70) Dies ist ein Überfall!

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Ich werde durch die Kabine geschleudert und pralle mit dem Rücken gegen einen Einbauschrank aus glänzendem Mahagoniholz.

Das Luftschiff neigt sich zur Seite. Das Bettzeug kommt mir entgegen. Ich reiße die Arme hoch und wehre die Laken ab. Die Motoren dröhnen. Sie scheinen auf Hochtouren zu laufen. Regentropfen prasseln gegen die Scheiben. Sind wir in einen Sturm geraten?

In diesem Moment knallt Camille neben mir gegen die Wand, wacht auf, sieht mich in meiner Drudengestalt und fängt an zu kreischen.

Ich will ihr sagen, dass sie gefälligst die Schnauze halten soll, da neigt sich das Luftschiff in die andere Richtung.

Erneut verliere ich den Halt, stürze zu Boden und kralle instinktiv die Finger in den Teppich.

Der Untergrund kippt. Das Bettzeug und andere lose Gegenstände rauschen und poltern an mir vorbei.

Im letzten Moment kann ich mich an einem der lackierten Bettpfosten festklammern. Dann verliere ich den Boden unter den Füßen. Meine Armmuskeln spannen sich an. Ein scharfer Schmerz fährt durch meine Wirbelsäule. Meine Beine baumeln ins Leere.

»Betty!«

Die Stimme gehört Étienne.

»Betty! Lass los!«

Ich gehorche blind und lasse mich fallen.

Étienne zieht sich am Türrahmen hoch, streckt die Arme aus und fängt mich auf.

Vom Schwung meines Sturzes getrieben, gehen wir zu Boden – das heißt: wir fallen gegen die Wand, die sich unter uns befindet.

Ich lande auf Étienne und brauche einen Moment, um mich zu orientieren.

Das ganze Schiff scheint schräg in der Luft zu stehen. Oben ist unten und unten ist oben. Überall rumpelt und poltert es. Schreie sind zu hören. Der Boden vibriert und die Wände knarren bedrohlich.

»Was geht hier vor?«, keuche ich, während ich von Étienne herunterrolle.

Étienne packt meine Taille und zieht mich fest an sich. Auf diese Weise schützt er mich vor einem Blumenkübel, der sich selbstständig gemacht hat. Der Tonkübel prallt an seiner Schulter ab, donnert gegen die Wand und zerbricht.

Der Schreck kommt mit Verspätung. »Alles in Ordnung, Étienne? Tut's weh?«

»Nur ein bisschen«, ächzt Étienne.

»Was ist hier los?«

»Keine Ahnung.«

»Stürzen wir ab?«

Kaum habe ich das gefragt, neigt sich das Luftschiff erneut. Wir stürzen nach vorne und landen auf dem Teppich. Meine Hochsteckfrisur löst sich und die Haare fallen mir ins Gesicht.

Étienne neben mir stöhnt und hält sich die Schulter. Der Verband an seinem Bauch hat einen punktförmigen roten Fleck bekommen.

»Étienne ...«

Étienne folgt meinem Blick. »Ach, das ist nichts«, murmelt er.

Ich glaube ihm kein Wort. Aber in Anbetracht der Umstände ist die Blutung vielleicht das kleinste Problem auf unserer Liste.

Mühsam rappele ich mich wieder auf und stütze mich an der Wand ab.

Das Luftschiff schwankt hin und her. Die Motoren dröhnen, die Lichter flackern. Aus Richtung des Speisesaals dringen Schmerzenslaute.

»Komm, Betty«, stöhnt Étienne, nachdem er sich auf die Beine gekämpft hat. Seine Miene ist verkrampft und mir entgehen nicht die vielzähligen Veränderungen, die seinen Körper befallen haben. Seine Brustmuskeln treten deutlicher hervor, seine natürlich männliche Behaarung ist dichter geworden und ich vermeine, an seinen Schläfen zwei Schwellungen zu erkennen, als wäre er von einer Biene gestochen worden.

DrudenkussWo Geschichten leben. Entdecke jetzt