45) Das Lager

1.6K 90 3
                                    

Ich verbrachte die Tage damit, wie alle anderen im Lager auch, die Lebensmittelversorgung aufrecht zu erhalten, Holz zu hacken oder Kleidung zu waschen. Es waren die simplen jedoch körperlich anstrengenden Aufgaben, die mich von meinem Schmerz ablenkten. Ich war dankbar, dass ich hier behandelt wurde wie einer von ihnen, mitsamt all der harten Arbeit, auch wenn ich mich meist Abseits der Gruppe auf hielt. Ich spürte die unsicheren kritischen Blicke der anderen, die mir jeden Tag aufs neue bewusst machten das ich nirgends dazu gehört und doch Vergleich zum Schloss.
Meine Nächte waren geprägt von Albträumen, die mich dazu verließen oft stundenlang wach zu liegen. Von Müdigkeit geplagt und doch unfähig mich dem erholsamen Schlaf hinzugeben. Jede Nacht die ich länger weg war, vermisste ich Anati mehr. Doch ich konnte nicht zurück. Nicht zu ihm, nicht zu diesem Monster.
Jeden Abend begleitete ich Thorn bei seiner Nachtwache. Jeden Abend saßen wir nur stumm neben einander, Schulter an Schulter, und starrten in das Dunkel der Nacht. Wir sprachen kaum ein Wort. Teilten leise das trockene Brot und lauschten dem Knistern des Feuers. Vereinzelt brach einer von uns die Stille, erzählte kurz etwas was ihm geschehen war und fiel in das dumpfe Schweigen zurück.
Thorn schien jeden Tag unruhiger zu werden. Der Angriff rückte immer näher. Ich hingegen wurde immer ruhiger, immer blasser, immer lebloser.
Meine Albträume wurden schlimmer. Immer gewalttätiger.
Drei Nächte vor dem Angriff, war das Lager gefüllt mit sämtlichen Rebellen, die uns helfen wollten. Die Stimmung war am Tage angespannt und in den Nächten heiter, wenn alle am Lagerfeuer saßen, das Bier rum gereicht wurde und Geschichten erzählt wurden. Ich mied diese Abende. In diesen Moment wusste ich, dass ich nicht wirklich dazu gehörte.
Auch an diesem Abend zog ich mich zurück, auf einen Felsen paar Meter vom Lager entfernt und blickte stumm zu den Sternen rauf.

Es raschelte neben mir und eine Gestalt trat zu mir. Groß, muskelbepackt und dennoch fließend in den Bewegungen, fast schon anmutig. Erst als die Gestalt aus der Böschung trat konnte ich das Gesicht erkennen. Es war ein furchteinflößender Anblick und doch zuckte ich nicht oder guckte weg. Mein Blick blieb ruhig auf dem unebenen Gesicht. Die Nase schien mehrmals gebrochen worden zu sein und war krumm wieder zusammengewachsen. Die Haut der linken Gesichsthälfte war angesenkt und die Hälfte der Augenbraue fehlte. Der Teil des Gesichts der nicht von Feuer entstellt worden war, war gezeichnet von einer langen dünnen Narbe, die sich über die Wange bis über die Nase zog. Das rosane Fleisch der Narbe hob sich aber von der dunklen Haut. Der Schädel war kahl rasiert und die funkelnden tief-schwarzen schmalen Augen waren wohl noch das schönste in dem Gesicht. Der rechte Mundwinkel zog sich zu etwas hoch, was man als Lächeln bezeichnen konnte, wäre die andere Hälfte nicht total leblos geblieben. Nur das Auge huschte über mein Gesicht. Der Mann nahm neben mir Platz. Er wahrte Distanz als würde er erwarten, dass ich weg gehen würde. Das Mondlicht viel auf seinen freien Oberkörper und weitere Narben funkelte in dem weißen Licht.
Es war merkwürdig wie entspannt ich war. Gelassen beobachtete ich, wie mein Gegenüber ein Messer aus einer Falte seiner weiten Hose zog. Das Mondlicht spiegelte sich in der Klinge.
"Ich habe eine Botschaft für dich.", die Stimme meines Gegenübers war überraschend warm in ihrem Klang doch ein starker Akzent war rauszuhören. Ich schwieg. Ich wusste nicht was ich sagen sollte, also wartete ich darauf, dass er weiter sprach. "Lord William, der Strahlende, erster seine Geschlechts und Namens im Reich der nie untergehenden Sonne schenkt ihnen seinen besten Krieger," Der Mann vor mir neigte seinen Kopf leicht, "um  sie zu beschützen, bis sie in Sicherheit sind." William? Wo er jetzt wohl war. Irgendwo in Sicherheit, das stand fest.

"Geht... geht es William gut?", fragte ich und einer weite Welle von Schmerz erfasste mich.

Mein Gegenüber nickte kurz.

"Wie heißt du?", fragte ich.

"Noyan"

"Noyan, mich ehrt das Geschenk von William sehr, aber wenn du nicht willst musst du nicht mit mir kommen. Wenn du gehen willst geh und wenn du mit kommen willst dann komm mit, aber als freier Mann."

Noyan starrte mich an. "Jeder Mensch ist frei im Reich der nie untergehenden Sonne. Ich wurde geehrt von dem Strahlenden auf dich Acht zu geben und diese Ehre werde ich erfüllen."

Ich nickte kurz - unsicher ob ich Noyan beleidigt hatte. Durch die Verbrennungen war es schwer sein Gesicht zu lesen.

Mein neuer Begleiter wandte sich den Sternen zu. "Ihr habt einen komischen Himmel. So viele Lichter und trotzdem ist es dunkel."

"Habt ihr bei euch keine Sterne?"

"Wir haben schwarze Nächte doch das Licht unseres Anführers erleuchtet uns auch in der Nacht."

"Wer ist euer Anführer?"

Noyans eine Gesichtshälfte lächelte. "Du stellst viele Fragen für ein kleines Mädchen wie dich. Lord William sagt hier es zu gefährlich um es dir zu sagen, aber wenn die Zeit gekommen ist wirst du das Licht der Sonne selbst erblicken."

Wir verfielen in Schweigen. Die Sterne funkelten und nie vorher hatte ich mich so klein und fern von allem gefühlt. Mit diesem Gefühl in mir schlief ich auf dem Felsen ein.


MylordWo Geschichten leben. Entdecke jetzt