Der Tragödie dreiundzwanzigster Teil

688 57 8
                                    

Paul führte uns in den Garten hinter dem Haus, in dem auf einer gepflasterten Terrasse ein Picknicktisch aus rot-braunem Holz stand.

Wir setzten uns, während Caro im Haus verschwand, um den Kuchen und Geschirr zu holen, und ich betrachtete die alte Kastanie, die am anderen Ende des Gartens stand.

„Du bist also Nicks erste feste Freundin?", eröffnete Paul das Gespräch. Ich nickte zögerlich.
Ich hätte nicht sagen gekonnt, wann alle angefangen hatten, uns als Freund und Freundin zu bezeichnen, oder wann Nick und ich beschlossen hätten, dass wir zusammen waren, aber irgendwann musste es wohl gewesen sein. Wenn auch unbewusste.

„Und wie habt ihr euch kennengelernt?", hakte er nach, als klar war, dass da nicht noch mehr kommen würde.

„Wir gehen auf die gleiche Schule", antwortete Nick und legte einen Arm um meine Schulter. Augenblicklich fühlte ich mich unwohl. Nicht, weil ich ihn nicht hätte berühren wollen, sondern weil es mich daran erinnerte, dass unsere Beziehung für ihn real war, während ich alles nur fakte.

Maes Worte aus dem Kaufhaus fielen mir wieder ein, aber nur wegen eines Crushes, von dem er mir nicht erzählt hatte, gleich zu glauben, er würde das hier ebenfalls nur spielen, wäre erbärmlich. Reines Wunschdenken.

In dem Moment trat Caro durch die Glastür zurück auf die Terrasse. Auf der einen Hand balancierte sie einen Stapel Teller, in der anderen hielt sie eine Tortenplatte, auf der der selbstgebackene Erdbeerkuchen thronte.

Sie stellte ihn vor uns ab und verteilte die Teller.

Mir fiel auf, dass ich mich nie bedankt hatte, dass ich über das Wochenende bei ihnen wohnen durfte, was mir auf der Stelle peinlich war. Ich räusperte mich. „Eh, danke übrigens, dass ich mitkommen durfte. Voll nett von euch."

„Gerne", antwortete Caro und griff dabei nach meinem Teller, um mir ein Stück des Kuchens aufzufüllen, wobei sie den kleinen Nils, der bereits aufgeregt mit seinem Teller rumwedelte, ignorierte. „Wir freuen uns doch, dass wir Nicks erste Freundin kennenlernen können."

Sie verteilte den Kuchen reihum und, nachdem niemand mehr einen leeren Teller vor sich stehen hatte, begannen wir zu essen.

„Habt ihr schon irgendwelche Ideen, was ihr machen wollt?", erkundigte sich Paul.

„Ich möchte Tammy unbedingt den See zeigen", verkündete Nick. „Der ist mega. Du wirst ihn lieben."

Ich lächelte zaghaft. „Klar, super gerne."

Mae nickte zustimmend. „Der See und die Berge sind hier halt einfach das Beste, das muss man sich angeguckt haben."

Nick verzog das Gesicht. „Wandern? Vergiss es. Ohne mich!"

Paul musste schmunzeln. „Das sagt Caro auch immer, wenn ich versuche, sie zu überreden."

Ich wollte gerade einwerfen, dass ich sowieso kein allzu großes Verlangen danach verspüre, Stunden damit zu verbringen, irgendeinen Berg hochzukrackseln, als Paul mir zuvorkommt.

„Wie wäre es denn, wenn du einfach am Sonntag mit mir mitkommst? Ich fahre da ins Nachbardorf, um mir eine Vespa anzugucken, die ich auf Ebay gefunden habe. Mae kann dann ja die Aufgabe übernehmen, deiner Freundin die Berge zu zeigen."

„Oha ja, gerne!", stimmte Nick zu, bevor ich auch nur genug Zeit dazu gehabt hätte, zu entscheiden, ob ich jetzt Panik schieben sollte oder nicht. Ich warf einen kurzen Blick zu Mae und sah, dass sie mich aufmunternd anlächelte.

„Eigentlich könnten wir sogar heute noch zum Strand runter", sagte sie und warf einen Blick auf ihr Smartphone. „Es wird frühstens um neun dunkel und selbst das wäre ja nicht mal wirklich ein Problem."

Nick und ich stimmten zu und so war es beschlossene Sache.

Nachdem wir den fast den ganzen Kuchen verdrückt hatten, stand ich auf, um beim Abräumen zu helfen, doch Paul winkte ab. „Heute habt ihr noch das Gästeprivileg. Ab morgen seid ihr dann dazu verdammt, euch selbst um euer Geschirr zu kümmern."

Ich lachte und bedankte mich. Nils war mittlerweile schon längst aufgestanden und spielte auf der niedrigen Schaukel, die an dem Kastanienbaum befestigt war.

„Aber ihr könnt euer Zeug zumindest selbst ins Haus tragen. Nick und Mae zeigen dir bestimmt, wo alles ist, Tammy."

Nick nickte eifrig. „Ja, oben gibt es zwei Gästezimmer mit je einem Doppelbett", fing er an zu erzählen, während wir noch am Tisch saßen.

„Doppelbetten?", fragte ich und versuchte dabei, mir nicht anmerken zu lassen, wie unerwartet mich diese Nachricht traf.

„Was hattest du denn erwartet?", fragte Caro mich belustigt. „Stockbetten?"

Ich hätte nicht sagen können, ob ich rot wurde oder nicht, doch ich hoffte intensiv, dass es nicht so war.
Um ehrlich zu sein, hatte ich nämlich eigentlich gar nicht darüber nachgedacht, wie wir wohl unterkommen würden.

Nick schien zu bemerken, wie sehr mich das ganze verunsichert hatte. „Keine Sorge, Tammy, du kannst natürlich mit bei Mae schlafen."

Ich riss die Augen auf. Seine Worte, die wohl hatten bewirken sollen, dass ich mich entspannte, hatten die gegenteilige Wirkung. „Was? Nein!"

Er sah mich irritiert an. „Okay, dann halt nicht ... Ich dachte nur, das wäre dir vielleicht lieber. Wir haben uns schließlich noch nicht mal geküsst."

Mae, die es vollkommen kalt zu lassen schien, dass die Freundin ihres Bruders sich ein Zimmer mit ihr hätte teilen sollen, grinste belustigt. „Ihr habt euch echt noch nie geküsst?"

Nick warf seine Schwester einen giftigen Blick zu. „Halt die Klappe."

Caro gab den beiden mit einem genervten Wink mit der Hand zu verstehen, dass sie aufhören sollten, sich zu streiten
„Da haben Paul und ich wohl auch noch ein Wörtchen mitzureden. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass Anja und Frank – und auch deine Eltern, Tammy – nicht gerade begeistert wären, wenn du und Nick euch ein Bett teilen würdet."

Ich spürte die Panik in mir aufsteigen. „Aber wir würden doch niemals ... ihr wisst schon."

„Trotzdem", stimmte Paul seiner Frau zu. Ich warf einen hilfesuchenden Blick zu Mae und stellte erstaunt fest, dass ihre Stimmung mittlerweile umgeschlagen haben musste und sie verlegen den Kopf gesenkt hatte.

„Leute, bitte nicht", sagte sie leise. Augenblicklich wandten sich ihr drei weitere Augenpaare zu. Sie hob den Blick und in ihren Augen lag etwas bekümmertes. „Sie will das ganz offensichtlich nicht und ihr wisst auch alle wieso."

„Oh", war alles, was Caro sagte, dann war es für einen Moment still.

Als ich endlich verstand, was sie gemeint hatte, traf es mich wie der Blitz. Sie dachte doch nicht wirklich, der Grund, weswegen ich nicht neben ihr schlafen wollte, war ihre Sexualität?

„Was zur Hölle! Doch nicht deswegen!"

Mir wurde klar, dass ich jetzt innerhalb weniger Sekunden eine richtig gute Ausrede liefern musste, damit man mich nicht für die nächste Layla Riekmann hielt. Fieberhaft dachte ich nach.

„Ich wollte nur einfach nicht, dass Nick denkt, ich würde mir nicht mit ihm ein Bett teilen wollen, nur weil ich nicht daran gedacht hatte, dass wir vermutlich in Doppelbetten schlafen werden", war das Einzige, was mir auf die Schnelle einfiel.

Mae sah mich prüfend an und schien zu überlegen, ob sie mir glauben wollte oder nicht. „Ich kann sonst auch auf der Couch schlafen."

Entschlossen schüttelte ich den Kopf. Auf keinen Fall wollte ich, dass sie sich so fühlte, wie sie sich gerade fühlen musste. „Nein, vergiss es. Wenn Nick versteht, dass es nichts gegen ihn ist, können wir uns gerne ein Zimmer teilen."

„Ich habe das eigentlich von Anfang an nicht gedacht ...", gab Nick zögernd zu und Caro klatschte freudig in die Hände. „Super, dann hätten wir das ja schon mal geklärt."

Ja, echt super. Naja, zumindest abgesehen davon, dass mein Herz gerade so schnell klopfte, dass ich damit rechnete, dass es mir jeden Moment aus der Brust sprang.

Let me get this Straight ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt