Das Ver Luisant ist ein Tanzlokal, das vornehmlich von Einheimischen frequentiert wird. Die Nachfahren der ursprünglichen Siedler sind ein lebenslustiges Völkchen, das gerne trinkt, tanzt und lacht. Deswegen kommen sie wohl auch ins Ver Luisant, denn hier werden diese drei Bedürfnisse alle zugleich befriedigt. Die Getränke sind hochprozentig, die Musik ein Ohrenschmaus und dazu gibt es auch noch einen Komiker, der zu jeder vollen Stunde die Bühne betritt und ein paar anzügliche Gedichte aufsagt oder lustige Geschichten erzählt.
Ich lasse mich von der guten Laune der anderen Gäste anstecken, trinke, tanze und lache. Obwohl ich Étienne ein weiteres Mal zurückgewiesen habe, beweist er Größe und leistet mir Gesellschaft. Er lässt es sich auch nicht nehmen, für meine Getränke zu bezahlen, auch wenn das nicht nötig gewesen wäre.
Nach einer Weile bin ich ein bisschen beschwipst und albere mit ihm auf der Tanzfläche herum. Dabei grölen wir den Refrain von Faim de Loup, einem lustigen und ziemlich anstößigen Ostragoner Volkslied. Doch als die beschwingte Musik einem langsameren Stück weicht, taumele ich zum Rand der Tanzfläche. Ich bin verschwitzt und die dicken Haare kleben mir feucht an Stirn und Nacken.
»Was ist los?«, fragt Étienne atemlos.
Ich weiche einem Pärchen aus, das sich zum Klang der Musik über die Tanzfläche schiebt, und gebe ihm mit einem Handzeichen zu verstehen, dass ich frische Luft schnappen muss. Anschließend verlasse ich den Gastraum durch einen der Nebeneingänge.
Das Ver Luisant ist zu allen Seiten von einer hölzernen Veranda umgeben. Es herrscht Ebbe. Träge rollen die Wellen über den steinigen Strand, der sich einige Meter unter dem Tanzlokal erstreckt. Ein kühler, salzig schmeckender Wind streicht durch das raue Dünengras und raschelt in den Palmengewächsen entlang des Küstenstreifens. Die Sonne versinkt bereits hinter dem Horizont und am rasch dunkler werdenden Himmel erscheinen die ersten Sterne.
Erschöpft lehne ich mich über das Geländer und streiche mir die Haare aus dem Gesicht. Dabei fällt mir auf, dass ich meinen Hut verloren habe. Beim Gedanken, dass ich diesen dummen Hut schon den ganzen Tag mit mir herumschleppe, nur, um ihn dann doch noch zu verlieren, muss ich schmunzeln. Der Alkohol dämpft meine Trauer über den Verlust. Ich fühle mich wohlig warm und angenehm losgelöst von den Ereignissen des Tages. Roland Narcisse ... Elfenflüche ... der Ellyrische Krieg ... welche Rolle spielt das schon? Ich bin hier, mit beiden Beinen fest auf dem Boden (auch wenn es sich gerade nicht so anfühlt), und egal, was in der Vergangenheit passiert ist, daran ändert sich nichts.
Mein Blick wandert zum Himmel hinauf, wo sich bereits die fahlen Umrisse des Mondes abzeichnen. Sein böser Zwilling, der blutrote Elfmond, lauert in seinem Schatten. Er zeigt sich nur in ein paar Nächten des Monats. Es heißt, unter seinem Einfluss wäre die Magie der Elfen besonders stark. Und tatsächlich ist mein Drang, andere Menschen zu drücken, in Elfmondnächten deutlich ausgeprägter. Gleichzeitig gehen mir aber auch Verwandlungen leichter von der Hand.
»Tolle Aussicht, oder?«, bemerkt Étienne und lehnt sich neben mir an das Geländer. Als das Holz daraufhin ein morsches Ächzen von sich gibt, richtet er sich rasch wieder auf. In den Händen hält er zwei Gläser mit einem süßen, sirupartigen und ziemlich hochprozentigem Gebräu, das die Einheimischen Traubennektar nennen. Zuvorkommend, wie es seine Art ist, bietet er mir eines davon an, aber ich lehne schweren Herzens ab. Ich habe schon genug getrunken. Noch ein Glas von diesem Teufelszeug und ich muss mir jemanden suchen, der mich nach Hause trägt. Und das würde ich in Anbetracht der Umstände lieber vermeiden.
Étienne nimmt meine Entscheidung mit einem Schulterzucken zur Kenntnis und leert das für mich bestimmte Glas in einem Zug. Trotz der rauen Mengen alkoholischer Getränke, die er in sich hineinschüttet, wirkt er überhaupt nicht betrunken. Nicht einmal angeheitert. Vermutlich hat er sich diese Toleranz mühsam antrainiert.
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Drudenkuss
FantasyElisabeth Pommier leidet unter einem Drudenfluch. Das bedeutet, sie muss jede Nacht ein schlafendes Opfer heimsuchen, um es zu drücken. Sie macht das Beste aus ihrer Beeinträchtigung und nutzt die resultierenden Albträume ihrer Opfer, um sich als Sc...