so wahr wie die Geschichte das der Lord zwei Wochen ohne Proviant durch die Steinwälder gezogen ist.", antwortete ich ironisch.

Eden lächelte mich über den Spiegel an.

"Ich bin schon auf den Mann gespannt, der dich zum Schweigen bringen kann."

Ich grinste sie an: "Ich bin erst siebzehn. Auch wenn andere in meinem Alter schon verlobt sind, ich bin noch lang nicht so weit mich an einen langweiligen Mann Haus und Kind zu binden. Wenn Mutter mich erst einmal gehen lässt, steht mir noch die ganze Welt offen. Ich könnte Händler werden wie Vater und immerzu durch die Königreiche reisen! Oder ich suche nach den berüchtigten Piraten vom Murmelsee. Dann schließe ich mich ihnen einfach an und finde lauter Schätze und Gold." Eden grinste doch blieb stumm. Ich wusste das sie das für Albereien hielt. Sie war sich sicher das ich innerhalb von einem Jahr mit dem Sohne des Metzgers liiert werden würde und endlich meine unsinngien Gedanken vergesseb würde.

Ich starrte sie nachdenklich an. "Willst du nicht mal weg von hier, Eden?" Ich merkte das sie meinen Blick in dem Spiegel auswich. "Manchmal ist es sicherer da zu bleiben wo man ist, Ruby. Da draußen Lauern viele Gefahren." Ein schlechtes Gewissen überfiel mich schlagartig. Ich wusste nicht viel über Edens Vergangenheit, nur das Vater sie und ihren Bruder eines Tages von seinen Reisen mitgebracht hatte als sie gerade vierzehn Jahre erreicht hatte. Ihre Haut war schmutzig gewesen und mit trockenem Blut an manchen Stellen. Ich hatte sie damals stumm gebadet und ihr saubere Kleidung gebracht und seit dem war sie da gewesen. Immer an meiner Seite, mit einen wachsamen Auge auf mich und einen Mundwinkel leicht hochgezogen wegen des Schabernacks den ich trieb. Wer wusste was sie wohl da draußen erlebt hatte. Ich wollte Eden nicht in eine noch unangenehmere Lage bringen als ich sie nicht ohnehin schon gebracht hatte und so verweilte ich stumm vor dem Spiegel, während sie ihre Arbeit verrichtete.

Als die Hochsteckfrisur fertig war ging ich runter ins Esszimmer, in dem meine Mutter bereits saß und las. Sie blickt kurz auf, schien zufrieden zu sein mit dem, was sie sah und wandte sich wieder ihrer Zeitung zu: "Dein Vater wird bald da sein. Wir sollten schon einmal alles fürs Essen vorbereiten." Ich nickte knapp. Bei meiner Mutter war wohl der einzige Ort wo ich ruhig war. Es fühlte sich merkwürdig an in ihrer Nähe zu sein, als würde ich sie stören. Ohne ein weiteres Wort begann ich meine Arbeit. Ein geschäftiges Treiben füllte das Haus – dann endlich war es soweit. Wir machten uns in der alten knarrigen Kutsche auf den Weg in die Dorfmitte. Dort würde mein Vater mit seinen Wagen und Begleitern ankommen. Ein lang ersehntes Wiedersehen für alle, denn die Tage seiner Rückkehr wurden immer groß gefeiert. Das ganze Dorf wartete immer voller Vorfreude auf die neuen Geschichten, die es aus der Welt zu hören gab und mein Vater war ein fantastischer Geschichtenerzähler und fesselte die Menschen mit seinen detaillierten Berichten von seine Abenteuern. Ich bezweifelte das alle wirklich der Wahrheit entsprachen doch ließ es mir nicht nehmen ihn für seinen Wissen und sein scheinbar unerschöpfliches Fantasie zu bewundern. Wenn ich groß war, wollte ich genau so wild und stark sein wie er. Das war mein größter Traum. Im Dorf war die Vorfreude deutlich zu spüren, dennoch wirkte es diesmal anders als sonst. Auf dem Marktplatz drängten sich bereits viele Menschen. Mehr als sonst wenn mein Vater von seinen Reisen mit allerlei Sachen wiederkam. Es schien als würde eine Anspannung über dem Dorf liegen, nur ab und zu gestört von nervösem Gelächter. Und dann war es endlich so weit! In der Ferne zeichneten sich langsam aber immer deutlicher die Umrisse einiger Kutschen ab. An der Spitze waren zwei Reiter zu erkennen. Eines war ganz deutlich mein Vater, dass lange silberne Haar and seinen Schultern runterfließend - der anderer war ein, mir unbekannter, Fremder.

MylordWo Geschichten leben. Entdecke jetzt