Der Tragödie siebter Teil

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Die restliche Woche verbrachte ich größtenteils damit, mich durch mäßig interessante Unterrichtsstunden zu quälen und immer mal wieder einem meiner Mitschüler, die sich zu meinem Outing äußern wollen, versuchen zu erklären, dass ich, egal was Tristan behauptet, nicht lesbisch sei.
Doch die Reaktion darauf war fast immer dieselbe: Ein skeptischer Blick.
Irgendwann gab ich es auf, zu versuchen, sie von meiner Heterosexualität zu überzeugen.

Tatsächlich störte es mich nicht mal wirklich. Mein Vater hatte immer großen Wert daraufgelegt, dass Issy, At und ich von klein auf mit verschiedenen Religionen, Ethiken und Sexualitäten in Berührung kamen.
Wenn sie also glauben wollen, ich würde mich für das gleiche Geschlecht interessieren – schön, mir egal.


Naja, zumindest bis ich mich am Freitagmorgen auf den Weg zu den Sporthallen machte und, kurz bevor ich um die Ecke des Gebäudes bog, meinen Namen hörte. Ich blieb stehen.

„Aber es ist doch schon irgendwie komisch, oder? Ich meine, mir ist echt egal, mit wem Themis rummacht, aber die Mädchenumkleide muss doch wie ein gefundenes Fressen für sie sein."

Ich traute meinen Ohren nicht. Unabhängig davon, dass ich nicht lesbisch war, war das echt gemein. Die Stimme, die ich für Layla Rieckmann aus meinem Sportkurs hielt, behauptete schließlich gerade, jegliche queere Teenager würde in der Umkleide Leute bespannen.

„Keine Ahnung", antwortete eine zweite Stimme und kurz darauf hörte ich Schritte, die sich entfernten.

Nachdem ich mir einige Sekunden Zeit genommen hatte, um mich zu sammeln, folgte ich ihnen zu den Turnhallen.

Mein Kopf schwirrte und ich hatte keine Ahnung, wie ich mit der Situation umgehen sollte. Aber viel mehr noch beschäftigte mich der Gedanke, wie Teenager damit umgingen, die wirklich auf das gleiche Geschlecht standen. War diese ganze Sportumkleidesache ein Problem für sie?

Kurz vor der Tür zu dem Raum blieb ich stehen. Am liebsten wäre ich umgekehrt und davongerannt, aber erstens hasste ich rennen und zweitens konnte ich das Thema wirklich nicht so stehen lassen, denn ich weigerte mich, zu glauben, dass queere Teenager diesen Ort dafür nutzen, um andere anzustarren.

Ich ballte meine Hände zu Fäusten, um sie daran zu hindern, zu zittern, und stieß dann die Tür auf. Die meisten der Mädchen beachteten mich nicht, aber Layla und ein paar ihrer Freundinnen drehten sich augenblicklich zu mir um und beobachteten jede meiner Bewegungen.

Langsam stellte ich meine Tasche auf eine der Bänke ab, doch ich spürte ihre Blicke wie Nadelstiche in meinem Nacken.

In Zeitlupe drehte ich mich zu den Mädchen um und starrte sie wütend an.
„Ich bin nicht lesbisch", meine Stimme klang ruhig und fest. Sofort richteten Laylas Freundinnen beschämt ihren Blick zu Boden, doch sie selbst zuckte nicht mal mit der Wimper.

„Sagt wer?", sie grinste selbstgefällig.

„Ich. Und ich weiß das ja wohl am besten."

Sie schnaubte verächtlich.

Ich wusste nicht, wie ich es schaffte, meine Stimme weiterhin ruhig klingen zu lassen, aber irgendwie tat ich es trotzdem.
„Und selbst wenn es so wäre, müsstest du nun wirklich keine Sorge haben, dass ich dich bespannen könnte. Also wirklich, ein kleines bisschen Geschmack hättest du mir nun wirklich zutrauen können."

Irgendwer zog scharf die Luft ein. Layla ballte die Hände zu Fäusten, erwiderte jedoch nichts.

Ich drehte mich demonstrativ zur Wand und richtete meinen Blick für die restliche Zeit starr auf einen Fleck vor mir auf der weißen Farbe.

Doch während ich mich umgedreht hatte, hatte ich aus dem Augenwinkel etwas Ungewöhnliches gesehen. Vielleicht ist es nur ein Trugbild gewesen, aber ich hätte schwören können, Malin Becker hinter ihren langen schwarzen Haaren, die ihr immerzu ins Gesicht fielen, lächeln gesehen zu haben. Und Malin lächelte nie.


Nach einer Doppelstunde Sport erwartete mich erneut die Tortur der Umkleiden und während ich wieder demonstrativ auf denselben Fleck starrte, schwor ich mir, dass ich etwas ändern musste.
Ich wusste noch nicht wie, aber irgendwie würde ich es schaffen, allen den Beweis zu liefern, dass ich auf Typen stand.

Zwanghaft suchte ich nach Ideen, wie ich dies anstellen könnte, während ich mich auf den Weg zurück zum Hauptgebäude machte.

Als ich gerade durch die Flügeltür trat, schob sich Malin an mir vorbei. Sie trug wie üblich einen ausgewaschenen schwarzen Hoodie und hatte den Blick zu Boden gesenkt. Ich könnte mich an kein einziges Mal erinnern, wo ich sie in etwas anderem als einem schwarzen Hoodie gesehen hätte.

Im Vorbeigehen nickte sie mir zu und ich nickte unsicher zurück. Genauso wenig wie ich Malin in anderen Klamotten als diesen gesehen hatte, hatte ich sie auch noch nie mit irgendwem kommunizieren sehen.
Aber vermutlich wollte sie mir einfach Respekt dafür Zollen, dass ich Layla Rieckmann die Stirn geboten hatte.

Ich beschloss, das stille Mädchen vorerst aus meinen Gedanken zu verbannen und mich stattdessen wieder mit der Frage zu beschäftigen, wie ich meine Mitschüler davon überzeugen konnte, dass ich straight war.

Nicht ahnend, dass sich schon bald die perfekte Möglichkeit eröffnen würde, machte ich mich auf den Weg zurück zur Schule.

Let me get this Straight ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt