Der Tragödie fünfunddreißigster Teil

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„Was gibt's?" Mae ließ sich aufs Bett fallen. Vermutlich hätte ich mich neben sie setzen sollen, doch stattdessen lief ich unruhig in dem Zimmer auf und ab.

Mae belächelte meine offensichtliche Nervosität, doch sie konnte einen gewissen besorgten Akzent nicht ganz aus ihrer Mimik verbannen. „Ist irgendwas passiert?"

„Du musst mir mehr über Nicks Crush erzählen", platzte ich hervor.

Mae seufzte. „Warum? Weil du denkst, dass du die zwei verkuppeln kannst, und dann wird alles gut?"

Aus ihrem Mund klang das Ganze albern und irrational, was meine Euphorie erheblich schwächte. „Ich dachte doch nur, dass ..."

„Vergiss es, Tammy. Das klappt nicht."

„Warum nicht?", meine Stimme klang weinerlich, was mich enorm triggerte.

„Weil", Mae seufzte. „er ihr von seinem Crush erzählt hat und sie ihn ganz klar abgewiesen hat."

Verdammt.

„Wann war das?"

Mae zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung, vor ein paar Monaten vielleicht."

Ein neuer Funken Hoffnung keimte in mir auf. „Also nicht schon als wir in der Mittelstufe waren?"

Sie seufzte. „Tammy, du hast mir neulich bereits erzählt, dass er behauptet hätte, dass er seit der Mittelstufe auf dich stehen würde, aber das kann doch sogar so sein. Vielleicht ist –" Sie stoppte abrupt. „– das andere Mädchen einfach nur irgendwann dazwischengekommen."

Ich war mir sicher, dass sie gerade fast ihren Namen gesagt hätte.

Ich hörte endlich damit auf, durch den Raum zu tigern und ließ mich neben sie auf das Bett fallen.
„Dann bin ich nicht bloß die Zweitwahl?", fragte ich etwas resigniert.

„Ich meine, ich kann es natürlich nicht mit Sicherheit sagen, er hat, um ehrlich zu sein, mir nie von dir erzählt, aber ich denke nicht, dass du davon ausgehen solltest."

„Wie heißt sie eigentlich?", ich versuchte, die Frage ganz nebensächlich klingen zu lassen, doch Mae warf mir nur einen verächtlichen Blick zu. „Für wie illoyal hältst du mich eigentlich?"

Schade, wäre auch zu schön gewesen.

„Kannst du mir wenigstens sagen, ob ich sie kenne?"

„Woher soll ich denn bitte schön wissen, ob du sie kennst?"

„Naja, wenn sie in meinen Jahrgang geht, kenne ich sie auf jeden Fall."

„Wir sollten langsam wieder runtergehen." Mae stand auf, doch ich griff nach dem Saum ihres Shirts. Sie drehte sich langsam wieder zu mir um.
„Was noch?", ihre Stimme klang hörbar genervt.

„Du willst es gar nicht, oder? Dass es einen Weg für uns beide gibt?"

Für einen Moment schien Mae wie eingefroren. „Das wirkt echt so auf dich, stimmt's?"

Ich zuckte mit den Schultern, dann nickte ich. „Naja, ein bisschen schon irgendwie."

Sie beugte sich ein Stück nach vorne, sodass sich ihr Gesicht direkt schräg über meinem befand. Ich wollte aufstehen, um den Größenunterschied auszugleichen, doch meine Beine fühlten sich nicht an, als ob sie in der Lage wären, mein Gewicht tragen zu können.

Mir fiel auf, dass ich noch immer ihr T-Shirt festhielt und ließ das schwarze Stück Stoff los. Mae lehnte sich noch ein Stück weiter zu mir und unsere Knie berührten sich. Sie sah mich weiterhin mit traurigem Blick an.
„Wäre ich ein selbstloserer Mensch, würde ich jetzt sagen, dass du recht hast und dass ich wirklich nichts von dir will, damit du endlich darüber hinwegkommen kannst, Tamms. Aber ich bin eben nun mal nicht besonders altruistisch veranlagt. Und außerdem würde ich dich nach so einer Lüge nicht mehr für deine ganzen Lügen verurteilen können."

Ich senkte den Blick. Es war das erste Mal seit letzter Nacht, dass sie mich wieder Tamms genannt hatte. Nicht dass ich darauf geachtet hätte oder so – geschweige denn, dass ich ungeduldig darauf gewartet hätte, dass sie ihren Nickname für mich wieder benutzt, und ich schon fast der festen Überzeugung gewesen wäre, dass sie es nie wohl nie wieder tun würde – es war mir einfach rein zufällig aufgefallen.

Sie wollte es also doch, sie wollte, dass es möglich wäre, das zwischen uns. Wieso aber weigerte sie sich, Hoffnung zu haben?

Ich sah wieder zu ihr auf. Ihre Augen – oder viel mehr ihr Blick, die Art wie sie mich ansah, brachten in mir ein übergroßes Verlangen zum Vorschein.
Ich wollte wissen, wie sich ihre Lippen anfühlten. Wie sich jeder Centimeter ihres Körpers anfühlte.
Und ihr Blick verriet, dass sie das gleiche empfand.

In einem anderen Universum hätte ich einfach nur die Hände auf ihre Taille legen müssen und wir wären nach hinten in die Laken auf dem Bett gesunken. Wir würden ... ich zwang meine Gedanken dazu, aufzuhören. Das hier war sinnlos. Wir befanden uns nicht in einem anderen Universum.

„Mae ...", raunte ich leise. Ihr Blick war so unendlich traurig. „Wieso machst du es dir selbst so schwer?"

„Du willst wissen wieso? Weil ich noch nie in meinem Leben jemanden getroffen habe wie dich, darum." Fuck it wie das klang. Es war schließlich die Wahrheit!

„Aber das wirst du, das verspreche ich dir. Bring das mit Nick zu Ende und dann geh raus in die große weite Welt. Es gibt so viele Menschen da draußen. Du musst offen für jemand Neues sein."

Ich schnaubte. „Und das willst gerade du mir sagen? Wer von uns beiden hat denn heute dem netten Mädchen von diesem Jahrmarktsstand den Laufpass gegeben?"

Mae richtete sich wieder auf und ich spürte die jetzige Abwesenheit ihrer Nähe schmerzhaft.
Sie drückte sich die Hand vor die Stirn.

„Das ist etwas anderes."

„Ist es das?", fragte ich in einem bissigen Ton und wusste dabei selbst nicht genau, woher ich die plötzliche Selbstsicherheit nahm. „Für mich klingt es nämlich nach genau dem, was du gerade gesagt hast."

Mae Gesicht war voller Emotionen, Verzweiflung, Trauer und noch so viel mehr, doch all das hielt nur für einen kurzen Moment. Dann war alles von einer Sekunde auf die nächste weg, als hätte sich ein Vorhang gesenkt. „Tammy. Such weiter, wenn du willst. Such nach einer verdammten Lösung für dieses verfickte Dilemma. Aber lass mich damit in Ruhe klar?"

Sie seufzte. „Ich bitte dich, können wir nicht einfach Freunde sein? Eine gute Zeit haben?"

„Ich ..." Ich wusste nicht, was ich sagen wollte. Ihr Bitten klang eindringlich und ich wusste, dass ihr wirklich viel daran lag. Es gab nur eine mögliche Antwort. „Okay."

„Keine Fragen mehr? Keine heimlichen Besprechungen?"

„Ja."

„Dann hörst du endlich auf, nach einer Lösung suchen zu wollen?"

„Nein. Nein werde ich nicht, aber ich verspreche dir, dass ich dich von jetzt an da nicht mehr mit reinziehen werde."

Es entstand eine Pause, in der wir uns einfach nur ansahen.

„Ich denke, das ist alles, was ich verlangen kann." Sie lächelte schwach.

„Vermutlich." Ich nickte.


Als wir wieder nach draußen zurückkehrten, sagte keiner von uns beiden ein Wort. Schweigend liefen wir nebeneinanderher, in dem stillen Übereinkommen, einfach nur eine gute Zeit miteinander zu verbringen. Als Freunde.

Vorerst.

Let me get this Straight ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt