Hinter der Tür liegt ein Vorraum mit hübschen Marmorfliesen, denen jedoch das Alter und die mangelnde Pflege anzusehen sind. Viele Fliesen sind gesprungen und in den Fugen wuchern schleimige Moose und Pilzkolonien.
Am hinteren Ende des Vorraums befindet sich eine hohe, spitz zulaufende Pforte, die einen Spalt weit geöffnet ist. Aus dem Raum dahinter dringen die Stimmen, die wir schon im Korridor gehört haben. Eine davon gehört Adeline.
»Betty«, flüstert Étienne und deutet zu einer schmalen Treppe, die an der Seite des Vorraums in ein Obergeschoss hinaufführt.
In Erwartung, dass er und Seymour mir folgen würden, steige ich die Treppe hinauf.
Erst als ich schon oben angekommen bin, bemerke ich, dass die zwei hinter mir zurückgeblieben sind. Trotzdem gehe ich weiter, öffne eine Tür und schlüpfe auf eine halbmondförmige Empore hinaus, die in den Thronsaal der Burg hineinragt.
Geduckt und sehr darauf bedacht, mich nicht durch irgendein Geräusch zu verraten, schleiche ich zur Brüstung und werfe einen Blick in die Tiefe.
Der Thronsaal der alten Königsburg ist eine langgezogene Halle mit hohen Fenstern, deren kreuzförmiges Gewölbe von zwei parallelen Säulenreihen gestützt wird. In einer muschelförmigen Ausbuchtung an der Stirnseite der Halle befindet sich eine flache Tribüne. Darauf steht ein Thron, der von einem Holzbaldachin mit kunstvollen Schnitzereien überspannt wird. An der Wand dahinter hängt ein schon ziemlich mitgenommen aussehendes Banner des einstigen Königshauses. Die Luft riecht abgestanden, feucht und modrig.
»Kommen Sie raus!«
Ein Schuss peitscht durch die Halle, scheint irgendwo abzuprallen und woanders einzuschlagen.
Ich kauere mich hinter die Brüstung der Empore.
»Wenn Sie die Waffen weglegen«, erwidert Adeline.
Ein kurzes Schweigen.
»Kommt gar nicht in Frage.«
Vorsichtig stütze ich mich am Boden ab und linse noch einmal über das Geländer.
Direkt unterhalb der Empore stehen mindestens ein Dutzend Uniformierte einem Wall aus Stühlen und Bänken gegenüber, die zu einem komischen, etwa zwei Meter hohen Gebilde aus Holz und Metall verschmolzen sind. Dahinter kann ich Adeline, Isabel und Mae erkennen.
Mae kauert auf dem Boden, die Hände auf die Ohren gepresst und schaukelt vor und zurück. Isabel kniet neben ihr.
Adeline steht am Rand des Walls und späht um die Ecke zu den Gendarmen. »Wo sind Étienne Romarin, Elisabeth Pommier und Seymour Bouchard?«
Die Uniformierten antworten nicht, sondern tauschen lediglich angespannte Blicke.
»Monsieur Romarin und Mademoiselle Pommier sind gekommen, um über die Freilassung von Monsieur Bouchard zu verhandeln, aber Sie haben die beiden gefangengenommen. Ist es nicht so, Monsieur Haricot?« Adeline wartet nicht auf eine Antwort. »Ich habe Männer Ihrer Einheit an der Nordseite der Burg gesehen. Dort, wo Monsieur Romarin und Mademoiselle Pommier gewartet haben. Es sah so aus, als würden sie den Durchgang zu einem geheimen Tunnel bewachen.« Ihr Tonfall wird energischer. »Also, Monsieur Haricot, sagen Sie mir, was aus Monsieur Romarin und Mademoiselle Pommier geworden ist. Wenn Sie ihnen auch nur ein Haar gekrümmt haben, wird Ihr Vorgesetzter die Baupläne niemals bekommen.«
»Sie wollen reden, Madame de Cinc Estrellia? Dann kommen Sie raus und legen Sie die Waffen nieder«, erwidert ein kahlköpfiger Gendarm, der die Gruppe der Uniformierten anzuführen scheint. Dabei macht er einen Schritt auf den seltsamen Wall zu.
DU LIEST GERADE
Drudenkuss
FantasyElisabeth Pommier leidet unter einem Drudenfluch. Das bedeutet, sie muss jede Nacht ein schlafendes Opfer heimsuchen, um es zu drücken. Sie macht das Beste aus ihrer Beeinträchtigung und nutzt die resultierenden Albträume ihrer Opfer, um sich als Sc...