»Seid ihr sicher, dass ihr bereit seid?«, fragt Adeline, während sie unsere schicke Leihvoiturette durch die Nacht nach Holting steuert.
»Keine Sorge«, erwidert Étienne und zupft seine Manschettenknöpfe zurecht. »Ich habe einen Plan.«
»Ach ja?« Adeline klingt skeptisch.
»Ja«, bestätigt Étienne ohne weitere Erklärungen.
Adeline wirft einen kurzen Blick über ihre Schulter.
»Ich habe keine Ahnung, wovon er redet«, sage ich rasch und beuge mich zu Étienne, um seine dunkelrot glänzende Fliege zu richten.
Den ganzen Tag haben wir bangend auf gute Neuigkeiten gewartet, doch die magische Maschine ist trotz aller Bemühungen, sie zu finden, verschollen geblieben.
Sicherlich hätten wir bei unserer Suche bessere Aussichten auf Erfolg gehabt, wenn nicht viele Kräfte durch den Besuch aus Jouyan gebunden gewesen wären. Aus diesem Grund haben Adeline und Faucon nur größere Gebäude und zentrale Knotenpunkte der Stadt durchsuchen lassen können. Darunter das Hotel der Joumin-Delegation, das Parlament, das Lou-Tan-Theater, den Muscheltempel, die alte Befestigungsanlage, zwei Kaufhäuser, die Gendarmerie sowie mehrere Ämter und Behörden. Nirgendwo eine Spur der Maschine.
»Hoffentlich weißt du, was du tust«, seufzt Adeline.
Étienne lächelt. »Hab ich dir je Anlass gegeben, mir zu misstrauen?«
»Ich habe schon das eine oder andere Mal an deinem gesunden Menschenverstand gezweifelt, ja«, erwidert Adeline. »Aber meistens hat sich am Ende alles in Wohlgefallen aufgelöst.«
»Na siehst du?« Étienne lehnt sich zurück und legt mir den Arm um die Schultern.
Ich bin jedoch viel zu nervös, um mich zu entspannen. Der Fahrtwind kühlt mein Gesicht und brennt mir in den Augen. Meine Gedanken kreisen um die Katastrophe, die uns bevorstehen könnte. Immer wieder sehe ich Narcisse' Albtraum vor mir. Das magische Gewitter, den Sturm, die Blitze. Ich höre die Schreie der Elfen und das Krachen und Donnern, mit dem ihre Stadt untergeht. Vor lauter Aufregung bekomme ich schon Magenprobleme.
»Die Maschine könnte sich im Cerisier-Anwesen oder in der Schule befinden«, sagt Adeline.
»In der Schule? Bei den Kindern?«, frage ich beunruhigt.
Adeline seufzt schwer. »Wir können es nicht ausschließen. Ihr müsst bei eurer Suche gründlich vorgehen.«
»Das werden wir«, verspreche ich.
Étienne legt den Kopf in den Nacken. Dichte, dunkle Wolken verbergen den Himmel. Vielleicht wird es später noch regnen.
»Der Trick mit den Kopien war übrigens wahnsinnig gut«, wechsle ich das Thema. Ich muss mich irgendwie beschäftigen, wenn ich vor Sorge nicht verrückt werden will.
»Welcher Trick mit den Kopien?«, fragt Adeline.
»Na ja, das mit diesem Verfahren. Wie hieß das doch gleich?«
»Melastypie?«, kommt mir Étienne zu Hilfe.
Adeline lacht. »Ach das!«
»Wieso lachst du?«
»Weil ich mir das ausgedacht habe.«
Ich kann es nicht glauben. »Wirklich? Das war nur ein Bluff?«
»Alle bekannten Kopierverfahren benötigen mehrere Tage, um ein Bild oder einen Text zu vervielfältigen«, erwidert Adeline. »Also musste ich ein bisschen kreativ werden.«
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Drudenkuss
FantasyElisabeth Pommier leidet unter einem Drudenfluch. Das bedeutet, sie muss jede Nacht ein schlafendes Opfer heimsuchen, um es zu drücken. Sie macht das Beste aus ihrer Beeinträchtigung und nutzt die resultierenden Albträume ihrer Opfer, um sich als Sc...