Der Tragödie neunundvierzigster Teil

668 52 3
                                    

„Nein!", war alles was Nick rausbringen konnte. „Nein, das stimmt nicht!"

Er drehte sich zu Mae um und starrte sie mit flehendem Blick an. „Wusstest du davon?"

Mae schwieg und ihr Schweigen war Antwort genug.

Er griff nach ihrem Arm und sie wich instinktiv ein paar Schritte zurück. Mein Blick wanderte zu dem hellblauen Kinderplanschbecken, das die Gruppe Jugendlicher immer noch zum Beer Pong spielen missbrauchte. Wäre mein Leben eine Comedy-Serie, wäre es nur eine Frage der Zeit, bis einer von uns in dem halb gefüllten Becken landen würde. Aber dank dem, was in den letzten Wochen passiert ist, glaube ich nicht wirklich, dass mein Leben eine Komödie ist. Vermutlich eher eine Tragödie.
Kann ich trotzdem auf ein Happy End hoffen?

Nick hielt noch immer Maes Arm fest. Auch ohne seine Stimme zu hören war klar, dass er den Tränen nah war. „Warum hast du mir nie etwas gesagt?"

Mae wich seinem Blick aus, kurz befürchtete ich, sie könnte zu mir gucken, doch sie hatte den Kopf gesenkt und schien den Boden vor ihr zu betrachten.

„Warum?", wiederholte Nick, man hörte deutlich eine Spur Verzweiflung in seiner Stimme.
Dann schien ihm ein Gedanke zu kommen und ihm entgleisten sämtliche Gesichtszüge. „Du hast doch nicht etwa ... Ihr zwei habt doch nicht ..."

Ich wusste, dass ich vermutlich eingreifen sollte. Irgendetwas sagen, doch ich war wie erstarrt, während ich die Geschehnisse beobachtete.

„Nein", sagte Mae. „Wir haben nichts gemacht."

Nicks Anspannung verringerte sich nur dezent, doch zumindest ließ er endlich ihren Arm los. „Aber du wolltest, oder?"

Irgendetwas an seiner Stimme überraschte mich, Nick klang nicht länger aufgebracht, etwas ..., ich würde es fast schon als etwas Sanftes bezeichnen, mischte sich in seinen Tonfall.

Mae antwortete nicht sofort – erst verstrich eine für mich nicht definierbare Zeitspanne, bevor sie fast unmerklich mit dem Kopf nickte.

„Oh", war alles, was Nick von sich gab, bevor er sich umdrehte und mit eiligen Schritten den Garten durchquerte. Mae lief ihm direkt hinterher. „Nick, warte bitte!"
Auch ich befreite mich endlich aus meiner Schockstarre und rempelte, während ich ihnen hinterherstürzte, ein paar der Partygäste an, um die Geschwister nicht aus den Augen zu verlieren. In einer Menge aus sich dicht aneinanderdrängenden Körpern von Menschen, die mich größtenteils überragten, gar nicht mal so einfach.

Zumindest war wirklich niemand in das Planschbecken gestürzt.

Ich sah Nick hinter einem breitgebauten Typen mit blonden, zur Seite frisierten Haaren verschwinden und wollte mich unter Einsatz meiner Ellbogen gerade durch eine Ansammlung von Mädchen kämpfen, als sich mir jemand in den Weg stellte.

Ich wollte das neue Hindernis gerade zur Seite schieben, als ich realisierte, wer da vor mir stand.

„Ich hasse Partys."

Ich konnte meine Verwunderung vermutlich nicht vollständig verstecken, denn Malin warf mir einen abschätzigen Blick zu. „Glaub mir, ich hätte genauso wenig erwartet, dass du auf sowas stehst, also guck nicht so dumm. Ich hasse Partys. Zu viele Menschen. Ich hasse Menschen."

Ich hätte schwören können, sie noch nie so viele Worte am Stück benutzen gehört zu haben. „Warum bist du dann hier?"

Malin verdrehte die Augen. „Wegen dir."

Mein Leben hatte sich wohl einfach dazu entschieden, dass es nicht länger nötig ist, irgendwelchen Gesetzen der Logik zu folgen.

„Warum zur Hölle bist du wegen mir auf eine Party gekommen? Und woher weißt du überhaupt, dass ich hier sein würde?"

Sie zuckte desinteressiert mit den Schultern. „Hab' dich darüber reden gehört. Mit deiner Modelfreundin."

Sie sprach über Juni. Wir hatten tatsächlich mal in der Schule über die Party geredet, nur hatte ich Malin dabei auf keinen Fall bemerkt.

Ich realisierte, dass ich dadurch, dass ich mich zu dem Gespräch habe hinreißen lassen, jegliche Chance darauf verspielt habe, Nick und Mae einzuholen. Also war es jetzt auch egal. „Aber worüber wolltest du mit mir sprechen?"

„Ich habe es schon asozial gefunden, dass du Bea hast hängen lassen."

Bea. Irgendwo hatte ich diesen Namen in letzter Zeit schon einmal gehört. Nur wo?
Und auch ihr Satz kam mir bekannt vor.

Zumindest das fiel mir wieder ein. Es war der Satz, den sie Montag in der Chemiestunde angefangen, aber nie zu Ende geführt hatte. Jetzt hatte ich also doch noch erfahren, was Malin asozial findet. Nun stellt sich nur noch die Frage, wer zur Hölle Bea ist.

Plötzlich machte es klick und ich starrte Malin geschockt an. Chemiestunde – Bea. Als Absender der Mail meiner Chemielehrerin war Bea Hansen angegeben gewesen.
Malin hatte nach der Stunde draußen auf sie gewartet.

„Hast du was mit unserer Chemielehrerin am Laufen?!"

Malin sah mich geschockt, beinahe schon etwas angeekelt an und augenblicklich fühlte ich mich sehr, sehr dumm.

„Natürlich nicht! Was ist falsch mit dir?", fuhr sie mich an. „Es geht um das Kepler-Turnier, Bea hat allen Teilnehmern das Du angeboten. Und ich finde es asozial, dass du erst zugesagt hast und dann absichtlich den Test verkackt."

Frau Hansen hatte in ihrer Mail geschrieben, dass sie sich mit den anderen Teilnehmern über mich beraten hatte, nur war mir nie in den Sinn gekommen, dass Malin einer von ihnen sein könnte.

Auch das schien sie mir am Gesicht ablesen zu können. Sie verdrehte genervt die Augen. „Ja, ich weiß, es ist schwer zu glauben, aber ich habe tatsächlich auch Talente. Ich bin wegen Informatik dabei."

Ich habe absolut keine Ahnung gehabt, dass Malin gut in Informatik ist oder überhaupt an einem der Informatikkurse teilnimmt, aber jetzt, wo ich davon weiß, wirkte es irgendwie schlüssig. Informatik passt irgendwie gut zu ihr.

„Und du bist extra auf die Party gekommen, um mir zu sagen, dass ich ein Arschloch bin?"

Sie verdrehte erneut die Augen, aber fast hätte ich geglaubt, ein winziges Lächeln über ihr Gesicht gehuscht haben zu sehen, als ich mich selbst ein Arschloch genannt habe.

„Nein, offensichtlich nicht." Ihre Miene verdüsterte sich. „Aber Tarek liegt im Krankenhaus und ich glaube, Bea ist kurz davor, Sybille Lennard zu fragen."

Ich habe absolut keine Ahnung wer die Menschen sein sollen, von denen sie spricht.

„Also musst du mitkommen. Du scheinst normalerweise ganz okay in Chemie zu sein, auch wenn du asozial bist."

Vermutlich war das die treffendste Beschreibung meiner Person, die je jemand formuliert hat.

Trotzdem starrte ich sie etwas überrumpelt an. „Du willst, dass ich beim Kepler-Turnier mitmache?"

Malin sah mich an als wäre ich etwas dumm. „Ja, das habe ich doch gerade schon mehrmals klargemacht."

„Aber ich war nicht in der ersten Runde dabei", stammelte ich. Und fügte in Gedanken Und ich habe im Moment ganz andere Probleme hinzu, doch Malin zuckte nur mit den Schultern. „Das ist nicht wichtig."

Das war kompletter Schwachsinn. Meine Entscheidung stand fest.

„Du musst dir jemand anderen suchen. Ich komme nicht mit."

Let me get this Straight ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt