Der Tragödie siebenundvierzigster Teil

566 53 2
                                    

Juni manövrierte mich um die Ansammlungen von Teenagern herum, die überall, wo man hinsah, rumstanden.

Kaum hatten wir das Haus betreten, stieß ich beinahe mit einem weiteren bekannten Gesicht zusammen.

„Maxine, hi!", begrüßte ich das dunkelhaarige Mädchen.

„Hey, Leute", sie umarmte erst Juni und dann mich. Ich war froh, dass sie es von sich aus getan hat, denn ich hätte nicht gewusst, ob ich sie hätte in den Arm nehmen sollen oder nicht.

„Wohin wollt ihr?", erkundigte sie sich. In dem schlecht beleuchteten Wohnzimmer sahen sich meine beiden besten Freundinnen gruselig ähnlich. Ich hatte zwar schon immer gewusst, dass sie nicht nur die gleichen dunklen Haare und Augen hatten, sondern auch beide mit über ein Meter fünfundsiebzig unfair groß waren, doch im Hellen konnte man zumindest ihre Gesichtszüge klar unterscheiden.

Beide waren, im Gegensatz zu mir, unbestreitbar überdurchschnittlich schön, wie ich schon früh gelernt habe, doch in meinen Augen war Maxine nie ganz an Juni rangekommen.
Ich hätte nicht sagen können, was dafür verantwortlich war – vielleicht war es das etwas plumpere Gesicht, vielleicht war es etwas, über das mir nachzudenken eindeutig keinen Vorteil gebracht hätte.

Auf einmal veränderte sich Maxines Gesichtsausdruck und sie deutete aufgeregt hinter uns und zurück in den Garten. „Oh, mein Gott, Tammy! Endlich lerne ich deinen Freund kennen!"

Bevor ich sie hätte aufhalten können, schob sie sich an mir vorbei und lief geradewegs auf die andere Hälfte des Gartens zu.

Juni neben mir sah nicht minder geschockt aus als ich mich fühlte. „Max, fuck nein!"

Doch Maxine war bereits in der Masse verschwunden.

Ich stürzte mich in das Meer aus Körpern, in der Hoffnung, das Schlimmste vielleicht doch noch abwenden zu können.
Eine Stimme in meinem Kopf entschied sich, dass es die richtige Zeit wäre, mich auf den wenig hilfreichen Fakt aufmerksam zu machen, dass es doch schon ziemlich lustig wäre, dass ich mich, bevor sich mein Leben um hundertachtzig Grad gedreht hatte, neunzig Prozent meiner Zeit in meinem Zimmer verbarrikadiert hatte und ich jetzt nach nicht mal einer Minute bereits wieder zurück nach draußen stürmte.

Auch sonst ist mein Gehirn ziemlich nützlich.

Mit hämmerndem Puls sah ich nach dem tiefbraunen Haarschopf meiner Freundin Ausschau, doch als ich sie endlich zwischen den ganzen lachenden und redenden Partygästen ausgemacht hatte, war es bereits zu spät.

Stolpernd kam ich am Rand des Gartens zum Stehen. In den Sekunden, die ich brauchte, um meinen Herzschlag und meine Atmung wieder unter Kontrolle zu bekommen, nahm ich die Umgebung um mich herum wahr. Vor dem Holzzaun, der das Grundstück von dem der Nachbarn trennte, war ein Apfelbaum gepflanzt worden, in dessen Zweigen sich nun eine Lichterkette spannte. Ich musste schon sagen, soviel Liebe fürs Detail hätte ich Louis gar nicht zugetraut.

Eineinhalb Meter rechts von dem Baum stand ein hellblaues Kinderplanschbecken, in dem eine Gruppe von Zwölftklässlern gerade eine weiterentwickelte Version von Bier Pong zu spielen versuchte.

Unter dem Baum stand ein Mädchen mit grünen Strähnen in den Haaren und einem schwarzen Top, das beinahe identisch war mit dem, das ich an diesem Abend trug, und starrte mich mit einem angewiderten Ausdruck an, der mir einen Stich ins Herz versetzte.

Nein, das traf es nicht ganz. Eine solche Form der Verachtung in Maes Gesicht zu sehen riss mir das Herz aus der Brust, warf es auf den Boden und sah gehässig lachend dabei zu, wie es von den vorbeifahrenden Lastwagen immer und immer wieder überfahren wurde.

Neben ihr stand Nick, doch seine Miene sprach nicht von Verachtung, sondern von Schmerz. Ich hatte ihn verletzt und er versuchte nicht, das zu überspielen.

Als letztes sah ich endlich Maxine ins Gesicht. „Warum hast du mir nicht gesagt, dass ihr schlussgemacht habt?"

Ich schwieg.

„Dass sie Nick per Textnachricht abserviert hat, meinst du wohl." Maes Stimme klang gefühllos und kalt und obwohl ich wusste, dass ich diese Kälte verdient hatte, wünschte ich, sie würde irgendwelche Emotionen zeigen. Sie würde mich anschreien, wie ich es nur wagen könnte, ihrem Bruder so etwas an zutuen, doch ihre Augen zeigten nichts als Missachtung.

„Ich wollte –", setzte ich an, als Juni endlich neben mir auftauchte.

Ihr Blick wanderte von einem zum anderen und dann sagte sie nur zwei einzelne Worte. „Oh fuck."

Maes Gesicht zuckte.
„Ich glaube, wir sollten gehen, Nick." Sie griff nach dem Arm ihres Bruders. „Von manchen Leuten sollte man sich besser fernhalten."

Juni funkelte sie böse an. „Sag mal, hast du sie noch alle? Tust so, als wäre dein Bruder ein Heiliger, nachdem er seiner Freundin eine Kassette geschenkt hat, die er ursprünglich für ein anderes Mädchen erstellt hatte. Ein Mädchen, von dem er wusste, dass sie einen Freund hat und dem er trotzdem nachgerannt ist."

In Maes Gesicht tauchte ein Ausdruck der Erkenntnis auf, doch ich konnte nicht sagen, weswegen. Vielleicht hatte sie verstanden, dass es Juni war, die vor ihr stand, vielleicht hatte sie zum ersten Mal von Ben erfahren, vielleicht ---

Ich wollte Juni aufhalten, wollte sie davon abhalten, mich in Schutz zu nehmen, doch ich konnte nicht anders, als endlich die Frage auszusprechen, die mich schon seit so lange rumtrieb.

„Nick, mochtest du mich seit der Mittelstufe?"

Ich fragte nicht Nick, mochtest du mich wirklich seit der Mittelstufe? oder Du hast mich nicht wirklich seit der Mittelstufe gemocht, oder? ich fragte Nick, mochtest du mich seit der Mittelstufe?

Er sah mich für einen kurzen Moment einfach nur schweigend an.

Dann sagte er nein.

Let me get this Straight ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt