Der Tragödie vierunddreißigster Teil

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„Was sollte das?", konfrontierte ich sie, sobald wir außer Emilys Hörweite waren.

„Was sollte was?", sie sah mich mit Unschuldsmiene an. Trotzdem war ich mir sicher, dass sie genau wusste, wovon ich sprach. „Der Anhänger. Warum hast du ihn liegen gelassen?"

„Habe ich? Oh nein, stimmt, ich habe den Anhänger vergessen."

Ich blieb stehen. „Wenn du schon so tust, als wäre es ein Versehen gewesen, hättest du gerade wenigstens vorgeben können, deine Taschen zu durchsuchen, bevor du bemerkst, dass er fehlt."

Mae antwortete nicht. Ich schämte mich für das winzige Stück Genugtuung, das sich in mir ausbreitete. War es möglich, dass sie Emily wegen mir hatte abblitzen lassen?
Ich sollte mich eigentlich nicht darüber freuen. Mae musste schließlich genauso über uns hinwegkommen wie ich, oder etwa nicht?

„Also, warum hast du ihn zurückgelegt?"

„Sie wollte meine Nummer dafür."

„Na und? Ist doch toll! Sie wirkte schließlich echt nett." Plötzlich kam mir ein Gedanke und ich sah Mae entsetzt an. „Du hast ihr doch nicht etwa eine falsche Nummer gegeben, oder?"

„Nein, natürlich nicht." Mae sah mir nicht in die Augen.

„Lügst du mich gerade an?"

„Nein."

„Wirklich?"

„Ich habe ihr meine richtige Nummer gegeben."

„Was ist es dann?"

„Ich habe nicht vor, mich mit ihr zu treffen oder so. Ich werde sie irgendwie abwimmeln."

„Warum?"

Es verstrichen einige Sekunden, bevor sie antwortete. „Sie ist halt nicht mein Typ."

Ich rang verzweifelt die Hände. „Es ist absolut nicht hilfreich, dass du immer versuchst, allem mit irgendwelchen dummen Ausreden oder Scherzen auszuweichen."

Endlich sah sie mich an und etwas ernsthaft Gekränktes lag in ihren Augen. „Wofür hältst du dich eigentlich?"

Sie drehte sich von mir weg und stapfte eilig den restlichen Weg zurück zu den Essensständen. Mir blieb nichts anderes übrig, als ihr hinterherzulaufen.

„Mae, verdammt, warte doch mal."

Sie lief einfach weiter. Wenn ich sie auf den nächsten paar Metern nicht einholte, würden wir Gefahr laufen, nahe genug an Nick zu sein, dass er uns hören könnte.

Endlich hatte ich aufholt und griff entschlossen nach ihrer Schulter.

Sie fuhr herum und funkelte mich wütend an. „Was?!"

Ich seufzte. „Sorry, ich wusste nicht, dass ich dir damit so nahetreten würde."

Sie schwieg und ich sah Tränen in ihren Augen glitzern.

„Ist okay. Bist du nicht."

Doch war ich.

Mae blinzelte die Tränen aus ihren Augen weg. Sollte ich sie in den Arm nehmen? War das angebracht? Würde sie es überhaupt zulassen?

Fuck it beschloss ich und umarmte sie. Mae stieß mich nicht von sich. Im Gegenteil, sie erwiderte die Umarmung sogar.
Ich nahm den Duft ihrer Haare war und ich liebte ihn.

Wir lösten uns voneinander. „Tammy, ich will ...", fing sie an, brach jedoch ab und schüttelte stattdessen mit einer kurzen Bewegung den Kopf. „Egal."
Ich wollte nachhaken, doch wir wurden unterbrochen.

„Da seid ihr ja endlich wieder!", Nick war wie aus dem Nichts hinter uns aufgetaucht, beide Arme beladen mit Essen.

„Hi, Nick", sagte ich lächelnd und hasste mich selbst ein kleines bisschen dafür, dass ich ihn als störend empfand.
Naja, vielleicht mehr als ein kleines bisschen.

Wir bleiben nicht mehr lange auf dem Jahrmarkt, doch dann kam unser Bus eine halbe Stunde zu spät und so waren wir letztendlich nicht mal sonderlich früh zurück bei den Leutnants.

Als wir zurück an ihrem Haus ankamen, trat Caro uns aus dem Garten entgegen. In der Hand eine Grillzange.

„Perfektes Timing, ich habe schon das ganze Zeug aus dem Keller hochgeschleppt."

Sie führte uns in den Garten und wir sahen, dass auch Nils und Paul schon draußen waren. Der Vierjährige war über irgendwas auf dem Rasen gebeugt und redete wild gestikulierend auf seinen Vater ein.

Ich liebte es hier. Trotz der Sache mit Mae. (Oder gerade deswegen?)

„Danke nochmal übrigens für die Einladung", sagte ich schnell. „Ich finde es echt toll hier."

Caro nickte. „Es ist wirklich schön. Wir haben das Dorf damals eigentlich nur durch Zufall gefunden. Ein paar Monate nachdem wir zusammengekommen sind, wollten wir einen Roadtrip durchs Land machen. Paul hat damals explizit darauf bestanden, sein Auto zu nehmen, obwohl es super alt war. Nur weil es Kassetten abspielen konnte und er aus irgendeinem Grund unbedingt die ganze Fahrt über seine Sammlung durchhören wollte."

Ich hörte der restlichen Geschichte, die davon handelte, dass das alte Auto dann natürlich irgendwann mitten auf der Straße den Geist aufgegeben hat und sie genau hier gestrandet waren, nur noch mit halbem Ohr zu, denn meine Gedanken überschlugen sich.

Die Kassette – Nick's Kassette, über die er nicht sprechen wollte, mit den komischen Chart-Songs drauf, die alle mehr oder weniger von Liebe handelten. Hatten sie vielleicht etwas mit Nicks Crush zu tun, von dem Mae mir erzählt hatte?

Und wenn ich es schaffen würde, das Mädchen dazu zu bringen, mit Nick auszugehen, würde das dann nicht bedeuten, dass ich dann problemlos mit Mae ausgehen könnte? War ich, wenn mein Verdacht richtig lag, nicht sowieso nur seine Zweitwahl?

Ich wusste, dass das eine Menge Spekulationen waren und ich mich an einen Strohhalm klammerte, der eventuell nicht mal existierte, aber trotzdem ging es mir nicht mehr aus dem Kopf.

Ich zupfte Mae am Ärmel. Sie sah mich fragend an.

„Ich muss mit dir reden", raunte ich ihr zu. Sie zögerte einen Moment, nickt dann aber.

„Wir sind gleich wieder da", sagte sie dann an Nick gewandt. Ich befürchtete, irgendeine hanebüchene Entschuldigung für unser Verschwinden finden zu müssen, aber Nick unterhielt sich noch immer mit Caro über die Story, wie sie das Dorf gefunden hatten und schenkte uns keinerlei wirkliche Aufmerksamkeit.

Also verschwanden wir nach oben in unser Zimmer.

Let me get this Straight ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt